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Die Grand Dame der Demoskopie ist tot

25. März 2010

Elisabeth Noelle-Neumann, Pionierin der deutschen Meinungsforschung und Gründerin des Allensbach-Instituts, lebt nicht mehr. Sie starb am Donnerstag im Alter von 93 Jahren in ihrem Haus am Bodensee.

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Die verstorbene Noelle-Neumann im Portrait (Foto: dpa)
Elisabeth Noelle-Neumann ist gestorbenBild: dpa

Sie hat die Demoskopie in Deutschland eingeführt, die "Schweigespirale" erdacht und ein kleines Dorf am Bodensee berühmt gemacht: Elisabeth Noelle-Neumann. Die Meinungsforschung hat dank ihr heute einen festen Platz in der Gesellschaft. Jetzt ist die große Dame der Demoskopie im Alter von 93 Jahren gestorben. Das Institut für Demoskopie am Bodensee bestätigte am Donnerstag (25.03.2010) einen Bericht des Konstanzer "Südkuriers". Sie sei am Mittag in ihrem Haus verstorben, erklärte ein Institutssprecher. Die auch als "Pythia vom Bodensee" bezeichnete Demoskopin ist eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

Detailaufnahme des Allensbach-Messingschilds (Foto: dpa)
Das Institut machte ein kleines Dorf am Bodensee deutschlandweit bekanntBild: dpa - Fotoreport

Mitten im Ersten Weltkrieg geboren, am 19. Dezember 1916 in Berlin, wuchs Elisabeth Noelle in einer "reichen und mit vielen Begabungen gesegneten Familie" auf, wie sie es in ihren Lebenserinnerungen formulierte. 1933 kam Noelle zum ersten Mal an den Bodensee, ins Internat von Salem. Die Ansprachen des Internatsgründers Kurt Hahn hätten sie gerettet, erinnerte sie sich später – "denn sie führten dazu, dass ich mich von den Nazis fernhielt, mich aus ihren Angelegenheiten heraushielt und so wenig wie möglich mitmachte".

Vergangenheit sorgte für Kontroversen

Das, was sie dennoch mitmachte - eine Mitgliedschaft in der Arbeitsgemeinschaft nationalsozialistischer Studentinnen und die journalistische Arbeit für die NS-Zeitung "Das Reich" - gab in den 70er, 80er und 90er Jahren wiederholt Anlass für Kontroversen. In ihrer eigenen Autobiografie erscheint die Studentin und Journalistin der NS-Zeit als aufmerksame Beobachterin, die letztlich unpolitisch blieb und den in der Zeitungswissenschaft gestellten Fragen nach Gesinnung, Verantwortung und journalistischer Ethik bewusst aus dem Weg ging: "Das interessierte mich überhaupt nicht."

Noelle-Neumann hatte nach dem zweiten Weltkrieg 1947 das erste deutsche Meinungsforschungsinstitut in Allensbach gegründet. Aus kleinen Anfängen in einer Garage wurde eines der wichtigsten Einrichtungen zur Erkundung der Vorlieben und Abneigungen der Deutschen. Allensbach hat im Laufe seiner Geschichte Millionen von Menschen befragt. Einen besonderen Namen machte sich Allensbach in der politischen Meinungsforschung und bei Wahlprognosen.

Der Altkanzler im Portrait (Foto: dpa)
Helmut Kohl pflegte mit der Demoskopin ein freundschaftliches VerhältnisBild: picture-alliance/ dpa

Die Wissenschaftlerin hat mehrere Bücher veröffentlicht. Als wegweisendes Werk gilt "Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung - unsere soziale Haut" von 1980. Immer wieder setzte sie sich auch mit der Wirkung der Medien auseinander, beispielsweise mit den Folgen des Fernsehens auf die Zeitungslandschaft. Regelmäßig veröffentlichte sie in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Beiträge zu politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Politisch galt sie immer als CDU-nah. So hatte sie ein enges freundschaftliches Verhältnis zu Altkanzler Helmut Kohl.

"Eine der ganz Großen ihres Fachs"

Bundesbildungsministerin Annette Schavan würdigte die Demoskopin als "Wegbereiterin der modernen Meinungsforschung und überzeugende Stimme in der öffentlichen Debatte in Deutschland". Der Leiter der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung, nannte sie im "Mannheimer Morgen" ungeachtet methodischer Differenzen zu Allensbach eine der "ganz Großen ihres Fachs in Deutschland und in der westlichen Welt". Für ihre Arbeit ist Noelle-Neumann mit mehreren Preisen geehrt worden. 1999 erhielt sie den Hanns-Martin-Schleyer-Preis. Bereits 1977 wurde sie Ehrenbürgerin der Gemeinde Allensbach. Dort soll sie auch beerdigt werden.

Autor: Marcus Bölz (kna, dpa, apn)
Redaktion: Hajo Felten