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Berlin: Wowereits Konkurrenten chancenlos

18. September 2011

In Berlin wird am Sonntag ein neues Stadt-Parlament gewählt. Der Sozialdemokrat Klaus Wowereit hat beste Chancen auf eine weitere Amtszeit. Manche sehen in ihm den künftigen Herausforderer von Kanzlerin Angela Merkel.

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Amtsinhaber Wowereit bei der Stimmabgabe
Amtsinhaber Wowereit bei der StimmabgabeBild: picture alliance / dpa

"Reich, aber sexy" sei Berlin, meint das Sprachrohr des deutschen Bildungsbürgertums, die wöchentlich erscheinende "Zeit". Damit spielt das auflagenstarke Blatt auf ein Bonmot Klaus Wowereits an. Der Regierende Bürgermeister, wie der Senatschef in Berlin heißt, kokettiert angesichts einer Schuldelast von über 60 Milliarden Euro gerne mit dem Satz, seine Heimatstadt sei "arm, aber sexy". In Wirklichkeit ist Berlin beides: arm und reich – und sexy sowieso.

Das merkwürdig widersprüchliche Image entspringt einerseits den ökonomischen Fakten (arm an Geld), andererseits dem Lebensgefühl (reich an Ideen). Was die international seit Jahren stark angesagte deutsche Hauptstadt daraus macht, wird über den Wahltag hinaus eine offene Frage sein. Einigermaßen sicher scheint zu sein, dass der seit 2002 mit den Postkommunisten regierende Sozialdemokrat Klaus Wowereit sich seinen künftigen Koalitionspartner aussuchen kann.

Eine Frau geht an einem großen Wahlplakat vorbei. Darauf abgebildet ist der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der einer älteren Dame die Hand hält. Das Motto lautet: "Berlin verstehen. (Foto: dpa / Wolfram Steinberg)
Favorit Klaus Wowereit scheint zu wissen, wie die Berliner ticken.Bild: picture-alliance/dpa

Herausforderer dümpeln bei 20 Prozent

Einer der aussichtslosen Herausforderer ist Frank Henkel, dessen Christdemokraten (CDU) in Umfragen ebenso wie die Grünen bei 20 Prozent liegen und damit weiter hinter der SPD (30 Prozent). Henkel, der wie Wowereit aus Berlin stammt, hofft nach einem Jahrzehnt in der Opposition als Juniorpartner an die Macht zurückkehren zu können. Im TV-Duell des regionalen Senders "RBB" kritisierte er seinen Konkurrenten für dessen Wirtschaftspolitik. Er habe ihm schon vor Jahren vorgehalten, dass es falsch gewesen sei, sich einseitig auf Dienstleistungen, Kreativ-Wirtschaft und Tourismus zu fokussieren, moserte Henkel. "Gemessen an der Größe der Stadt ist unsere Wirtschaftskraft zu gering."

Die Statistik gibt dem CDU-Mann auf den ersten Blick recht. Mit knapp 14 Prozent ist die Arbeitslosigkeit in Deutschlands östlichster Großstadt doppelt so hoch wie im republikweiten Durchschnitt. Seit dem Fall der Mauer hat Berlin weit über 100 000 Industrie-Arbeitsplätze verloren. Im wichtigsten deutschen Aktienindex (DAX) der 30 größten und umsatzstärksten Unternehmen ist keines aus Berlin dabei. Dennoch glaubt Regierungschef Wowereit an eine Trendwende.

Der neue Flughafen soll Arbeitsplätze bringen

Seine Hoffnungen ruhen vor allem auf dem neuen Großflughafen, der nach dem früheren Berliner Bürgermeister, Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger Willy Brandt benannt wird. Im Sommer 2012 soll das internationale Drehkreuz nach einigen Verzögerungen endlich eröffnet und der innerstädtische Flughafen Tegel geschlossen werden. Der Flughafen soll Schätzungen zufolge 40.000 neue Arbeitsplätze bringen. "Und dieser Flughafen ist auf Expansion ausgelegt", betont Wowereit die Potenziale.

Ein rot-weißes Flugzeug mit dem Schriftzug "Air Berlin" soll die Hoffnungen illustrieren, die mit dem neuen Flughafen verbunden werden. (Foto: AP / Gero Breloer)
Wowereits Vision für Berlin: Durchstarten mit Hilfe des künftigen Großflughafens.Bild: AP

Seine politischen Gegner hofften lange, mit dem umstrittenen Neubau erfolgreich Stimmung gegen Sozialdemokraten und Linke machen zu können. Zwar gibt es wegen des zu erwartenden Fluglärms ständig irgendwo Proteste gegen das Prestige-Objekt, doch die Popularität des über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Regierungschefs hat darunter nicht gelitten. Das war schon 2008 so, als die CDU einen Volksentscheid gegen die Schließung des legendären Flughafens Berlin-Tempelhof erwirkte – und verlor.

Immer mehr Touristen kommen nach Berlin

Das war um so erstaunlicher, weil dieser Ort für die Berliner von geradezu mystischer Bedeutung ist. Hier stand die Wiege der zum Global Player aufgestiegenen "Lufthansa". Und vor allem starteten und landeten hier im Kalten Krieg die Flugzeuge der Alliierten, um während der sowjetischen Blockade 1948/49 den zwei Millionen Menschen im West-Teil der Stadt das Überleben zu ermöglichen.

