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Die Hände im Schoß

Henrik Böhme20. April 2002

Der erwartete Konjunkturaufschwung darf nicht die Reformdefizite in Deutschland verdecken. Ein Kommentar von Henrik Böhme zum Abschluss der Hannover Messe 2002.

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Es mag ein Zufall gewesen sein - aber die Meldung aus dem Bundesfinanzministerium kam für die größte Industriemesse der Welt zum richtigen Zeitpunkt: Die deutsche Industrie hat zu Beginn des Jahres deutlich mehr produziert, als von Experten erwartet worden war. Das Plus beträgt zwar nicht einmal einen Prozentpunkt, aber in Zeiten wie diesen ist man ja schon mit wenig zufrieden.

Und so waren die Tage auf dem riesigen Messegelände von Hannover auch ein Spiegelbild der derzeitigen wirtschaftlichen Lage. Unisono verkündeten Veranstalter und Aussteller vorsichtigen Optimismus: Ja, es geht wieder aufwärts mit der Konjunktur, spätestens nach den Sommerferien.

Denn alle sehen ja den Aufschwung, spüren die Anzeichen: Die Industriezweige, die sogenannte Vorprodukte herstellen, verzeichnen ein Plus bei den Aufträgen. Das betrifft beispielsweise Unternehmen der Chemie- und Metallbranche und sogar die Halbleiterhersteller.

Zudem vernimmt man positive Konjunkurdaten aus den USA - vor allem auf eine Erholung jenseits des Atlantiks richten sich die Hoffnungen der deutschen Wirtschaft. Natürlich können nicht alle diesen Optimismus teilen. Für viele kleine und mittelständische Unternehmen kommt die Wende zu spät - viele werden wohl den Aufschwung gar nicht mehr erleben.

Ob der Bundeskanzler, der bei seinem Messe-Rundgang diese Wahrheit von so manchem kleinen Aussteller gesagt bekam, daraus die richtigen Schlüsse zieht, darf bezweifelt werden. Denn das einzige, was Gerhard Schröder zu sagen hatte, war eine Warnung. Eine Warnung davor, den Aufschwung aus vordergründigen Motiven kaputt zu reden.

Warum ging er mit keiner Silbe auf die mehrfach geäußerte Forderung ein, den deutschen Arbeitsmarkt grundlegend zu entrümpeln und damit Arbeitslosigkeit abzubauen? Alle internationalen Organisationen bescheinigen der deutschen Wirtschaft immer wieder, dass sie den konjunkturellen Einbruch des vergangenen Jahres im internationalen Vergleich am schlechtesten verdaut hat - unter anderem wegen des unflexiblen, bürokratischen und verkrusteten Arbeitsmarktes.

Sollte die Regierung Schröder die erhoffte und erwartete konjunkturelle Erholung nur als Wahlkampfmunition nutzen und womöglich noch als Erfolg der eigenen Politik verkaufen, wäre sie schlecht beraten: das könnte ganz schnell zum Rohrkrepierer werden. Kommt der Aufschwung, dann kann und darf er keinesfalls die Reformdefizite in Deutschland verdecken.