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Die Kernpunkte

Bernd Riegert, Brüssel25. Mai 2005

Alle reden drüber, nur keiner weiß so richtig, was drin steht. Die wichtigsten Bestimmungen und Neuerungen der EU-Verfassung fasst Brüssel-Korrespondent Bernd Riegert zusammen.

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Bild: AP

Demokratischer und effizienter sollte die wachsende Europäische Union werden. Mit diesem Auftrag startete der von den Staats- und Regierungschefs im Februar 2002 geschaffene Verfassungskonvent seine Arbeit. Nach nur 15 Monaten präsentierte der Konventsvorsitzende, Valerie Giscard d'Estaing, stolz den 482 Seiten langen Text. Er ist das Kondensat aus den vier großen EU-Verträgen der letzten zwölf Jahre: Maastricht, Amsterdam, Nizza, Kopenhagen, enthält aber auch völlig neue Bestimmungen.

Die doppelte Mehrheit

Im Grundsatzteil werden in 59 Artikeln Aufgaben und Zuständigkeiten der Europäischen Union eingegrenzt. Die teilweise neuen Institutionen und ihre Befugnisse werden beschrieben. Finanzen und die Entscheidungswege in der Union werden festgelegt. Neu ist das Abstimmungsverfahren nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit aus Staaten und Bevölkerung. 55 Prozent der Staaten, das sind im Moment 14, die 65 Prozent aller Unionsbürger repräsentieren, können einen Beschluss fassen. Um die Machtbalance zwischen kleineren und größeren Mitgliedsländern zu wahren, wurden mehrere Schutzklauseln eingeführt, die das System schwer durchschaubar machen.

Notbremse: Die befristeten Vetos

Die Politikbereiche, in denen dieses Abstimmungsverfahren gilt, werden mit der Verfassung erheblich ausgeweitet. Sie schließen Fragen der inneren Sicherheit, der Außenpolitik, der Rechtspolitik sowie der Finanz-, Steuer- und Wirtschaftspolitik ein, aber nicht vollständig. In vielen Bereichen wurden so genannte Notbremsen eingebaut, das sind auf vier Monate befristete Vetos, die ein Gesetzgebungsverfahren verzögern können. Um allen Mitgliedsstaaten entgegenzukommen, wurden sehr lange Übergangsfristen in die Verfassung eingebaut, innerhalb derer vom Prinzip der Einstimmigkeit zu Mehrheitsentscheidungen übergegangen wird.

Grundrechte

Eine Grundrechte-Charta beschreibt die einklagbaren Rechte und Freiheiten der einzelnen Unionsbürger. Die Verfassung enthält ein Bekenntnis zum europäischen Sozial-Modell.

Neue Ämter, andere Besetzung

Neu geschaffen wird der zweieinhalb Jahre amtierende Präsident des Europäischen Rates, der eine kontinuierliche Arbeit des höchsten Gremiums der EU gewährleisten soll. Bisher wechselte die Präsidentschaft alle sechs Monate. Neu ist auch das Amt des europäischen Außenministers, der Europa auf der Weltbühne größeres Gewicht geben und die Außenpolitik der Mitgliedsstaaten bündeln soll.

Die EU-Kommission, die man auch europäische Regierung nennen könnte, wird, damit sie besser arbeiten kann, von 25 Kommissare auf 15 Kommissare schrumpfen, allerdings erst von 2014 an.

Rechte des EP und Subsidiaritätsprinzip

Die Rechte des Europa-Parlaments (EP) werden gestärkt. Der Haushalt der EU wird künftig gleichberechtigt von Europa-Parlament und Ministerrat verabschiedet. Das Parlament hat größeren Einfluß bei der Besetzung der Spitzenposten der EU, besonders beim Kommissionspräsidenten, und entscheidet nun in fast allen Politikbereichen mit. Die nationalen Parlamente erhalten mehr Mitwirkungsrechte. Festgelegt wird, dass die EU nur das regeln soll, was die nationalen Staaten nicht sinnvollerweise allein regeln können (Subsidiaritätsprinzip).

Austritt

Zum ersten Mal ist auch der freiwillige Austritt eines Landes aus der Gemeinschaft geregelt.

Streitpunkte

Über viele einzelne Bestimmungen haben die Regierungen neun Monate lang gestritten. Polen und Spanien opponierten zunächst gegen die doppelte Mehrheit. Großbritannien sperrte sich gegen Mehrheitsentscheidungen und setzte zahlreiche Ausnahmeregelungen durch. Den Briten bleibt auch ihr Rabatt auf ihren EU-Beitrag erhalten. Der siebenjährige Finanzrahmen der EU kann weiterhin nur einstimmig beschlossen werden. Defizitsünder Deutschland erreichte eine Schwächung der EU-Kommission bei der Überwachung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Ein erster Verfassungsgipfel scheiterte im Dezember 2003. Der Durchbruch wurde erst möglich, nachdem die bis dahin schwächste Wahlbeteiligung bei den Europawahlen den Staats- und Regierungschefs signalisierte, dass die Unionsbürger weiteren Streits wohl überdrüssig sind.

Die Prinzipien des Konventsentwurfes seien an einigen Stellen zwar verwässert, aber nicht aufgegeben worden, glaubt Klaus Hänsch (SPD), der für das Parlament an den Verhandlungen teilnahm.

Präambel und Verfassungsklagen

Verfassungsklagen können beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg eingereicht werden. Gestritten wurde bis zum Schluß auch über die Präambel, in der sich die Europäer zu Vielfalt, Demokratie und Freiheit bekennen. Das Christentum wird trotz Drängens vieler mehrheitlich katholischer Staaten nicht ausdrücklich erwähnt, lediglich das religiöse Erbe und die daraus abgeleitete Werteordnung kommen im Verfassungstext vor.