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Ein irritierender Roman

Cornelia Rabitz22. April 2012

Vor zwölf Jahren löste das Buch in Frankreich einen Skandal aus. Jetzt ist der umstrittene Roman des französisch-jüdischen Schriftstellers auf Deutsch erschienen. Ein Wechselspiel, das Ansprüche an die Leser stellt.

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Autor Marc Weitzmann (Foto: Schöffling)
Bild: Isabelle Boccon-Gibod c/o Schšffling & Co.

Marc Weitzmanns Buch ist ein Mix aus Fiktion und Realität, ein Roman, dem eine wahre Geschichte zu Grunde liegt. Es geht um einen Kriminalfall, der sich in Südfrankreich abgespielt hat. 1991 verschwindet dort ein neunjähriger Junge spurlos. Unter Mordverdacht gerät sein Vater, ein angesehener Tierarzt, streng und selbstgerecht - unerträglich in seiner besitzergreifenden Attitüde.

Es entspinnt sich ein spektakulärer Justizprozess, der das Land regelrecht in Atem hält und Gerüchte über zerrüttete Familienverhältnisse kursieren lässt.

Familienkatastrophen

Von einem jahrelangen Ehekrieg der Eltern ist die Rede, einem jüdischen Liebhaber der Frau - angeblich der Vater des Kindes - von dem darauf völlig aus der Bahn geworfenen Ehemann. Man munkelt, der beim Vater zurück gelassene Junge müsse zur Strafe für unbotmäßiges Verhalten eine Hakenkreuz-Binde am Arm tragen.

Und dann der sadomasochistische Gipfel: Der katholische Tierarzt nimmt an sich eine Selbstbeschneidung vor, eine Prozedur, die auf grauenhafte Weise haarklein beschrieben wird. Schließlich die Vermutung, er habe das Kind getötet und im Verbrennungsofen (!) seiner Veterinärpraxis eingeäschert. Sechs Jahre später wird der Arzt wegen Mordes zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. Sein Tatgeständnis hat er widerrufen.

Cover des Romans "Mischehe" (Foto: Schoeffling)

Perspektivenwechsel

Dies alles, verstörend genug, wird von Marc Weitzmann detailgenau und eindringlich aus der Sicht des Ehemanns rekapituliert. Doch die Perspektive bricht nach etwa 70 Seiten abrupt ab. Plötzlich gibt es einen Erzähler, wie Weitzmann selbst mit jüdischen Wurzeln, der sich, angeregt durch die Berichterstattung in den Medien, für den Fall interessiert. Nun kommen andere Faktoren hinzu: die Selbstreflexion des Schriftstellers, Fragen zur Rolle von Vätern, Identitätskrisen, Probleme des Judentums - bohrend, unruhig, irritierend.

Und noch einmal wechselt die Perspektive: In einem furiosen Schlussteil wird aus dem beobachtenden Autoren-Ich ein Voyeur, ein von Obsessionen getriebener kriminalistischer Ermittler. Am Ende trifft er auf die Mutter des verschwundenen Jungen und das Buch kulminiert in einem sarkastisch-drastischen Showdown. Marc Weitzmann hat einen fulminanten, zwischen Fakten und Fiktion schillernden, aber stellenweise auch gekünstelten Roman geschrieben. Manche Leser wird er ratlos zurücklassen. Andere werden sich an seinem provokanten Ton freuen.

Marc Weitzmann "Mischehe". Roman. Aus dem Französischen von Uli Aumüller und Patricia Klobusiczky. Schöffling Verlag, 293 Seiten, ISBN 978-3-89561-417-0, 19,90 Euro