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Musik

Große Hits der Klassik

Rick Fulker
31. März 2017

Das Kölner Fest für Alte Musik widmet sich den "Greatest Hits." Anderswo wird eine Kompilation als "Die einzige Klassik-CD, die Sie je brauchen werden" angepriesen. DW-Redakteur Rick Fulker präsentiert seine Favoriten.

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Bildkombi Bildkombo Große Klassikhits - Komponisten

Wer entscheidet eigentlich, welche Hits die größten sind?  Das Kölner Fest für Alte Musik, das vom 17. März bis zum 2. April wunderbare Klassiker zu Gehör bringt? Oder CD-Produzenten, die beliebte Melodien vermarkten wollen? Eigentlich gelten Hits als vorübergehende Erscheinungen. Durchschlagende musikalische Erfolge gab es allerdings schon lange, bevor die Charts-Listen erfunden wurden. Motive, Melodien und ganze Kompositionen, die unter den Begriff "Klassik" fallen, sind seit Jahrhunderten Dauerbrenner - und wenn sie in einer neuen Bearbeitung erklingen, beschäftigen Sie Hirn und Geist erneut: Schließlich genießen sie dank ihres Wiedererkennungswerts gegenüber neuen Melodien einen Vorsprung.

Das hat mich inspiriert, meine eigene Favoritenliste vorzulegen - und die Entscheidung fiel mir alles andere als leicht. Zunächst waren es 50 Titel. Dann kamen 25 in die engere Wahl. Jetzt bin ich bei elf Stücken gelandet und hoffe, damit viele Reaktionen zu provozieren - frei nach dem Motto: "Wie konnten Sie bloß diese oder jenes Stück vergessen?!?"  Darauf kann ich nur antworten: Meine Wahl ist rein subjektiv.

Bach: "Air"

Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach (1685-1750)Bild: picture-alliance/dpa/Bachhaus Eisenach

Bei diesem Komponisten fällt mir die Wahl besonders schwer. Wie wäre es mit der dröhnenden "Orgeltoccata in D-Moll"? Oder ist es etwa das Chorstück "Jesu, meiner Seelen Wonne" aus der Kantate "Herz und Mund und Tat und Leben" - deren Zwischenmelodie so verzaubert, dass die Chorsänger darüber ihre Einsätze verpassen? Oder vielleicht das Brandenburgische Konzert Nr. 3 mit seiner mitreißenden Energie? Dann gibt es die durch einen lockeren Zweitakt gekennzeichnete "Badinerie" aus der Orchestersuite Nr. 2, die bei eingehenden Telefonaten auf Tausenden von Handys ertönt. All diese Stücke könnten in die Top-Ten der allzeit beliebtesten Klassik-Melodien gelangen. Meine Wahl fällt jedoch auf den Satz mit der Bezeichnung "Air" aus einer anderen Orchestersuite von Bach, die Dritte in D-Dur. Auf den warmen, sanften Wogen der Tonfolgen in diesem Stück wird man ins Paradies fortgetragen - oder landet dort vielmehr schon gleich bei den ersten Noten. Ein obligatorisches Stück in jedem Meditationsstudio und in jeder psychologischen Praxis - und nicht nur dort.

Beethoven: "Ode an die Freude"

Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Ludwig van Beethoven (1770-1827)Bild: picture-alliance/Leemage/L. Ricciarini

Zwischen "Für Elise" und der "Pathétique," die von unzähligen Klavierstudenten gestaltet oder verunstaltet wurden, fällt bei Beethoven die Wahl des wichtigsten Dauerbrenners besonders schwer. Nichts kann das "Ta-ta-ta-TAAAHHH" der Fünften Sinfonie, das als erster Riff der Musikgeschichte geschrieben wurde, im Bekanntheitsgrad übertreffen. Dennoch habe ich mich für das Finale aus der Neunten Sinfonie entschieden. Im Text geht es um die Utopie einer Verbrüderung der Menschheit, die Melodie ist die Hymne der Europäischen Union. Die Sinfonie mit dem Schlusschor ist aus Neujahrskonzerten nicht wegzudenken. Sie wird auch bei großen Ereignissen gern gespielt - beispielsweise bei der Eröffnung der Elbphilharmonie im Januar 2017 in Hamburg. Übrigens: Ludwig van Beethovens Neunte Sinfonie ist fast das einzige nicht-Wagnersche Werk, das je in Richard Wagners Festspielhaus in Bayreuth erklang. Keine schlechte Bilanz für einen Komponisten, der beim Niederschreiben schon völlig taub war.

