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Die Kampflinien sind gezogen

26. Januar 2004

Spätestens mit dem Beginn der komplexen Vorwahlen wird klar: Sehr weit sind die US-Präsidentschaftswahlen nicht mehr entfernt. Klar ist auch, meint Jackson Janes, dass viele Nicht-Amerikaner sich über das System wundern.

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Die meisten Deutschen mögen sich darüber wundern, was für ein effektives Auswahlverfahren wir Amerikaner doch haben, wenn man sich zum Beispiel den letzten "caucus" in Iowa anschaut. Einen Kandidaten für den Präsidentschafts-Wahlkampf auszuwählen, indem man die Leute bittet, sich in verschiedene Ecken eines Raumes zu begeben, ähnelt eher einem Schulspiel als einem ernsthaften politischen Prozess. Aber mehr als 120.000 Leute entschieden sich, in fast 2000 solcher "Spiel"-Räume im ganzen Staat teilzunehmen, und das Ergebnis war der unerwartete Sieg eines Kandidaten und die ebenso unerwartete Niederlage eines anderen.

Wie repräsentativ war das Auswahlverfahren in Iowa für die nationale Gemütsverfassung der Demokraten? Vielleicht repräsentativer, als man auf den ersten Blick denken könnte. Obwohl Amerikas Bandbreite von Minderheiten bei dem Verfahren nicht berücksichtigt wurde, veranschaulichten die Anliegen, die die Wähler in Iowa zum Ausdruck brachten - Ärger über die Entscheidung, gegen den Irak in den Krieg zu ziehen und die Sorgen um medizinische Versorgung und Jobs -, die vieler weiterer Millionen Demokraten im Lande. In den kommenden Wochen werden die Vorwahlen wiederspiegeln, welche Rolle diese beiden Hauptanliegen in jedem einzelnen Staat, der sich auf die Auswahl vorbereitet, spielen werden.

Diese Vorwahlen werden vier Hauptkandidaten haben, von denen alle eine ähnliche Besorgnis über die Außenpolitik von Präsident Bush äußern, und von denen alle die innenpolitischen Fragen der Wähler mit etwas anderen Lösungsvorschlägen beantworten . Während die Wähler der Demokratischen Partei jeden Auftritt eines Kandidaten auswerten werden, werden sie auch über die alles überragende und schwierige Frage nachdenken: Wer von ihnen kann George Bush am 2. November schlagen?

Bewegung in der Außenpolitik

Wenn die endgültige Entscheidung irgendwann im Frühjahr getroffen sein wird, werden sich die Kampflinien um innen- und außenpolitische Fragen abgezeichnet haben. Während die Konjunkturlage in den kommenden Monaten als ein halb volles oder ein halb leeres Glas interpretiert werden wird - je nachdem, welche Preis-Tendenzen und Zahlen benutzt werden - wird es auf außenpolitischer Front mehr Bewegung geben.

Wenn sich die Lage im Irak auf Wahlen im Sommer und eine Übertragung der Macht an die Iraker bis zum Herbst hin entwickelt, wird Präsident Bush "irakische Demokratie" zu seinen Referenzen bezüglich bestimmter Kurs-Wechsel in Tripolis und Teheran addieren, um die positiven Auswirkungen der Regimewechsel in Kabul und Bagdad zu unterstreichen, während er die fehlenden Massenvernichtungswaffen völlig außer Acht lassen wird. Das wurde schon während der Rede des Präsidenten zur Lage der Nation am 19. Januar erkennbar.

Jeder Fortschritt im israelisch-palästinensischen Konflikt würde Bushs Behauptungen, dass seine Außenpolitik die U.S.-amerikanische Sicherheit stärkt, natürlich noch aufwerten, ebenso wie jeder Dialog mit den Nord-Koreanern oder zwischen den Indern und den Pakistanis. Wenn die Amerikaner auch noch vor weiteren terroristischen Attacken geschützt bleiben, wird das Argument, dass die Vereinigten Staaten wegen der Politik der Busch-Regierung sicherer sind als vor dem 11. September, ein starkes Hauptargument für Buschs Wiederwahl-Programm bilden.