Den Ausbau der Infrastruktur hält Wowereit für entscheidend, um Berlins Attraktivität nicht nur zu erhalten, sondern weiter zu erhöhen. Unter den beliebtesten europäischen Reise-Zielen rangiert die Stadt mit rund 20 Millionen Übernachtungen inzwischen hinter London und Paris auf Rang drei, noch vor Rom. Die Besucher aus aller Welt lassen eine Menge Geld in Berlin.

Am Ruf, internationale Party-Hauptstadt zu sein, hat der lebenslustige Bürgermeister kräftig mitgewirkt, weil er gerne die Nacht zum Tage macht. Auch das nehmen ihm die meisten nicht übel, so lange sie Eindruck haben, dass er sich auch um die Stadt als Ganzes kümmert.

Grünen-Politikerin Künast gibt sich geschlagen

Die Grünen-Spitzenkandidatin Renate Künast mit ausgebreiteten Armen während einer Wahlkampf-Veranstaltung. Auf der Wand hinter dem Redner-Pult steht das Wahlkampf-Motto "Für Berlin". Die (Foto: dapd / Clemens Bilan)
Was soll ich machen? Renate Künasts Aussichten sind schlecht.Bild: dapd

Vor rund einem Jahr, im Herbst 2010, sah es so aus, als könnten die Grünen das Rote Rathaus erobern, in dem der Berliner Senat seinen Sitz hat. Die Umwelt-Partei schickte ihre Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Renate Künast, als Spitzenkandidatin ins Rennen. Doch den Umfrage-Vorsprung hat sie im Wahlkamp schnell wieder eingebüßt. Inzwischen hat sich die frühere Bundesministerin damit abgefunden, dass ihre Grünen die Wahl bestenfalls als zweiter Sieger beenden werden. Deshalb buhlt Künast schon mal um die Gunst Wowereits und erteilte den Konservativen eine Absage. Bei Themen wie innerer Sicherheit und Bildung erlebe sie die CDU immer mehr als rückwärtsgewandte Partei. "Wir haben die größte Schnittmenge mit der SPD, und das wäre mir das Liebste", gibt die Grünen-Politikerin zu.

Bildung und innere Sicherheit spielten im zu Ende gehenden Wahlkampf letztlich eine untergeordnete Rolle. Dabei liegt durchaus einiges im Argen. In nationalen Vergleichstests erhalten die Hauptstadt-Schulen oft schlechte Noten, und fast tägliche Brandanschläge auf Autos sorgten wochenlang für Schlagzeilen. Beides versuchten Wowereits Kontrahenten, darunter auch die um ihre Existenz bangenden Liberalen, auszuschlachten. Auch diese Versuche schlugen fehl, weil sich die Mehrheit der Berliner in ihrer Stadt trotzdem einigermaßen sicher fühlt.

Rechtsextreme werden links liegengelassen

Auch mit Ausländer-Ressentiments, wie sie vor allem die rechtsextreme NPD pflegt, kann man in der 3,4-Millionen-Metropole nicht ernsthaft punkten. Die Neonazis sind in Umfragen kaum messbar. Plumpe Parolen, wie "Wehrt Euch!", verfangen im weltoffenen Berlin nur bei ganz wenigen. Anderen Rechtsablegern geht es genauso. Die Partei eines ehemaligen CDU-Politikers, die sich "Freiheit" nennt, ging erfolglos mit dem niederländischen Rechts-Populisten Geert Wilders auf Stimmenfang.

Klaus Wowereit, der amtierende und wohl auch künftige Regierende Bürgermeister, reagiert auf die Ausfälle am rechten Rand gelassen. Das Thema Migration nimmt er aber keinesfalls auf die leichte Schulter. Denn dass es noch viel zu tun gibt, ist unübersehbar. Das gilt besonders für die sogenannten bildungsfernen Schichten. Wowereit verweist mit Stolz darauf, dass in Berlin Menschen aus 190 Nationalitäten zusammenleben, "und Gott sei Dank auch weitestgehend friedlich".

Wowereit könnte Kanzlerkandidat werden

Ein Mädchen greift Klaus Wowereit mit einer Puppenfigur an die Nase. Beide lachen dabei. Das großflächige Wahl-Plakat steht überall in Berlin. Motto: "Berlin verstehen". Foto: Axel Schmidt/dapd
Klaus Wowereit hat ein Näschen für die Stimmung in seiner Stadt.Bild: dapd

Immigration gelinge jeden Tag, aber man habe auch Probleme, räumt der Wahl-Favorit ein. Vor allem die Schulen sollen von gezielten Maßnahmen profitieren, unter Einbeziehung der Eltern. "Wenn es in der Schule Fördermaßnahmen gibt, aber das im Elternhaus auf keine Resonanz stößt, dann wird das nicht gelingen", ist der Sozialdemokrat überzeugt. Dabei unterscheidet er nicht zwischen deutschen Familien und jenen mit Migrationshintergrund. Wichtig sei es, den Aufstiegswillen wiederzubeleben. Wowereit selbst stammt aus einfachen Verhältnissen.

Sollte es so kommen, wie alle Experten vorhersagen, wird die deutsche Hauptstadt bis 2016 weiter von der SPD regiert. Ob der Bürgermeister die ganze Zeit über Klaus Wowereit heißen wird, daran hegen manche längst ihre Zweifel. Denn ein dritter Wahl-Sieg in Folge ließe den 57-Jährigen Ur-Berliner endgültig zu einem ernsthaften Anwärter auf die Kanzler-Kandidatur für die SPD werden. Kanzlerin Angela Merkel wird die weitere Entwicklung bis zur Bundestagswahl 2013 sicherlich genau beobachten.

Autor: Marcel Fürstenau
Redaktion: Hartmut Lüning