Bizet: "Habanera" aus "Carmen"

Georges Bizet (1838-1875), French composer, 1911.
Georges Bizet (1838-1875)Bild: picture-alliance/Heritage-Images/The Print Collector

Eine schöne, dunkelhaarige Verführerin, Liebe, Eifersucht, Freiheit und Tod: All das steckt in der Arie "Habanera", oder "L'amour est un oiseau rebelle" (Die Liebe ist ein wilder Vogel). Sie wird von einer Zigeunerfrau gesungen, die das Herz eines Soldaten erobert hat. Dieses Stück  ist jedoch nur eins der beliebten Melodien aus der wohl beliebtesten Oper der Welt. Doch auch darüber werden die Meinungen wohl auseinandergehen. Viele meinen, die Ehre gilt Mozarts "Zauberflöte". Aber ich sollte nicht zu weit vom Thema abschweifen...

Haydn: Deutschlandlied

Keine Nationalhymne kann die US-amerikanische "The Star-Spangled Banner" in Sachen Steifheit und schwerer Singbarkeit überbieten. Eine erhabenere als "God Save the Queen" wäre dagegen unvorstellbar. Aber wenn es um die schiere Schönheit der Komposition geht, steht das "Deutschlandlied" wohl an erster Stelle. Die Melodie stammt aus einem Streichquartett von Joseph Haydn. Schon bevor Deutschland als Nationalstaat existierte, erklang die Melodie als Hymne für ein österreichisches Staatsoberhaupt: "Gott erhalte Franz den Kaiser".

Übrigens: In der englischsprachigen Welt herrscht immer noch das weit verbreitete Vorurteil, dass man gleich zu Beginn "Deutschland, Deutschland über alles" singt. Doch damit war schon nach dem Zweiten Weltkrieg Schluss. Als Nationalhymne wird heute die ursprünglich dritte Strophe gesungen. Als Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1841 den Text verfasste, ging es ihm in der heute verpönten Strophe übrigens nicht um die Verherrlichung Deutschlands. Er wollte lediglich ausdrücken, wie sehr er seine Heimat liebte.

"L'homme armé" (Der bewaffnete Mann)

In den Klassik-Charts wird man die Melodie vergebens suchen. Aber im späten 14. Jahrhundert war das Lied, das vor bewaffneten Männern warnte, so beliebt, dass es in vielen Messevertonungen im frankophonen und flämischen Bereich auftauchte. Eine anti-militärische Haltung ist offenbar kein neuzeitliches Phänomen. Ein weiterer mittelalterlicher Hit ist übrigens unter dem Namen "Lachrimae pavan" bekannt; diese Melodie erklingt in unzähligen Liedern und Instrumentalstücken verschiedener Komponisten.

Mozart: "Eine kleine Nachtmusik"

Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)Bild: picture-alliance/dpa/A. Bernhaut

Dieses Stück ist irgendwo in einer längeren Serenata versteckt und könnte schnell übersehen werden. Doch es brennt sich gleichsam ins Gehirn ein: Auf ein aufsteigendes Motiv, das wie ein Raketenstart die Aufmerksamkeit auf sich zieht, folgt eine absteigende Antwort. Und auch nach diesen ersten paar Sekunden enttäuscht Mozart nicht mit dem, was folgt. Einfach genial. Übrigens: Anfang der 1990er Jahre wurden schwangere Frauen und junge Mütter ermutigt, ihren Nachwuchs mit Mozart-Klängen zu beschallen, Mozart sei für gut den IQ des Kindes. Gibt es einen Anstieg in der kognitiven Fähigkeit der mittlerweile Volljährigen? Das wäre ein interessantes Forschungsprojekt.

Pachelbel: Canon

Eine weitere Melodie, die auf vielen Handys verewigt wurde: Dieses Stück wurde in den USA in den 1990er Jahren von Klassiksendern bis zur Übersättigung abgespielt - und trotzdem konnte man es immer wieder hören. Die Musik von Johann Pachelbel ist kaum bekannt, aber dieses Klassik-Ständchen mit Sogwirkung hat wohl aus Tausenden von Menschen zumindest zeitweise Klassikfans gemacht - auch wenn sie sich sonst nicht für das Genre erwärmen konnten.