Missionarischer Eifer und Polarisierung

Dennoch deuten die Ergebnisse aus Iowa darauf hin, dass bei den Wählern das Gefühl zunimmt, dass der Preis, der für diese außenpolitischen Initiativen gezahlt worden ist, zu hoch ist, um ihn zu rechtfertigen - sei es im Hinblick auf die wachsende Zahl von Verlusten im Irak, sei es der ungeheuer langfristige Druck auf die Wirtschaft oder der negative Einfluss auf die Einstellungen gegenüber der USA in der ganzen Welt. Senator Kerry wird besonders erpicht darauf sein, den Präsidenten mit Außen- und Sicherheitspolitik zu konfrontieren. Er hat auf diesem Gebiet ein erhebliches Maß an Glaubwürdigkeit und Autorität. Gleiches gilt für einen weiteren Kandidaten, General Clark, während Senator Edwards und Gouverneur Dean die Konfrontation eher auf dem Gebiet der Wirtschaft, bzw. der Gesundheitspolitik suchen werden. Wer immer letztendlich aber nominiert wird, muss seine Bemühungen auf jeden Fall auf all diesen Gebieten intensivieren wenn er einen amtierenden Präsidenten ablösen will - eine schwierige, aber nicht unmögliche Aufgabe, wie Präsident Bushs Vater bestätigen kann.

Nach den Anschlägen vom 11. September gab es in der USA keinen Mangel an Debatten über die Schlussfolgerungen, die aus dieser Katastrophe gezogen werden sollten. Dennoch strahlten die Entschlüsse, die das Weiße Haus mit anfänglicher Unterstützung des Kongresses fasste, ein Gefühl von missionarischem Eifer aus, der nicht in Frage gestellt werden wollte. Das Ergebnis war eine Polarisierung der Außen- und auch der Innenpolitik, wie sie eine ganze Generation noch nicht erlebt hat. Die Kampflinien scheinen nicht nur im Politik-Bereich, sondern auch im Bereich der Prinzipien gezogen worden zu sein.

Betrachtet man diese Entwicklungen von Europa aus, könnte man geneigt sein zu glauben, dass es kaum eine Rolle spielt, worum sich die Debatten drehen, besonders wenn der sehr unbeliebte Präsident Bush wieder gewählt werden sollte. Das wäre eine irrige Schlussfolgerung. Obwohl es wahrscheinlich ist, dass er wieder gewählt wird und es ebenso wahrscheinlich ist, dass die Republikaner die Kontrolle im Kongress behalten werden, sagt das nichts darüber aus, wie sich eine zweite Amtszeit von Bush entfalten könnte. Man braucht sich nur an die zweite Amtszeit von Ronald Reagans Regierung zu erinnern, als die außenpolitischen Bemühungen in Richtung einer wackelnden Sowjetunion in diesem historischen Augenblick mehr Kooperation als Konflikt hervorbrachten. Ein Präsident ohne Option auf eine dritte Amtszeit kann anders denken. Muss er aber nicht. Es hängt viel von den auftauchenden Möglichkeiten ab. Reagans Möglichkeit war Gorbatschow. Was die Möglichkeit von George W. Bush oder einem neuen Präsidenten sein könnte, bleibt unklar.

Kaleidoskop von Akteuren in Interessen

Man braucht auch nur an die Tatsache zu denken, dass, sobald ein Präsident in seiner zweiten Amtszeit seinen zweiten Amtseid ablegt, das Rennen um seine Nachfolge beginnt - bei beiden: den Demokraten und den Republikanern. Das eröffnet in beiden politischen Lagern sogar noch mehr Auseinandersetzungen und Diskussionen über die Richtung der Innen- und Außenpolitik.

Wenn Bushs Präsidentschaft enden und ein neues Gesicht der Demokraten ins Weiße Haus ziehen sollte, wird natürlich auch ein Preis für diesen Wechsel zu bezahlen sein: Eine andere Regierung wird sich bemühen, sich im politischen Strudel Washingtons abzusichern, da die Republikaner wahrscheinlich die Kontrolle über den Senat und das Abgeordnetenhaus haben werden. Diejenigen, die meinen, dass irgendjemand Bush vorzuziehen sei, sollten wissen, dass man mit so einem Ergebnis nicht unbedingt leichter umgehen kann. Man denke beispielsweise nur an die erste Amtszeit der Regierung Clinton.

Die nächsten neun Monate in den Vereinigten Staaten mögen einigen Europäern wie ein Kaleidoskop von aufeinander prallenden politischen Akteuren und Interessen erscheinen, wie ein mit sich selbst beschäftigter Weg zum 2. November. Tatsache ist aber, dass sich das Land auf ernsthafte Erörterungen von Prinzipien, Zielen und Politik - Innen- und Außenpolitik - einstellt. Was auch immer dabei herauskommen mag - die Europäer müssen gut aufpassen. Gut aufzupassen mag auch ein paar Einblicke in ähnliche Angelegenheiten auf beiden Seiten des Atlantiks eröffnen. Iowa war erst der Anfang von dem, was eine sehr lange und hoffentlich gesunde Debatte sein kann - nicht nur für Amerikaner.

Dr. Jackson Janes ist Executive Director des American Institute for Contemporary German Studies der Johns Hopkins University in Washington D.C.