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Unmut in den Vororten

21. April 2009

Die Arbeitslosigkeit trifft in Frankreich vor allem die Jugend: Mehr als 20 Prozent der unter 26-Jährigen sind laut offiziellen Statistiken arbeitslos. Dramatisch ist die Situation in den Einwandergettos der Vorstädte.

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Auf einem Platz spielen drei Jungs Ball, im Hintergrund sieht man Hochhäuser, Archivbild (Foto: AP)
Die Stimmung in den Vororten von Paris sinktBild: AP

Bürgermeister Jacques Salvator ist bereits um neun Uhr morgens im Einsatz. Er wird gleich im Pariser Vorort Aubervilliers einen neuen Kindergarten einweihen. Eine erfreuliche Abwechslung, denn seit der Krise prägen vor allem schlechte Nachrichten den Alltag des Bürgermeisters.

Eine soziale Katastrophe droht

EIn ausgebranntes Auto liegt auf der Straße, Archivbild (Foto: dpa)
Bereits 2005 kam es zu JugendrevoltenBild: dpa

Besonders besorgniserregend ist der starke Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit in den so genannten "sensiblen" Vororten: Innerhalb eines Jahres hat sie dort um mehr als die Hälfte zugelegt. Bei den jungen Akademikern der Vorstädte hat sich die Arbeitslosigkeit sogar verdoppelt. Es drohe eine soziale Katastrophe, warnt Vorort-Bürgermeister Salvator. "Wir brauchen eine neue Politik. Man spürt bereits sehr deutlich, dass sich unsere Situation durch die Krise gefährlich verschärft. Wir müssen unbedingt noch vor dem Sommer politisch darauf reagieren, um das Schlimmste zu verhindern", sagt er.

Das Schlimmste - damit meint der Bürgermeister Jugendrevolten, eine Explosion der Gewalt in den Einwanderergettos vor den Toren der französischen Großstädte. 2005 gab es schon einmal Straßenschlachten zwischen Polizei und Jugendlichen. Schulgebäude, Geschäfte und Tausende von Autos gingen damals in Flammen auf.

Seit einigen Wochen häuften sich erneut Zwischenfälle in den Straßen seiner Kommune, berichtet der Bürgermeister von Aubervilliers. Die Gewaltbereitschaft der Jugendlichen nehme wieder zu. "Vandalismus, Raubüberfälle - die Tendenz ist wieder steigend", sagt er.

Angst vor der Zukunft

Während der Bürgermeister den Kindergarten einweiht, erledigen die Leute auf dem Wochenmarkt in der Nähe des Rathauses ihre Einkäufe. Hier seien die Lebensmittel billiger als im Supermarkt, sagt Miriam. Die aus Nordafrika eingewanderte Mutter von vier Kindern achtet auf jeden Cent, den sie ausgibt. Sie fürchtet, dass die Zeiten noch schlechter werden. Ihre größte Sorge gilt der beruflichen Zukunft ihrer Kinder. "Selbst mit einer guten Schulbildung bekommen die Kinder hier keine Arbeit. Sie werden abgelehnt, weil sie einen arabischen Namen haben und aus einem Problemviertel kommen", sagt sie. Sie seien die letzten, die einen Job bekämen, und die ersten, die ihn in Zeiten der Krise wieder verlören.

Ihre Freundin schimpft über die Politiker. "Die machen nichts als leere Versprechen. Vor allem tun sie nichts für die Jugend. Wenn das so weiter geht, wird es wieder Aufstände geben. Die Jugendlichen fühlen sich total im Stich gelassen."

Wut könnte in Hass umschlagen

Mädchen mit und ohne Kopftuch gehen nebeneinander, Archivbild (Foto: AP)
In Aubervilliers haben Jugendliche Angst, als Franzosen zweiter Klasse behandelt zu werdenBild: AP

Tarek, ein 22-jähriger Informatikstudent aus Tunesien, lebt seit drei Jahren in Aubervilliers. Auch er spürt, dass sich die Situation in den Pariser Vororten mit der Krise zugespitzt hat. "Ich glaube, beim kleinsten Zwischenfall kann es sofort wieder zu schweren Krawallen kommen. Die Wut der Jugendlichen in den Vororten ist enorm. Sie haben es bis obenhin satt, immer wie Franzosen zweiter Klasse behandelt zu werden", erzählt er.

Dass die Stimmung in den Vorstädten sehr gereizt ist, glauben auch Schüler des Gymnasiums "Jean-Pierre Timbaud". Der französische Präsident Nicolas Sarkozy solle besser nicht nach Aubervilliers kommen, sagen sie halb ernst, halb scherzend: "Wenn der kommt, dann ziehen wir ihm mit unserem Gürtel eins über", heißt es. Oder: "Man muss der Regierung klarmachen, dass wir aus den Banlieues nicht die letzte Scheiße sind, dass wir genauso arbeiten können, wie alle anderen."

Autorin: Margit Hillmann

Redaktion: Julia Kuckelkorn