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"Die Herzen aller Menschen erobern"

19. Juni 2010

Einwanderer stärken, Bündnisse intensivieren, die Herzen der Menschen erobern – im DW-WORLD-Interview spricht Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff über seine Ziele im Fall seiner Wahl zum Bundespräsidenten.

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Christian Wulff (Foto: dpa)
Bild: picture alliance / dpa

DW-WORLD.DE: Herr Ministerpräsident, was zeichnet aus Ihrer Sicht im Jahre 2010 einen deutschen Präsidenten aus? Wie muss der sein?

Wulff: Ich meine, dass ein Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland in der Lage sein muss, Menschen zusammenzuführen, Brücken zu bauen, auszusöhnen, Dialog zu organisieren, Debatten zu führen - auch zwischen verschiedenen Herkünften, Religionen und Sprachen. Und man muss eine sehr starke globale Sicht haben, weil viele Fragen wie die nach Weltklima, Weltfrieden, Terrorbekämpfung überhaupt nur international anzugehen sind. Also, man muss auch Deutschland in der Welt gut repräsentieren.

Zurzeit ist nicht nur ganz Deutschland, sondern die ganze Welt im Fußballfieber. Aber Deutschland natürlich auch. Die deutsche Nationalmannschaft spielt mit Spielern der ersten und zweiten Einwanderungsgeneration mit deutschem Pass. Ist Deutschland für sie heute ein Einwanderungsland.

Wir haben viel Einwanderung erlebt. Glücklicherweise. Wir brauchen diese Menschen bei uns in unserem Land an allen Stellen. Nicht nur im Sport, in der Kultur, auch in der Wirtschaft, in der Gesellschaft, in der Politik, in den Parlamenten. Aber: Wir waren bisher nicht ein klassisches Einwanderungsland wie Neuseeland, Australien, Kanada oder die USA – die ganz klar definiert haben, zu welchen Bedingungen Menschen ins Land kommen. Bei uns war das eher zufallsgesteuert, da müssen wir jetzt einen besser geordneten Prozess der Integration dieser Menschen in unserem Land bewältigen. Wir haben sehr viele Beispiele gelungener Integration. Die sollten wir auch mehr herausstellen. Ich bin der erste Regierungschef in Deutschland gewesen, der eine Muslima als Ministerin berufen hat. Um deutlich zu machen: Auch die muslimischen Mitbürger – die inzwischen drei, vier Millionen in unserem Land - haben einen Anspruch darauf, in den Regierungen an entscheidender Stelle vertreten zu sein.

Was müssen diese Muslime als Vorraussetzungen mitbringen, damit sie in Regierungen oder in der Gesellschaft ganz allgemein Verantwortung übernehmen? Inwieweit müssen sie sich auch auf unserer Land einlassen?

Sie bringen ja eine ganz hohe Motivation mit. Sie bringen Kenntnisse anderer Kulturen, anderer Sprachen aus ihren Elternhäusern mit. Und sie müssen natürlich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung anerkennen. Das ist selbstverständlich. Aber, wir müssen nicht nur von ihnen etwas, sondern sie können auch von uns erwarten, dass wir ihnen hier gleiche Chancen geben wie Einheimischen, die schon seit Jahrhunderten hier leben.

Sie sind langjähriger Ministerpräsident von Niedersachsen – einem großen bedeutenden Land der alten Bundesländer und gleichzeitig ein Land, das an der Grenze zur früheren DDR lag. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung - was ist ihre vorläufige Bilanz? Sind wir schon wieder ein Land?

Wir sind ein wiedervereinigtes Deutschland, das dem Frieden dienen will, das auf Recht und Freiheit gründet. Aber wir müssen noch mehr Interesse aneinander und den verschiedenen Biografien entwickeln. Es gibt aus meiner Sicht zu wenig Anerkennung für die Lebensleistung vieler in Ostdeutschland, die sehr viel mehr Veränderungen organisiert haben, Veränderungsprozesse durchlebt haben, als wir in Westdeutschland. Und deswegen verdient der Ostdeutsche, der diese Dinge in den letzten zwei Jahrzehnten voran gebracht hat, einfach viel mehr Respekt und Anerkennung. Da könnten wir noch mehr an gegenseitiger Zuneigung entwickeln.

Mit der deutschen Einheit begann auch für Deutschland eine Phase gewachsener Verantwortung in der Welt. Deutsche Soldaten sind heute in Afrika, im Kosovo und vor allem in Afghanistan im Einsatz. Worum geht es bei diesen Auslandseinsätzen der Bundeswehr aus ihrer Sicht?

Vor allem geht es um verlässliche Völkerfreundschaft, um verlässliche Partnerschaft in internationalen Bündnissen. In der Nato, in den Vereinten Nationen ist es wichtig, dass es ein internationales Mandat gibt und dass man dort dann auch bereit zur Übernahme von Verantwortung ist, innerhalb dieser Bündnisse, also keine nationale Außenpolitik zu betreiben, sondern sich als verlässlicher Partner in den Bündnissen zu erweisen.

Mal über das Militärische hinaus: Welche Rolle spielt für sie Deutschland in der Welt, wer sind unsere Partner in der Welt?

Also erstmal sollten wir ein sehr guter Partner innerhalb Europas sein. Europa ist eine riesige Erfolgsgeschichte. Dann die transatlantischen Beziehungen zu Amerika: Sie befreiten Deutschland am Ende des zweiten Weltkrieges vom Nationalsozialismus. Deutschland hat von den Amerikanern Hilfe bekommen mit dem Marshall-Plan beim Aufbau des Landes. Das sollten wir nie vergessen. Und wir sollten wissen, dass die Amerikaner die deutsche Einheit mit ermöglicht haben. Wir haben viele Veranlassungen diese Beziehung zu intensivieren – zu beiderseitigem Nutzen.

