1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Staatsterror in Kolumbien

28. Mai 2010

Die kolumbianische Anwältin Liliana Uribe ist in Köln mit dem Menschenrechtspreis der evangelischen Kirche ausgezeichnet worden. Sie beklagt den anhaltenden Staatsterror in ihrem Land.

https://p.dw.com/p/NYgf
Bild: AP

Nach achtjähriger Präsidentschaft scheidet Alvaro Uribe mit extrem hohen Zustimmungswerten von 70% aus dem Amt. Seine Anhänger halten ihm zugute, dass er mit seiner Politik der "demokratischen Sicherheit" die FARC-Guerilla zumindest aus den Städten vertrieben hat. Doch das Gefühl von mehr Sicherheit ist ein trügerisches, sagt die Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe: "Die außergerichtlichen Hinrichtungen gehen weiter. Geändert haben sich lediglich die Vorgehensweisen. Wir sind sehr besorgt, denn das Recht auf Leben wird weiterhin systematisch verletzt, nach wie vor verschwinden Menschen." Allein in Medellín wurden von Januar bis März 154 Fälle von Verschwundenen angezeigt, 54 von ihnen Frauen, fügt die Anwältin hinzu.

Liliana Uribe (Quelle: Brot für die Welt)
Die Menschenrechtsanwältin Liliana Uribe ist für ihren Mut in Köln ausgezeichnet wordenBild: Brot für die Welt

Liliana Uribe ist Mitbegründerin der Corporación Juridica Libertad (CJL). Die Anwaltsgemeinschaft für die Freiheit mit Sitz in Medellín ist eine international anerkannte Nichtregierungsorganisation, die sich seit 1993 für die Opfer staatlichen Terrors in Kolumbien einsetzt. Sie hat hunderte Fälle von außergerichtlichen Hinrichtungen dokumentiert. Dabei handelt es sich vielfach um die Ermordung vermeintlicher Terroristen durch Militärs und Polizisten, die dafür von der Regierung Kopfgelder kassieren.

Hoffnungsträger Antanas Mockus

Der amtierende Präsident Alvaro Uribe darf bei den Wahlen am 30. Mai nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren. Ex-Verteidigungsminister Juan Manuel Santos bietet sich den Kolumbianern als Garant der Kontinuität an. Doch der Grünen-Politiker und ehemalige Bürgermeister von Bogotá, Antanas Mockus, ein Philosoph und Mathematikprofessor, begeistert die Wähler mit einer anderen Botschaft: er verspricht den Rechtsstaat zu stärken.

Präsidentschaftskandidat Antanas Mockus (Foto: AP)
Antanas Mockus ist der Hoffnungsträger vieler Kolumbianer - doch für welche Politik steht er?Bild: AP

Darin allein sieht Liliana Uribe jedoch noch keinen Ausweg aus dem bewaffneten Konflikt in Kolumbien. "Die Menschen schauen gar nicht so genau auf die politischen Botschaften des Kandidaten Antanas Mockus", bedauert die Anwältin. "Die Wähler sehen in Mockus jemanden, der zunächst einmal verspricht, die Gesetze nicht zu brechen, der nicht sagt: 'Mir ist jedes Mittel recht, um meine Ziele zu erreichen', so wie es Uribe getan hat." Der habe auch vor der Verletzung des internationalen Rechts nicht zurückgeschreckt, "als er Stellungen der FARC in Ecuador bombardieren ließ." Uribe habe auch die außergerichtlichen Hinrichtungen zu verantworten. "Weil er tote Guerilleros brauchte, ließ er unschuldige Zivilisten ermorden", fügt Liliana Uribe hinzu, die nicht mit dem Präsidenten verwandt ist.

Nicht die FARC, sondern ihre Ursachen müssen bekämpft werden

Zu seiner Strategie gegenüber der FARC bleibt Antanas Mockus bislang konkrete Aussagen schuldig. Sein Leitsatz "Die FARC muss vernichtet werden" soll Befürchtungen zerstreuen, die Guerilla könnte unter seiner Präsidentschaft wieder an Boden gewinnen. Doch nicht in der FARC liege das Problem, sagt Liliana Uribe:

"Die Guerilla kann man nicht mit militärischen Mitteln vernichten. In Kolumbien kann man nicht über ein Ende der Guerilla nachdenken, wenn man die Ursachen ihrer Entstehung nicht bekämpft. Ich glaube, darin hat sich die Regierung von Uribe getäuscht, und viele frühere Regierungen auch."

Der kolumbianische Präsident Alvaro Uribe (Foto: AP)
Seine Ära endet mit einer schlechten Menschenrechtsbilanz: Präsident Alvaro UribeBild: AP

Die Ursachen liegen in der extrem ungleichen Landverteilung, in der Vernachlässigung der Entwicklung des ländlichen Raums, in der Vertreibung von Kleinbauern durch Großgrundbesitzer, durch den Bergbau und durch Drogenbarone. Kolumbien ist das Land mit den meisten Binnenvertriebenen weltweit. Rund vier Millionen Menschen sind aus ihren Dörfern geflohen.

Die Wirtschaftspolitik der Regierung Uribe habe in nicht unerheblichem Maße dazu beigetragen, so die Analyse der Menschenrechtsanwältin aus Medellín: "Für die Region Macarena, in der früher die FARC gewissermaßen zu Hause war, hat man ein landwirtschaftliches Entwicklungskonzept erarbeitet, dass vor allem Großgrundbesitzer begünstigt, in erster Linie die Palmölproduzenten. Da haben Kleinbauern keinen Platz. Wenn jetzt also ein Palmölproduzent ankommt und eine Plantage anlegen will, dann trifft er vor Ort auf Bauernfamilien. Was macht er mit diesen Menschen? Sie werden vertrieben. Solange das so weitergeht, wird es die Guerilla immer geben."

Deutsche Unternehmer haben Einfluss in Kolumbien

Palmölplantage in Kolumbien (Foto: AP)
Durch Palmöl-Monokulturen sind tausende Kleinbauern von ihrem Land vertrieben wordenBild: Rehmsmeier

Zu den wichtigsten Abnehmern von Palmöl aus Kolumbien zählen deutsche Unternehmen, die dem Land rund 40% der Exporte abkaufen. Auch kolumbianische Steinkohle, für deren Abbau ebenfalls ganze Dörfer ausgelöscht wurden, wird nach Deutschland exportiert – sieben Millionen Tonnen waren es 2008. Die Menschenrechtssituation in Kolumbien geht also auch deutsche Unternehmer an, sagt die Kölner Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes anlässlich der Verleihung des Menschenrechtspreises an Liliana Uribe: "Kolumbien und Deutschland sind wichtige Handelspartner. Da kann man erwarten, dass sich die Wirtschaft entsprechend verhält und auch auf die Menschenrechte achtet, dass sie sich da entsprechend einbringt und an der richtigen Stelle handelt."

Die Pfarrer Georg-Fritze Gedächtnisgabe der evangelischen Kirche, mit der Liliana Uribe für ihr Engagement für die Menschenrechte ausgezeichnet worden ist, gebe ihr Kraft, um weiter zu machen, sagt die Anwältin. Sie kämpfe "für das Recht, für Menschenrechte kämpfen zu dürfen", aber das sei nicht immer leicht: "Ich habe oft große Angst, zum Beispiel alleine auf der Straße unterwegs zu sein, ins Büro zu gehen, nach Hause zu kommen oder in bestimmte Regionen des Landes zu fahren. Deshalb ist die Solidarität so wichtig."

Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Oliver Pieper