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Gestohlene Kindheit #b# Gestohlene Kindheit #b#

Oxana Evdokimova 6. März 2007

Der Krieg in Tschetschenien hat die Menschen dort gezeichnet. Mit der Veröffentlichung von Zeichnungen und Geschichten tschetschenischer Kinder wird ihren Kriegserlebnissen eine Stimme gegeben.

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Zerstörte Häuser im tschetschenischen Grosny
Die Heimat vieler Tschetschenen wurde im Krieg zerstörtBild: AP

Ein kleiner Junge beweint seine Mutter. Sie liegt auf der Straße und blutet. Eine Bombe hat sie getötet. Russische Militärflugzeuge haben einen ganzen Schwall davon abgeworfen. Für dieses Bild hat Larisa, eine Schülerin aus Grosny, die beste Schulnote erhalten. Neben ihrem Bild sind mehrere Dutzend anderer in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, dem ehemaligen Stasi-Gefängnis, ausgestellt. Die Idee, sie nach Deutschland zu bringen, hatte die Schweizer Friedensarbeiterin Elisabeth Petersen: "Die Bilder habe ich 2001 angefangen zu sammeln und zwar in Grosny selbst, in Gundarmes und vor allem in den Zelten, in den Unterkünften des Flüchtlingslagers in Inguschetien." Dort habe sie die Zeichnungen an den Zeltwänden, in den Schulen hängen gesehen und die Kinder gefragt, ob sie sie haben könne. Die Kinder hätten sie ihr sehr gerne gegeben.

Eine Kindheit in Trümmern

Auf den Zeichnungen stellten die Schüler ihre Kriegserlebnisse dar
In den Zeichnungen verarbeiteten die Schüler ihre KriegserlebnisseBild: Elisabeth Petersen

In Tschetschenien lebt heute eine ganze Generation von Menschen, die keine Kindheit kennen. Viele von ihnen sind in den zerstörten Häusern aufgewachsen, ohne Strom und Wasser, ohne fröhliche Geburtstagsfeiern, ohne Urlaubsreisen. Diese Erlebnisse sind auf den Zeichnungen der Kinder zu erkennen. Die erste Motivgruppe zeige die Zerstörung der Natur und die brutale Zerstörung von Grosny, beschreibt Elisabeth Petersen. "Die andere Motivgruppe ist die Zerstörung der Menschen, der Tod der Menschen, die durch Bomben, durch Granaten und Hubschrauber getötet werden, die auf der Strasse liegen, durch Minen zerfetzt sind." Die dritte Gruppe von Zeichnungen zeige die Sehnsüchte der Kinder nach Ruhe und Frieden.

Mediziner gehen davon aus, dass 90 Prozent der tschetschenischen Kinder und Jugendlichen, die während des Krieges aufgewachsen sind, stark traumatisiert sind. Die wahren Maßstäbe der psychischen Folgen sind aber noch nicht einmal annährend erahnbar. Denn die Erinnerungen an den Schrecken bleiben, auch wenn der Krieg schon im Jahr 2000 von der russischen Regierung für beendet erklärt wurde. Außerdem berichten Menschenrechtsorganisationen noch immer über gewaltsame Verschleppungen, Tausende Vermisste, Morde und Folter.

Die Stimme der tschetschenischen Kinder

Mit den Erfahrungen dieser traumatisierten Kinder beschäftigt sich auch die tschetschenische Journalistin Mainat Abdullajewa, die seit zwei Jahren als Stipendiatin des PEN-Zentrums in Berlin lebt und sich mit ihrem Engagement für den Frieden in Tschetschenien einsetzt. Sie hat selbst eine fünfjährige Tochter, die den Krieg miterleben musste. Zusammen mit anderen Künstlern tritt Mainat Abdullajewa regelmäßig bei verschiedenen Veranstaltungen in Deutschland auf und liest aus dem Buch "Zu wissen, dass Du noch lebst", in dem tschetschenische Schüler ihre Erlebnisse schildern.

"Nachdem wir den Krieg von 1994 mit all seinen Schrecken überlebt hatten, konnte ich mir nicht vorstellen, dass mein Volk noch einen schrecklicheren Krieg durchmachen müsse", schildert ein Schüler der 9. Klasse. "Wir saßen in der Schule. Der Unterricht wurde durch unerwarteten Flugzeuglärm unterbrochen. Vor Angst bekam ich Gänsehaut. Ich dachte sofort, ist etwa wieder Krieg? Und ich hatte Recht."

In den tschetschenischen Flüchtlingslagern werden die Kinder in Zelten unterrichtet
In den tschetschenischen Flüchtlingslagern werden die Kinder in Zelten unterrichtetBild: Elisabeth Petersen

Nach Schätzungen internationaler Menschenrechtsorganisationen sind mehr als 40.000 Kinder in den beiden tschetschenischen Kriegen getötet worden. Mehr als 30.000 sind zu Voll- und Halbweisen geworden. Nicht wenige sind Opfer von Bodenminen und Granaten geworden, erzählt Elisabeth Petersen. Das Ziel solcher Projekte sei es, etwas gegen die Vergesslichkeit der Menschen zu tun und daran zu erinnern, "dass der Krieg nicht zu Ende ist, wenn die letzen Bomben fallen, wenn der letzte Granatenhagel runtergeht, wenn die letzte Mine hochgeht, sondern dass der Krieg aufhört, wenn die Menschen ihn für sich verarbeitet haben."

Ausstellungsdauer: bis 31.03.2007

Öffnungszeiten: täglich von 9 - 18 Uhr (Eintritt frei)