Ravel: "Bolero"

Maurice Ravel
Maurice Ravel (1875-1937)Bild: picture-alliance/maxppp/Leemage/Costa

Bei der Premiere des Balletts zur Musik von Maurice Ravel im Jahre 1928 an der Pariser Oper schrie eine Frau auf: "Hilfe! Er ist verrückt!" Der Komponist soll daraufhin gesagt haben: "Sie hat es begriffen." Ravel war später selbst von der andauernden Beliebtheit seines Werks verblüfft. "Ich habe nur ein Meisterwerk geschaffen, den Bolero", sagte er. "Leider gibt es keine Musik drin." Diese Nicht-Musik besteht aus einer langen, träumerischen Melodie, auf die eine exotische Antwort folgt. Beide wechseln sich immer wieder ab und führen den Hörer durch alle Instrumentalbereiche und Klangfarben des Orchesters. Das Ganze steigert sich kontinuierlich an Kraft und Lautstärke - bis zum abrupten Finale. 

Strauss: "An der schönen blauen Donau"

"Leider nicht von mir": So beschrieb Johannes Brahms das Stück. Es stammte stattdessen aus der Feder von Johann Strauss dem Jüngeren, der mit seinem reisenden Orchester der wohl erste Popstar der Musikgeschichte wurde. Und dieses Stück war eines seiner großen Hits - wenn auch nicht von Anfang an. 1865 wurde Strauss beauftragt, ein Werk zu schreiben, das seine Landsleute nach einer militärischen Niederlage im Streit mit Preußen aufheitern sollte. Das Werk mit gesungenem Text war nur mäßig erfolgreich, doch das änderte sich bald - dank der Orchesterfassung. Heute gilt der Donauwalzer als Inbegriff alles Wienerischen und als inoffizielle Staatshymne Österreichs. Man kann diesem Walzer nicht entrinnen - weder in Wien noch anderswo auf der Welt - nicht mal im Weltall: Die anmutigen Klänge begleiten das Andocken zweier Raumschiffe in Stanley Kubricks legendären Film "2001: Odyssee im Weltraum" aus dem Jahr 1967.

Vivaldi: "Die vier Jahreszeiten"

Antonio Vivaldi (1678-1741), 1725. Artist: Morellon de la Cave, François (ca 1700-1755)
Antonio Vivaldi (1678-1741)Bild: picture-alliance/Heritage Images/Fine Art Images

Das Stück wird selbst von Menschen wiedererkannt, die sonst nie Klassik hören. Ist es der heitere "Frühling," der Sturm in "Sommer" oder die gefrorene Landschaft in "Winter"? Welcher Satz in diesem Geigenkonzert-Zyklus von Antonio Vivaldi am ehesten das kollektive Bewusstsein erobert hat, ist unklar. Der spätere Komponist Igor Strawinsky sagte einmal abwertend: Vivaldi habe dasselbe Konzert 500 Mal komponiert. Darüber kann man streiten, aber nicht darüber, dass dieses Werk besonders herausragt - unabhängig von der Jahreszeit.

Wagner: Brautchor aus "Lohengrin"

Der "Walkürenritt" gilt zwar als urtypische Wagnermusik, aber viel häufiger wird der Brautchor aus dem zweiten Akt von Richard Wagners romantischer Oper "Lohengrin" gespielt: Er erklingt nämlich bei Hochzeiten in aller Welt. In der Oper läutet die Musik allerdings ein Eheglück ein, das die Brautnacht nicht überdauert. Und - typisch für Wagner: Die Frau ist daran schuld. Elsa besitzt nämlich die Unverfrorenheit, ihren frisch angetrauten Gemahl die - in der Geschichte - verbotene Frage zu stellen: Sie erkundigt sich nach seiner Herkunft. Diese Melodie hat jedenfalls alle Ehen überlebt. Danach, an zweiter Stelle, rangiert der Hochzeitsmarsch aus "Ein Mitsommernachtstraum" von Felix Mendelssohn Bartholdy.

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