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Kirche vielfältiger

Stefan Dege11. August 2014

"Es gibt kein christliches Deutschland mehr", konstatierte unlängst der Münsteraner Zeithistoriker Thomas Großbölting. Die Kirchen erleben einen Bedeutungsverlust, arbeiten jedoch an Reformen.

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Eine Kirche neben einem Regebnbogen am Horizont (Foto: M.Ebrahimi/Lizenz: Frei)
Bild: M.Ebrahimi

Ein abgeknickter Wetterhahn ragt in einen wolkenverhangenen Himmel. Dieses Bild prangt auf Großböltings Analyse-Buch "Der verlorene Himmel". Darin rollt der Wissenschaftler das religiöse Feld Deutschlands auf. Sein Fazit: Im Land der Dichter und Denker herrscht eine neue religiöse Vielfalt. Wollen die Volkskirchen überleben, müssen sie ihre christliche Botschaft in zeitgemäßer Form an die Gläubigen bringen.

Wie soll das gehen? Nichts ist so konstant wie die Veränderung, wissen die christlichen Kirchen. Ihr Mitgliederschwund ist dramatisch: Gehörten in den 1950er-Jahren noch 95 Prozent der Deutschen einer der beiden Volkskirchen an, sind es mittlerweile nur noch knapp zwei Drittel. Tendenz: weiter abnehmend. Andere Glaubensgemeinschaften sind auf dem Vormarsch, allen voran der Islam. Doch eine Gruppe wächst in Deutschland am schnellsten - die der Konfessionslosen. Nicht zu verwechseln mit Ungläubigen: "Es gibt heute ein viel größeres Angebot an Sinn- und Deutungssytemen", sagt Großbölting im DW-Gespräch, "und dank der Medien wissen die Leute das auch".

Porträt - Prof. Dr. Thomas Großbölting
Prof. Thomas GroßböltingBild: privat

Das Christentum sei zu einem Anbieter unter vielen für Sinnstiftung und Sonntagsgestaltung geworden. Diese neue Rolle wüssten die Kirchen bisher nicht zu füllen, meint der Zeithistoriker.

Zu wenig passende Angebote

Doch wonach suchen die Menschen? Bedienen wir uns im spirituellen Supermarkt? Hier ein wenig buddhistische Wandelmeditation, dort ein bisschen Bergpredigt, unterlegt mit hinduistischen Gesängen? Klar scheint: Enttäuschte Katholiken oder Protestanten finden häufig keine organisierten Alternativangebote und driften deshalb in die Passivität oder sogar Religionslosigkeit ab. Die Herausforderung für die christlichen Großkirchen: Profil schärfen, neue Angebote zielgruppengerecht zuschneiden, näher am Menschen sein. Das alles setzt jedoch einen gewissen Spielraum der Ortsgemeinden voraus und die tätige Mithilfe von Ehrenamtlichen. Die notwendige Suche nach spezifischen Formen von Kirche, Gottesdienstgestaltung und intensiverem Gemeindeleben kann so durchaus zu einer größeren Vielfalt kirchlichen Lebens führen.

Konzept des Papstes

Papst Franziskus hat das erkannt. Weniger Pomp, mehr Bescheidenheit, mehr Laienbeteiligung und "Raum für eine wirksamere weibliche Gegenwart": Das ist, kurz gefasst, sein Rezept für einen Umbau der katholischen Kirche. Der Pontifex hat seine Vision zuletzt in dem Grundsatzpapier "Evangelii Gaudium" (zu Deutsch: Freude des Evangeliums") fixiert. #bibg#Wichtiger Bestandteil: Die Weltkirche soll dezentraler werden. Was Ortsbischöfe entscheiden können, braucht nicht das Plazet des Papstes - Politologen sprechen vom "Subsidiaritätsprinzip". Davon ist Rom allerdings noch weit entfernt.

Vatikan Präsentation des päpstlichen Lehrschreibens Evangelii Gaudium
Katholische Zukunftsideen: Das päpstliche Lehrschreiben "Evangelii Gaudium"Bild: Reuters

Doch auch in den katholischen Bistümern zwischen Hamburg und Passau braucht es Veränderungen, die den Inhalten betriebswirtschaftlichen Lehrbüchern kaum entsprechen: Kleinere Gemeinden lösen da idealerweise größere Einheiten ab, die man vielerorts - aus Geldmangel - eingerichtet hat. Gehetzte Pfarrer, entlegene Pfarrbüros, geschlossene Kirchen, seltenere Gottesdienste - auf diese Folgen des Spardiktats reagieren bis heute viele Gläubige mit Enttäuschung und Frust. Und wünschen sich wieder mehr Nähe.

Reformzwang bei Evangelischen

34. Evangelischer Kirchentag Hamburg 2013
Volle Kirchentage, aber immer mehr leere Bänke in evangelischen KirchenBild: DW/Dege

Sinkende Mitgliederzahlen zwangen auch die evangelische Kirche zu Reformen. Denn mit jedem Austritt wird die Kirche ärmer - finanziell wie menschlich. So regiert in Kirchenhaushalten seit mehr als 20 Jahren der Rotstift. Aufgaben in den Bereichen Soziales, Bildung und Medien fielen umfangreichen Sparmaßnahmen zum Opfer. Die Folgen sind in den Ortsgemeinden spürbar: Stellen für Pfarrer, Diakone, Jugendarbeiter oder Kirchenmusiker fielen weg. So manche Bücherei schloss ihre Tür für immer. "All dies führte dazu, dass es die evangelische Kirche seltener schafft, ihre biblische Botschaft mitsamt christlicher Ethik zu verankern", analysiert Deutsche-Welle-Kirchenredakteur Klaus Krämer.

Kirche näher bei den Menschen

"Kirche der Freiheit" nennt die evangelische Kirche ihr Reformprojekt, das in eine ähnliche Richtung steuert wie das der katholischen Kollegen: Kirche soll näher zum Menschen und seinen Problemen gehen - bei deutlich sinkendem Aufwand. Die Quadratur des Kreises? Pfarrer Hans-Hermann Pompe leitet das evangelische Reform-"Zentrum für Mission in der Region". Im Erneuerungsprozess der Kirche, sagt er im DW-Gespräch, erfahre man schnell die Mühen der Ebene. Ein Patentrezept haben also weder Protestanten noch Katholiken. Fest steht: Eine Reform der Kirchen geht nicht über Nacht. Gleichwohl sind dem neuen Denken in der evangelischen Kirche bereits erste konkrete Schritte gefolgt - etwa die Einrichtung von Kompetenzzentren, die sowohl Landeskirchen als auch Gemeinden bei der Gestaltung einer neuen Vielfalt unterstützen sollen.

Pfarrer Hans-Hermann Pompe
Reform-Fachmann PompeBild: EKD