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"Die letzte Diktatur Europas"

1. April 2004

- PACE-Bericht zur Lage der Medien in Weißrussland

https://p.dw.com/p/4rQ0

Minsk, 30.3.2004, BELORUSSKAJA DELOWAJA GASETA, russ., Irina Chalip

Der Berichterstatter des politischen Ausschusses der PACE, Christos Pourgourides, hat bereits seinen zweiten Bericht über Weißrussland vorgelegt. Der erste – über die verschwundenen Politiker – tauchte bereits Ende letzten Jahres auf und wurde vom Ausschuss bei der Januar-Sitzung gebilligt. Jetzt liegt der zweite Bericht mit dem Titel "Verfolgung der Medien in Weißrussland" vor. Es ist nicht ausgeschlossen, dass beide Dokumente im April in Straßburg erörtert werden. Womöglich sogar im Rahmen einer Sitzung.

Während der erste Bericht von Pourgourides voll von Einzelheiten ist, so ging er beim zweiten vom Prinzip aus "was schreiben, wenn auch so alles klar ist". Das ist auch verständlich: Im Bericht über die Verschollenen wird die Führung Weißrusslands, unter anderen der Generalstaatsanwalt beschuldigt, Morde organisiert zu haben. Natürlich kann man nur dann für eine Resolution stimmen, in der steht, dass "hochrangige Persönlichkeiten Weißrusslands Verbrecher sind", wenn man Einzelheiten kennt. Was die Verfolgung der Medien in Weißrussland angeht, so ist das in Europa wahrscheinlich nur dem Allerfaulsten nicht bekannt, was teilweise auch der Solidarität der Journalisten zu verdanken ist. Sogar die europäischen Zeitungen und Zeitschriften, die nie über die verschwundenen Politiker berichtet haben, haben auf die Gerichtsurteile gegen Nikolaj Markewitsch und Pawel Moschejko, auf die Versuche der Machthaber, die "Belorusskaja delowaja gaseta" zu schließen, und auf die Schließung anderer unabhängiger Zeitungen im letzten Sommer reagiert. (...) Diese Schließungen waren der Grund dafür, einen Sonderberichterstatter der PACE zur Medien-Situation in Weißrussland zu ernennen.

Christos Pourgourides hat Weißrussland im letzten Herbst zwei Mal besucht. In seinem Bericht über die Verfolgung der Medien zählt er die Fakten auf, die nicht noch einmal genannt werden müssen, weil alle sie kennen. Ferner bekundet er im Namen der Versammlung Bedauern darüber, dass der Entwurf des neuen Gesetzes über Massenmedien dem Europarat nicht zur Begutachtung vorgelegt wurde (...), dass die Repräsentantenkammer sich weigert, eine gemeinsame Deklaration der PACE, der OSZE und des Europaparlaments anzunehmen, dass ein kategorisches "nein" zu vernehmen ist, wenn die OSZE vorschlägt, in Minsk ein Seminar über die Freiheit der Medien zu veranstalten... Aber nach diesem Bedauern und den Knicks kommen Schlussfolgerungen. Es wäre eine Sünde, diese nicht zu veröffentlichen: "Die Versammlung appelliert an die Staaten des Europarates, einzugestehen, dass diese Situation in Weißrussland nicht mehr geduldet werden kann. Die grundlegenden Rechte und Freiheiten werden systematisch aus einem Grund verletzt – das undemokratische Regime an der Macht zu erhalten. Das Regime von Präsident Lukaschenka basiert auf Repressionen, Einschüchterungen und Angst. Die repressiven Maßnahmen und die Einschüchterungen sind nicht nur gegen die Massenmedien gerichtet, sondern auch gegen alle übrigen demokratischen Institutionen, die Menschenrechtler und das Volk insgesamt. Im Jahr 2004 ist Weißrussland weiterhin ein Polizeistaat, mit den gleichen Bedingungen wie in den Zeiten der Sowjetunion. Es ist absolut notwendig, alles zu tun, damit Weißrussland zur Demokratie kommt. Millionen Weißrussen wurden während des Zweiten Weltkrieges getötet, als sie mutig gegen die faschistischen Eroberer kämpften. Aber die Freiheit ist immer noch nicht zu ihnen gekommen. Alle Mitgliedstaaten und Beobachter des Europarates sind verpflichtet, dafür zu sorgen, dass Weißrussland aufhört, die letzte Diktatur in Europa zu sein."

