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Leipzig liest

19. März 2010

Leipzig liest. Natürlich an den vier Tagen der Buchmesse. Über 2000 Veranstaltungen an über 300 Leseorten in der gesamten Innenstadt kann man besuchen. Doch Leipzigs Literaten sind auch den Rest des Jahres äußerst aktiv.

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Lesung in der Leipziger Moritzbastei (Foto: Ronny Arnold)
Bild: Ronny Arnold

Es ist kurz nach 22 Uhr, als Ulrike Almut Sandig endlich mit ihrer Lesung beginnen kann. Die Absolventin des Deutschen Literaturinstituts liest aus ihrem gerade erschienenen, ersten Erzählband "Flamingos". Für ihre früheren Gedichtsammlungen hat die Leipzigerin bereits mehrere Auszeichnungen eingeheimst, zuletzt den Leonce-und-Lena-Preis und den sächsischen Lessing-Preis. Sandig beweist seit zehn Jahren, dass in Leipzig gute Bücher geschrieben werden, und dass die hiesigen Autoren eine Menge zu erzählen haben, egal ob sie Gedichte vorlegen oder Romane, auf Poetry-Slam-Bühnen stehen oder in einem verrauchten Kellerclub zusammen mit einer handvoll Musikern auftreten.

Bier und Prosa

Während die 30-jährige Autorin Sandig liest, wird an der Bar nebenan reichlich Bier ausgeschenkt. Wirklich Ruhe haben die Lesenden hier nicht. Immer mehr Zuhörer strömen in den Oberkeller der Moritzbastei, die Gänge sind verstopft, das Publikum sitzt dicht beieinander auf den Treppenstufen. Die Autoren wechseln im Halbstundentakt, gelesen wird meist im Tandem. Neben Ulrike Almut Sandig sitzt ein von etwas aufdringlichen Fotografen leicht genervter Clemens Meyer. Über 60 junge Autoren lesen an diesem Abend der "Langen Leipziger Lesenacht", über fünf Stunden lang, verteilt auf vier Bühnen. Fast 1000, überwiegend junge Gäste, drängen sich in den Katakomben des alten Studentenkellers und lauschen den Lesungen von Anke Stelling etwa, Nora Gomringer, Leif Randt oder eben Clemens Meyer, der vor zwei Jahren den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen hat.

Stadt der jungen Autoren

Gedränge in der Moritzbastei (Foto: Ronny Arnold)
Lange Leipziger LesenachtBild: Ronny Arnold

Leipzig steht in diesen Messetagen unter besonderer Beobachtung. Das ist gut, für den ramponierten Ruf der einstigen Buchstadt von Welt, der die großen Verlage davon gelaufen sind. Gut aber auch und vor allem für die jungen Autoren, Literaturveranstalter und kleinen Verlage der Stadt, die geblieben sind. Denn in diesen vier Tagen Buchmesse können sie einen kleinen Einblick geben in das, was den Rest des Jahres in Leipzig passiert. Formate wie diese Lesenacht der jungen Autoren, die "Party der jungen Verlage" oder auch die Literaturshow "Turboprop", würde es ohne die äußerst lebendige Leipziger Literaturszene so nicht geben. Leipzig liest – nicht nur zur Buchmesse, sondern das gesamte Jahr. Für die Autorin Ulrike Almut Sandig ein guter Grund hier zu leben, zu arbeiten und zu bleiben. Über das gesamte Jahr sei Leipzig eine Stadt der Literatur, was den Autoren zum Erfolg verhelfen kann. "Ich finde es hier einfacher anzufangen und vorwärts zu kommen als jetzt in anderen Städten wie etwa Berlin", erklärt sie. "Es gibt jede Menge selbstorganisierte Lesungen, es werden viele neue Bühnenformen ausprobiert." Dröge Lesungen, bei denen auf dem Podium ein verlassener Autor mit seinem Wasserglas sitzt, mag Leipzigs Literaturszene schon lange nicht mehr. Es wird viel experimentiert, unkonventionell, im Untergrund. Die Stadt habe dafür genau die richtige Größe, meint Sandig, die Autoren und Organisatoren kennen sich und knüpfen Netzwerke.

Leipzigs bekanntester Literaturagent

Claudius Nießen und Ulrike Almut Sandig (Foto: Benjamin Lauterbach)
Claudius Nießen und Ulrike Almut SandigBild: Benjamin Lauterbach

Wer sich in Leipzigs Autorenszene vernetzen und etablieren will, kommt an einem kaum vorbei: Claudius Nießen. Er ist gerade einmal 30, organisiert bereits seit fünf Jahren die "Lange Leipziger Lesenacht" und entwickelte unter anderem die Literaturshow "Turboprop", bei der er auch gleich als Moderator mit auf der Bühne sitzt. Bei dieser Show wird natürlich auch gelesen, durchaus lange, intensive und auch mal ernste Texte. Dazu gibt es aber noch jede Menge mehr: ein Live-Lektorat etwa, Ratespiele fürs Publikum, kurze Filme über den Autor. "Wir wollen, dass unsere Zuschauer einen Einblick bekommen, was so ein Autor macht, wie der als Mensch ist und wie bei ihm diese ganzen Schreibprozesse funktionieren." Claudius Nießens Ideen haben der Stadt gut getan und Leipzigs Autoren ein größeres Gewicht verschafft. Neuerdings spricht sogar die Buchmesse vom Fokus auf junge Literatur, auch wenn die kleinen Independent-Verlage an den Messeständen noch in der Minderheit sind. Doch das Mammutprogramm "Leipzig liest", mit 2000 Veranstaltungen an über 300 Leseorten in der Innenstadt, lebt immer mehr von den Partys der jungen Verlage, deren Lesungen in Clubs, Kneipen und Studentenkellern. Das war vor fünf Jahren noch anders.

Junge Verleger auf dem Vormarsch

Der Verlag "Voland und Quist" auf der Buchmesse (Foto: Sebastian Wolter)
Der Verlag "Voland und Quist" auf der BuchmesseBild: Sebastian Wolter

Ihren Stand als alte, traditionsreiche Buchstadt hat Leipzig längst verloren. Die großen Verlagshäuser sind weg, dafür gibt es nun ein paar hoffnungsvolle neue, junge Verleger. Sebastian Wolter und Leif Greinus etwa betreiben seit fünf Jahren den sächsischen Verlag "Voland & Quist". Ihr Kerngeschäft nennen sie urbane Literatur, Nischenlektüre – von Ahne, dem Surfpoeten bis zum kroatischen Erfolgsautor Edo Popovic. Die beiden sind damit erfolgreich, vor allem bei jungen Lesern, haben schon einige Preise für ihre Bücher bekommen. Sachsen verlassen, weil München, Hamburg oder Berlin ein paar relevantere Verlage haben, das kommt für Sebastian Wolter nicht in Frage. "Leipzig hat eine sehr agile, kreative Szene, die nicht nur aus ein paar kleinen Verlagen besteht, sondern aus vielen Grafikdesignern, Musikern, es gibt Labels, jede Menge Künstler." Und aus diesem kreativen Humus entsteht etwas, da ist sich der Jungverleger sicher, und wird die Stadt deshalb wohl so schnell nicht verlassen.

Autor: Ronny Arnold

Redaktion: Conny Paul