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Die Kommerzialisierung des Zweiten Weltkriegs

Das Interview führte Martin Schrader30. März 2005

Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann weist auf ein zunehmendes Interesse junger Menschen am Zweiten Weltkrieg hin. Warum das nicht nur positive Aspekte birgt, erklärt Wippermann im DW-WORLD-Interview.

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Wolfgang WippermannBild: dpa

Am 8. Mai 2005 jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 60. Mal. DW-WORLD sprach über dieses Datum und seine Bedeutung mit dem Historiker Wolfgang Wippermann von der Freien Universität Berlin.

DW-WORLD: Welche Bedeutung hat das Datum 8. Mai für die deutsche und die Weltgeschichte?

Wolfgang Wippermann: Der 8. Mai 1945 ist nicht nur für die deutsche Geschichte ein epochales Datum, sondern auch für die Weltgeschichte. Es ist vergleichbar mit der Reformation, der französischen Revolution und der bolschewistischen Revolution. Damals begann eine neue Zeit und endete eine sehr schreckliche Zeit, die Zeit des Faschismus.

Im Zusammenhang mit diesem Datum wird in Deutschland oft von einem Neuanfang gesprochen - von einer "Stunde Null". Wie beurteilen Sie diese Einschätzung?

Die Stunde Null hat es nicht gegeben, wie wir gesehen haben. Es gab stattdessen eine starke Kontinuität, nicht eine Restauration, aber eine starke Kontinuität, wie sich zeigen sollte, auch der Eliten, die es vor dem 3. Reich gab und auch danach. Viele setzten ihre Karriere fort. Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Auswärtigen Amt gab es nach 1945 mehr Nazis als vor 1945. Es war ein frommer Wunsch, dass am 8. Mai die Geschichte gewissermaßen zu Ende ging, eine Stunde Null begann und wir sozusagen neu geboren wurden. Das war nicht der Fall. Allerdings muss man ergänzen, dass das Kriegsende oder der Zusammenbruch für das kollektive Gedächtnis der Deutschen von großer Bedeutung war.

Welche Katastrophe in Deutschland, die politische oder die moralische, hat größere Auswirkungen für das Land gehabt?

Das Problem beginnt schon mit dem Begriff Katastrophe, den schon Friedrich Meineke 1946 prägte mit Bezug auf 1945 in seinem Buch "Die deutsche Katastrophe" - und tatsächlich wurde das Kriegsende als eine Katastrophe der Deutschen empfunden. Das war aber historisch völlig falsch. Die eigentliche Katastrophe war die Shoah, die Katastrophe, die das Volk der Juden getroffen hat. Das wollte man in Deutschland lange Zeit nicht sehen; und erst später in verschiedenen geschichtspolitischen Diskussionen und Auseinandersetzungen wurde die wahre und richtige Bedeutung des Faschismus und Holocaust erkannt: Die wirkliche Katastrophe war die Shoah.

Wie hat sich die Sicht in Deutschland in den vergangenen 60 Jahren auf den 2. Weltkrieg und auf das Datum 8. Mai 1945 verändert?

Die Sicht hat sich entscheidend verändert. War zunächst der 8. Mai der Tag des Zusammenbruchs, wie man sagte, oder der Tag der deutschen Katastrophe, wurde in einer langen Diskussion darüber gestritten: war es eine Befreiung - also ein Tag der Befreiung - oder war es ein Tag des Zusammenbruchs? Zusammenbruch oder Befreiung war auch das Thema geschichtspolitischer Debatten der 1950er- und 1960er-Jahre und dann vor allen Dingen der 1970er- und 1980er-Jahre. Wobei sich dann endgültig diejenigen durchgesetzt haben in dieser geschichtspolitischen Debatte - und das hat dann Richard von Weizsäcker als Präsident ja klar und eindeutig am 8. Mai 1985 ausgedrückt -, die gesagt haben, es war der Tag der Befreiung. Das hieß, dass das Wesentliche eben nicht die Katastrophe der Deutschen war, sondern die Katastrophe der Juden, das war ein sehr langer, mühevoller, aber endlich auch geglückter Prozess in der geschichtspolitischen Auseinandersetzung. Ich muss zur Ergänzung auch sagen, dass Geschichte eben nicht nur das ist, was geschehen ist als historisches Ereignis, sondern auch das, was daraus gemacht wird. Also Geschichte ist Geschichte und Geschichtspolitik.

Hat sich die deutsche Sicht auf den 2. Weltkrieg in der Nachkriegszeit der internationalen Sicht angepasst oder gibt es da Unterschiede?

Es gibt Kontroversen, die über die Grenzen hinausgehen. Das lässt sich nicht mehr national-geschichtlich einordnen. Was jetzt eintritt, ist meines Erachtens nicht mehr die geschichtspolitische oder vergangenheitspolitische Auseinandersetzung, sondern der 8. Mai, der 2. Weltkrieg, die Shoah, die ganze Geschichte wird kommerzialisiert, wie etwa von Guido Knopp. So gesehen haben wir nicht nur eine Historisierung, sondern eine "Knoppisierung" der Geschichte zum Zwecke des Kommerzes. Es geht um Einschaltquoten und nicht unbedingt um die Geschichte - Knopps Filme sind ja entsetzlich kommerzialisiert. Das ist das Negative an dem sehr erwachten Interesse an der Geschichte, was natürlich andererseits wieder positiv ist. Ich sehe es als negativ an und auch als möglicherweise gefährlich, dass hier Geschichte kommerzialisiert wird. Man könnte polemisch sagen: Geschichte wird "knoppisiert".