(...) Die Versammlung empfiehlt dem Präsidenten, der Regierung und dem Parlament Weißrusslands, den Artikel 5 des Gesetzes über Massenmedien außer Kraft zu setzen sowie die administrativen Sanktionen gegen die unabhängigen Zeitungen aufzuheben; das Strafverfahren wegen des Verschwindens von Dmitrij Sawadskij wieder aufzunehmen, neue Ermittlungen durchzuführen; die Präsidentenerlasse zu überdenken, bei denen es um das Beschaffen und die Verbreitung von Information geht; mit der Einhaltung des entsprechenden Artikels der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte zu beginnen. Obwohl Pourgourides und alle anderen europäischen Politiker gut verstehen, dass es verlorene Zeit ist, unseren Politikern etwas zu empfehlen. (...)

Der Bericht über die Verfolgung der Massenmedien wurde, wie bereits der vorausgegangene, der Repräsentantenkammer vorgelegt, damit sie sich mit ihm vertraut macht. (...) Und wenn auf den Bericht über die Verschollenen überhaupt keine Reaktion folgte, so reagierten doch unsere "Offiziellen" heftig auf den neuen Bericht. Die Antwort, die vom Vizevorsitzenden Wladimir Konopljow unterzeichnet wurde, wurde dem Bericht beigefügt. (...) Es folgen einige Argumente der weißrussischen Seite, mit deren Hilfe der Staat offensichtlich versucht, den Bericht in Abrede zu stellen.

"Das Gesetz der Republik Weißrussland ‚Über die Presse und andere Masseninformationsmittel‘ entspricht hundertprozentig der Verfassung der Republik Weißrussland." Eine mutige Erklärung, besonders, wenn man berücksichtigt, dass die Welt die Verfassung in ihrer jetzigen Form nicht anerkannt hat, und dass die weißrussischen Gesetze den internationalen Standards und nicht den inneren entsprechen müssen.

"Es muss hervorgehoben werden, dass die Verfassungen einiger Staaten Normen über den besonderen Schutz der Ehre und der Würde des Staatsoberhauptes enthalten. (...)" (...) Aber die Abgeordneten der Repräsentantenkammer wissen doch gut, dass nirgendwo in Europa außer Weißrussland Journalisten wegen Kritik am Präsidenten in Gefängnisse gesteckt werden. (...)

"Wir können dem Vorschlag nicht zustimmen, den Artikel 9 des Gesetzes über Massenmedien zu überdenken und die Registrierung für die Printmedien aufzuheben. Eine Registrierung der Massenmedien sehen auch die Gesetze anderer Staaten, z.B. Russlands, der Ukraine und Usbekistans vor." Aha, es wird behauptet, dass in einem Zulu-Stamm die Zeitungen auch heute noch auf Schilfblättern herausgegeben werden – ganz entsprechend der lokalen Gesetzgebung. (...)

Zum Schluss schlägt Wladimir Konopljow vor, den Bericht unter Teilnahme weißrussischer Experten neu zu schreiben, womit er alle künftigen Versuche Weißrusslands durchkreuzt, in den Europarat aufgenommen zu werden. Klar ist eigentlich, dass die Unterschrift des "Vizevorsitzenden Konopljow" eine reine Formalität ist, dass der Brief von einer ganzen Gruppe verschiedener Diplomaten, Beamten und Ideologen verfasst wurde, die sich mit Verfassungen verschiedener Länder eingedeckt und daraus Zitate herausgepickt haben, die ihren eigenen Standpunkt nicht bekräftigen. Niemand in Europa wird natürlich dieses Geschwätz ernst nehmen. (...) Man kann bereits heute voraussagen, wie die Ergebnisse der Abstimmung über die Resolution aussehen werden. Sie werden für die weißrussischen Machthaber noch weniger tröstlich sein, als die vorausgegangenen. Weil irgendwann die große russische Delegation fast einstimmig die weißrussischen Machthaber unterstützt hat. Die Zeiten haben sich zusammen mit den russisch-weißrussischen Beziehungen geändert, die zusammengebrochen sind.

Leider sind alle PACE-Resolutionen lediglich eine Empfehlung. Die PACE ist nicht der UNO-Sicherheitsrat. Nach der Annahme der Resolution über die Verfolgung der Medien in Weißrussland werden NATO-Truppen das Informationsministerium und die Präsidentenadministration nicht stürmen. Dieses Problem müssen wir selbst lösen. (lr)