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Die Konflikte rücken näher

Das Interview führte Gasan Gusejnov23. April 2004

Bundesaußenminister Fischer bereist die Kaukasus-Republiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien. DW-WORLD hat Osteuropa-Expertin Eva-Maria Auch zu den Beziehungen zwischen dem alten Europa und der Region befragt.

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Trügerische Idylle am Kaspischen MeerBild: AP

DW-WORLD: Wo liegen angesichts der Tatsache, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion so viele neue Akteure in Erscheinung getreten sind, die deutschen Interessen in der Region?

Eva-Maria Auch: Es gibt in der Region unterschiedliche Prioritäten der westeuropäischen Staaten, wenn man nur an die Präsenz französischer und britischer Ölfirmen in Aserbaidschan und den Bau der Erdölpipeline Baku über Supsa nach Dzeyhan denkt. Hier sind zusammen mit amerikanischem und auch japanischem Kapital bereits Investitionen in mehrstelliger Millionenhöhe getätigt oder geplant, während die deutsche Wirtschaft immer noch darauf hofft, im Dienstleistungsbereich und beim Ausbau der Infrastruktur größere Aufträge zu bekommen. So effektiv die Projekte der Europäischen Bank für Rekonstruktion und Entwicklung, der Kreditanstalt für Wiederaufbau und der Gesellschaft für technische Zusammenarbeit zum Beispiel bei der Entwicklung des Justiz- und Bankensektors, bei der Förderung von klein- und mittelständischen Betrieben oder der Regierungsberatung auch sein mögen: Weder die EU noch Deutschland sind große Akteure, wenn es um wirtschaftliche Fragen geht.

Elementar sind jedoch die sicherheitspolitischen Interessen. Verarmung, ansteigende Kriminalität, Verfolgung von Andersdenkenden oder Minderheiten und Bürgerkriege in der Region sind Prozesse, die nicht mehr hinter dem "Eisernen Vorhang" stattfinden, sondern direkte Auswirkungen auf das immer größer werdende "Europäische Haus" haben. Stabilität durch die Lösung wirtschaftlicher, sozialer ja auch ökologischer Probleme sind so zum gemeinsamen Sicherheitsinteresse in einer völlig anderen Dimension geworden.

In Georgien herrschen Wirtschaftsmisere, Korruption, territoriale Zerrissenheit. Die blinde Unterstützung Schewardnadses hat dem Ruf Deutschlands in Georgien geschadet. Würden Sie diese These bestätigen?

Die mit der Region ernsthaft befassten Fachleute wussten und wissen, dass die genannten Probleme in allen drei Republiken prägnant sind - wobei die Ausmaße wohl eher etwas mit den Ressourcen und der Höhe ausländischer Investitionen (und Bestechungsgelder) im jeweiligen Land zu tun hatten als mit einem höheren oder niedrigerem Grad von Demokratisierung, Rechtstaatlichkeit oder Zivilgesellschaft. Insofern waren die Deutschen auch nicht "blind" gegenüber Georgien, auch wenn sie fast bis zuletzt beide Augen "zugedrückt" haben.

Georgien war und ist nicht zuletzt aufgrund historischer Traditionen und dank aktiver deutsch-georgischer Vereine das Schwerpunktland für Deutschland in der Region (wie es Armenien für Frankreich und Aserbaidschan für Großbritannien ist). Zahlreiche Projekte wirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer und kultureller Zusammenarbeit sind hier von deutscher Seite finanziert geworden. Diese Erfahrungen prägen meiner Meinung nach viel stärker den "Ruf Deutschlands" in Georgien als die offiziell blinde Außenpolitik Deutschlands gegenüber Schewardnadse. Anders sieht es in den Nachbarstaaten aus. Hier wurde die Frage häufig gestellt, warum die deutsche Politik Georgien trotz eines korrupten Schewardnadse-Clans bevorzugte. Die Ehrlichkeit deutscher Politik stand und steht da schon auf dem Prüfstand.

Lesen Sie im folgenden, welche Fehler Europa gemacht hat bei der Vermittlung im Konflikt um die Region Berg-Karabach.

Wer kann vermitteln im Konflikt um Berg-Karabach? Warum sind die EU und Deutschland wie gelähmt, trotz der Bereitschaft beider Seiten zu Verhandlungen?

Vielleicht bietet eine Gegenfrage den Schlüssel: Warum konnte Europa auf dem Balkan eine Vermittlerrolle spielen? Was war dort – trotz aller nachträglicher Kritik - anders? Immerhin hat die europäische Gemeinschaft für Karabach sehr lange gebraucht, um den Konflikt überhaupt in seiner ganzen Tragweite zur Kenntnis zu nehmen.

In der öffentlichen Wahrnehmung waren Georgier und Armenier als "christliche" Völker vielleicht noch präsent oder sie konnten sich auf aktive Diasporagemeinden stützen, die das Bild von den Ereignissen in Westeuropa und in den USA beeinflussten. Über die mehrheitlich muslimischen und turksprachigen Aserbaidschaner wusste man relativ wenig. Einseitige Schuldzuweisungen waren schnell zur Hand, eine internationale Suche und Verurteilung von Schuldigen an den Morden und Massenvertreibungen sowohl aus Armenien als auch aus Aserbaidschan steht bis heute aus. Das hatte sicher auch mit der traditionellen Einflusszone des deutschen Haupthandelspartners in Osteuropa, mit Russland, zu tun.

Aber spätestens Mitte der 1990er Jahre oder seit der Aufnahme der drei südkaukasischen Republiken in den Europarat hätte eine klare Aussage hinsichtlich der Zugehörigkeit Karabachs zum Staatsterritorium Aserbaidschans eine neue Verhandlungsbasis schaffen müssen. Die Hoffnung, allein mit einer "Gleichbehandlung" Armeniens und Aserbaidschans – von der nicht zuletzt Georgien profitierte – und mit Verhandlungen hinter verschlossenen Türen in der Konfliktlösung weiter zu kommen, hat sich nicht erfüllt. Als illusorisch erwiesen sich Projekte, die "Grenzüberschreitung" zur Bedingung für Entwicklungshilfe machten, ohne zu beachten, dass sich zwei Staaten im Kriegszustand befinden. Ich glaube, die Ursache für das Nichtvorankommen bei der Lösung im Karabach-Konflikt ist verbunden mit dem unterschiedlichen Maß, das Europa Fragen von Selbstbestimmungsrecht und territorialer Integrität beimisst.