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Die große Angst vor Reformen

Silke Bartlick24. Oktober 2003

Einem armen Mann kann man nichts aus der Tasche ziehen, und in einer Stadt, die faktisch pleite ist, muss höchst behutsam mit dem Geld umgegangen werden. Das hilft. Oder auch nicht.

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Anfang Juli hatte der Berliner Senat beschlossen, dass die Opernhäuser der Stadt bis zum Jahr 2009 33 Millionen Euro einsparen müssen. Denn die drei Musiktheater mit derzeit 111 Subventionsmillionen sind bei jährlich rund 700.000 Besuchern nun mal die teuersten Kultureinrichtungen der Stadt.

Der verordnete Sparkurs aber hätte faktisch nichts anderes bedeutet als die langsame Fusion von Deutscher Oper und Staatsoper unter den Linden – eine Abwicklung auf Raten sozusagen. Wenn, ja wenn der Bund sich nicht helfend zur Seite gestellt hätte. 22 weitere Millionen, verkündete Kulturstaatsministerin Christina Weiss seinerzeit nicht ohne Stolz, habe sie dem Finanzminister abgerungen, um größeren Schaden von der hauptstädtischen Kultur abzuwenden.

"Modell mit Vorbildcharakter"

Die Überraschung war groß – immerhin fließen ja sowieso schon stolze 350 Millionen Bundesmittel Jahr um Jahr nach Berlin – und kannte dann kaum noch Grenzen, als Christina Weiss in harmonischem Einklang mit Berlins Kultursenator Thomas Flierl verkündete, dass die zusätzlichen Gelder für Berlin keineswegs zum Löcherstopfen gedacht seien, sondern vielmehr eine Opernreform auf den Weg bringen sollten!

Vorzustellen hat man sich das folgendermaßen: der Bund übernimmt vom 1. Januar 2004 an die Finanzierung der Akademie der Künste, der Stiftung Deutsche Kinemathek und der Ausstellungshalle Hamburger Bahnhof, allesamt Einrichtungen von bundespolitischer Bedeutung, und forciert mit einer einmaligen Anschubfinanzierung von drei Millionen Euro die Überführung der drei Berliner Opernhäuser in eine GmbH unter dem Dach einer gemeinsamen Stiftung.

Ein Modell mit Vorbildcharakter hat Christina Weiss das genannt, soll es den vielen maroden deutschen Stadttheatern doch vorführen, dass man auch in Zeiten sinkender öffentlicher Zuwendungen effizient arbeiten kann: infolge absoluter Autonomie, die es den Kulturinstitutionen ermöglicht, bei Planungssicherheit unternehmerisch handeln zu können.

Alles wie gehabt: der Stärkere gewinnt

Eine Reform, prima! Die nicht etwa mal so eben kurz aus dem Ärmel geschüttelt wurde, sondern, wie es hierzulande so üblich ist, das Ergebnis jahrelanger Beratungen immer neuer Expertenkommissionen und einer äußerst kritischen Öffentlichkeit ist. Soeben hat der Berliner Senat dem Schritt in die Zukunft zugestimmt. Es könnte also losgehen. Aber just in dem Moment, da der Umsetzung eigentlich nichts mehr im Wege steht, melden sich Frau Merkel (CDU) und Herr Gerhard (FDP) zu Wort, die den Förderkreis der Staatsoper und deren Generalmusikdirektor Daniel Barenboim hinter sich wissen, und stellen alles wieder in Frage. Der Bund, fordern sie, solle das Prestigeobjekt Staatsoper übernehmen, als "Zukunftssignal für den Kulturstaat Bundesrepublik Deutschland" (Hans-Dietrich Genscher) und "namhafte" Financiers für eine "Stiftung Deutsche Staatsoper" gäbe es auch schon.

Womit der stärkste im Bunde der drei Berliner Opernhäuser Lobbyisten gefunden hat, die, kurz bevor es ernst wird, wieder alles in Frage stellen. So werden Reformansätze hierzulande also zerredet. Den Schaden hätten wieder einmal die Schwächeren.