Ich möchte auch einen Beitrag leisten, die Beziehungen zu China, zu Japan und Indien auzubauen – zu wichtigen Ländern mit sehr vielen Menschen, mit noch großem Gefälle im Falle China und Indien zwischen Arm und Reich. Dass wir aber auch die Beziehungen zu den Golfstaaten ausbauen, zu den Vereinigten Arabischen Emiraten, zu Katar und anderen Ländern. Und dass wir unsere Verantwortung für Israel wahrnehmen und das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat dabei nie aus dem Auge verlieren.

Lassen sie mich noch mal auf Europa kommen. Wir haben in Europa zurzeit, bedingt auch durch eine Weltwirtschaftskrise, handfeste wirtschaftliche und finanzielle Probleme. Die Bundeskanzlerin hat vor Kurzem einmal gewarnt vor einem Auseinanderbrechen Europas. Ihre Partei, die CDU, mit Konrad Adenauer angefangen, steht für die europäische Einigung wie keine andere in diesem Land. Wie schief hängt denn aus ihrer Sicht der europäische Haussegen? Müssen wir uns Sorgen machen?

Wir haben jetzt große Probleme zu bewältigen – aber als Herausforderung. Die Währung Euro muss stabil bleiben. Wir müssen raus aus der schuldenfinanzierten Krisenbekämpfung auch in europäischen Ländern. Das ist aber auch ein Problem, das Japan und Amerika kennen. Das wird aber alles gelöst werden, weil wir eine gemeinsame Grundüberzeugung haben: dieses vereinte Europa mit rund 500 Millionen Menschen. Und das ist viel funktionstüchtiger, viel erfolgreicher als diese Debatten scheinen. Ich glaube von der Europäischen Kommission in Brüssel aus werden die Gegensätze überwunden, weil die Gemeinsamkeiten viel größer sind.

Herr Wulff, wir sind ungefähr gleich alt, deswegen verzeihen sie mir, oder gestatten sie mir die Frage: Kann ein Mann mit 51 Jahren Vater der Nation sein?

Ich bin Vater einer 16-jährigen Tochter, eines zweijährigen Sohnes - insofern kann man schon mal Vater sein. Vater einer Nation - natürlich denkt man da immer an erheblich Ältere, aber älter werden wir jeden Tag automatisch und ich habe es immer als großes Lob empfunden, wenn vor Jahren von mir als Landesvater in Niedersachsen gesprochen wurde, weil es so eine Geborgenheit, eine Verantwortlichkeit, so etwas Verbindendes beinhaltet. Und deswegen: Wenn in Jahren gesagt würde, der Mann war ein Stück weit Vater der Nation, dann wäre das ein ganz großes Kompliment.

Sie wären im Falle ihrer Wahl der 10. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Wer ihrer Vorgänger kommt einem Vorbild aus ihrer Sicht am nächsten?

Ich verbinde mit jedem der neun bisherigen Bundespräsidenten Deutschlands etwas Positives. Aber ich kenne natürlich mehr die letzten vier, fünf Bundespräsidenten. Von denen empfinde ich Roman Herzog mit seinen Reden - Berliner Reden, die so genannten Ruckreden: Wir müssen uns anstrengen, wir müssen was tun, wir müssen uns mehr engagieren! – sehr vorbildhaft. Und letztlich auch Horst Köhler mit seinen Anstößen zu verschiedenen Feldern. Als er im Finanzmarktbereich von Monstern gesprochen hat, da kann ich sehr viel abgewinnen. Wie er sich für Afrika eingesetzt hat. Wie er versucht hat, den Graben zwischen Bürgern und Politik zu schließen. Also Horst Köhler, Roman Herzog das wären die beiden, die ich nennen würde, wenn sie mir abverlangen, mich auf zwei festzulegen.

Es gibt drei Kandidaten für das Amt als Bundespräsidenten. Und wenn, ich mir das bisschen angucke, dann habe ich den Eindruck, als ob es von zumindest einem Kandidaten so eine Art Wahlkampf im Internet gibt, wo auch versucht wird zu mobilisieren. Finden Sie das angemessen, dass in der Auseinandersetzung um die Wahl Richtung Wahlkampf geht oder ist das nicht die deutsch Tradition?

Es läuft in Deutschland ausgesprochen fair, ausgesprochen engagiert. Und mehrere Kandidaten zu haben, aus denen ausgewählt werden kann, ist Demokratie. Und dass über Internet, über Twitter, über Facebook, über all die Möglichkeiten versucht wird, auf die Bundesversammlung, auf die Wahlmänner und Wahlfrauen Einfluss zunehmen, das ist wirklich gelebte Demokratie. Das Schöne ist, dass es sehr fair ist, dass wir über den anderen nur positiv sprechen. Und auch gar keine Veranlassung haben, negativ zusprechen. Also da können wir Deutschen sehr zufrieden sein. Wir werden einen Präsidenten bekommen, der eine große Mehrheit bekommt, der dann auch vom Volk nicht gefürchtet werden muss, wo die Chance besteht, dass man sehr schnell die Herzen der Deutschen erobert. Was mir wichtig wäre – die Herzen aller Menschen in Deutschland. Und darüber hinaus auch in der Welt, ein paar Herzen zu erobern, auch für Deutschland, weil wir unsere Interessen der Welt auch sympathisch rüberbringen wollen.

Das Gespräch führte Christoph Lanz

Redaktion: Michael Borgers