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Die Kälte und die Konjunktur

24. Januar 2006

Die Kältewelle in Europa hat auch einen Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung. Doch die Effekte werden in der Regel schnell wieder ausgeglichen - zumindest, wenn man nur ein Jahr betrachtet.

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Kraftwerk in RusslandBild: picture-alliance/ dpa
Kältewelle in Deutschland Mittellandkanal Eisbrecher
Der Mittellandkanal ist nicht der einzige Schiffahrtsweg, der zugefroren istBild: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Für die Energieversorger ist es naturgemäß stets eine gute Nachricht, wenn die Temperaturen fallen. So liegt der Gasverbrauch beispielsweise in Berlin mit 14 Millionen Kubikmetern am Tag gegenwärtig fast ein Viertel über dem Verbrauch in normalen Wintern, wie Josiette Honnef, Sprecherin der Gasag erklärt. Selbst wenn es deutlich kälter werde, als erwartet, lasse sich der steigende Gasverbrauch aus Speichern abdecken, welche die Stadt auch bei einem Totalausfall über mehrere Monate versorgen könnten.

Die Stromversorgung sei ebenfalls sicher, sagt Patricia Nicolai, Sprecherin des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft (VDEW). "Die Stromunternehmen müssen Reservekraftwerke bereithalten, um auf ungewöhnliche Ereignisse wie Temperaturstürze oder eine anspringende Konjunktur vorbereitet zu sein." Als Faustregel gelte, dass eine Zusatzkapazität von 3000 Megawatt nötig sei, wenn die Temperatur auf zehn Grad unter Null falle - das entspricht der Leistung von sechs Kohle- oder drei Kernkraftwerken.

Sinkende Kaufkraft durch Heizkosten

Insgesamt wirkt sich der Mehrverbrauch negativ auf die Konjunktur aus. Denn die steigenden Heizkosten könnten die Konsumgüternachfrage beeinflussen, sagt Gebhard Flaig, Konjunkturforscher am Ifo-Institut in München. So wirkte ein außergewöhnlich milder Winter vor fünf Jahren in den USA als Konjunkturstütze, weil die Verbraucher 7 Milliarden Dollar mehr ausgeben konnten - umgekehrt gilt natürlich, dass steigende Energiekosten die Kaufkraft senken.

"Bei extremen Wetterverhältnissen kann zudem die Industrieproduktion sinken, weil die Verkehrsverhältnisse schlecht sind", erklärt Flaig. In Deutschland ist, auch wenn sich die ADAC-Einsätze in einigen Regionen verdoppelt haben, ein Verkehrschaos ausgeblieben; allerdings hat die Schifffahrt mit zunehmend mit Behinderungen durch Eis zu kämpfen. Doch die Wirkungen von Verkehrseinschränkungen hielten nicht lange an, sagt der Experte. "Der Produktionsrückstand wird schnell wieder aufgeholt."

Bauern noch entspannt

Kältewelle in Rußland eingefrorenes Auto
Zugefrorenes Auto in RusslandBild: AP

Ob die Kältewelle Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben wird, lässt sich gegenwärtig noch nicht sagen. "Wenn lange niedrige Temperaturen herrschen und auf den Feldern keine schützende Schneedecke liegt, besteht die Gefahr, dass die Pflanzen schaden nehmen", erklärt Agnes Scharl vom Deutschen Bauernverband. "Das lässt sich aber erst in einigen Wochen beurteilen." Bei Betrieben, die Tiere in geschlossenen Stallsystemen halten, würden steigende Heizkosten den Ertrag belasten. In Deutschland, wo die Landwirtschaft lediglich 1,1 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, machen sich Ausfälle jedoch weit weniger bemerkbar als etwa in Polen, wo der Anteil bei 2,8 Prozent liegt oder in Russland, wo er 5 Prozent ausmacht.

Anhaltende Kälteperioden verursachen zudem Schäden an Gebäuden und an der Infrastruktur. So könnten Risse entstehen, wenn Wasser in Gebäudeteilen oder der Boden gefriere, sagt Martin Pfeiffer, Direktor des Instituts für Bauforschung in Hannover. "Das muss zwar nicht die Standsicherheit gefährden - aber Risse sind immer schlecht." Auch die Anlagentechnik sei betroffen: Bei Minusgraden könnten Wasserleitungen einfrieren und Strom- und Gasleitungen reißen. "Die Bauwerke in Deutschland sind aber auf extreme Minuswerte ausgelegt", sagt Pfeiffer. In allen übrigen Ländern seien die Vorschriften jedoch weniger streng. In Russland etwa, wo Pfeiffers Institut zum Teil Gutachten erstellt, sind die Bauten keineswegs den deutlich niedrigeren Temperaturen angepasst - im Gegenteil: "Dort gelten ganz andere physikalische Grenzwerte - die Bauten sind weder so gut gedämmt, noch so gut vor Feuchte und Frost geschützt wie hier."

Schäden als positiver Wirtschaftsfaktor

Für die Wirtschaftsentwicklung seien solche Schäden positiv, da sie Reparaturarbeiten nötig machten, erklärt Gebhard Flaig vom Ifo-Institut. Diese Wirkungen änderten jedoch nichts an der konjunkturellen Grundtendenz - und dies gelte für die Kältefolgen insgesamt. "Wenn man die Entwicklung über mehrere Monate betrachtet, ist der Effekt wahrscheinlich gering", sagt Flaig. "Denn der Großteil dieser Dinge wird in den Folgewochen wieder ausgeglichen."

Betrachte man längere Zeiträume, biete sich jedoch ein anderes Bild, sagt Claudia Kemfert, Energie- und Umweltexpertin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). "Weil die Extremereignisse an Intensität zunehmen werden, relativiert sich die Möglichkeit, dass sich die wirtschaftlichen Effekte ausgleichen." Aufgrund des Klimawandels seien weltweit nicht nur verstärkt Übeflutungen und Hurrikans, sondern auch extreme Hitze- und Kältewellen zu erwarten. Eine DIW-Studie zu den volkswirtschaftlichen Folgen des Wandels, die Faktoren wie Infrastrukturschäden oder Energiepreise berücksichtigte, rechnet in den kommenden 50 Jahren mit Schäden in Höhe von 200 Billionen US-Dollar. In Deutschland erwartet das DIW mit Ausfällen in Höhe von drei Billionen Dollar - das entspreche rund drei Prozent des Bruttosozialproduktes, sagt Claudia Kemfert. Ein Fünftel dieser Schäden werde durch Kälteereignisse verursacht. (stu)