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Die Linke und die Krise

7. April 2009

Banker, die nur auf die Rendite schauen, haben die Weltwirtschaft an den Abgrund geführt: Die Krise wirkt wie ein Kapitel aus einem kapitalismuskritischen Theoriebuch. Welche Antworten hat die Linke?

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Demonstranten tragen einen Sarg, der Kapitalismus symbolisieren soll, auf den Schultern, Demonstration am 28.03.2009 in Berlin gegen den G20-Gipfel in London symbolisch den Kapitalismus zu Grabe(Foto: AP)
Linke Demonstranten tragen den Kapitalismus zu Grabe und protestieren so gegen die G20Bild: AP

Die Krise des Kapitalismus ist die Stunde der Revolution. So lehrt es die linke Denktradition seit Karl Marx. Daher sehen sich linke Politiker, Intellektuelle und Aktivisten jetzt besonders gefordert. Die Krise sei ein "produktiver Zustand", man müsse ihr nur den Anschein der Krise nehmen, zitiert Michael Brie den Schriftsteller Max Frisch. Brie ist Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die der Linkspartei nahe steht. Viele ihrer Publikationen in den vergangenen Monaten tragen Titel wie "Krisenkapitalismus - wohin es weitergeht" oder "Die Krise des Finanzmarkt-Kapitalismus - Herausforderung für die Linke".

Gescheiterte Institutionen

Walden Bello, Träger des alternativen Nobelpreises vor einer Bücherwand (Foto: dpa)
Walden Bello, Träger des Alternativen NobelpreisesBild: picture-alliance / dpa/dpaweb

Doch sosehr sich die Linke durch die Krise in ihrer bisherigen Kritik am bestehenden Finanzsystem bestätigt fühlt, sowenig konnte sie sich in der Öffentlichkeit Gehör verschaffen. Die meisten Linken ärgert, dass ausgerechnet die G20, der um einige Schwellenländer erweiterte Club der führenden Industrienationen, die Regeln für ein sichereres Finanzsystem aufstellt. An den Treffen der Staatengruppe entzünden sich regelmäßig die Proteste der Globalisierungskritiker.

Und schlimmer noch: Der Internationale Währungsfonds, für die Linke der Hauptverursacher der wirtschaftlichen Misere in vielen Schwellen- und Entwicklungsländern, soll die neuen Regeln umsetzen. Der Soziologieprofessor Walden Bello aus den Philippinen protestiert seit Jahren gegen die Washingtoner Institution. "Dass Institutionen, die Teil des Problems sind, zum Kern der Lösung werden, funktioniert nicht - und hat nie funktioniert", empört er sich.

"Das ist nicht unsere Krise"

Bello glaubt, dass die Versuche der "Establishment-Ökonomen" zum Scheitern verurteilt sind. Der Träger des Alternativen Nobelpreises sieht bereits eine Ära neuer Straßenkämpfe heraufziehen, vergleichbar mit den Auseinandersetzungen zwischen Faschisten und Kommunisten in Italien und Deutschland zu Beginn der dreißiger Jahre. "Lassen Sie mich nur sagen: Die Dinge werden auf der Straße entschieden", verkündet er. "Wir auf der Linken haben nur eine Wahl: Wir müssen diesen Kampf gewinnen."

Susan George, Politikprofessorin und Vordenkerin der Globalisierungsgegner, spricht in ein Mikrofon (Foto: dpa)
Susan George, Vordenkerin der GlobalisierungsgegnerBild: picture-alliance / dpa

In verschiedenen europäischen Städten gingen Ende März Demonstranten auf die Straße, um zu deutlich zu machen: "Das ist nicht unsere Krise". Allein in Deutschland protestierten Zehntausende und in in London wurde der G20-Gipfel von schweren Krawallen begleitet. Dennoch: Aus den Reden der linken Vordenker klingt eher Verbitterung als Aufbruchstimmung. Nach siebzig Jahren Realsozialismus und zwanzig Jahren Neoliberalismus, wie die ökonomische Mehrheitsmeinung in der linken Rhetorik heißt, ist von den Universalrezepten der Vergangenheit nicht mehr viel übrig.

Susan George, Politikprofessorin und Vordenkerin der Globalisierungsgegner, gibt sich Mühe, klassenkämpferische Töne zu vermeiden, wenn sie von der Kernforderung der Linken spricht: der Verstaatlichung der Banken. Die Kreditvergabe müsse ein "öffentliches Gut" werden, sagt sie. "Ich meine jetzt nicht, dass man einfach Geld auf dem Alexanderplatz verteilt. Aber jeder sollte ein Recht auf Kredit zu bestimmten Konditionen haben."

Linkspartei: Kein VEB Opel

Ein Mann geht an einer Leinwand mit drei Fotos von Ope-Modellen entlang (Foto: AP)
Linkspartei: Opel soll nicht zum Staatsbetrieb werdenBild: AP

Auch die deutsche Linkspartei fordert eine Verstaatlichung der "maroden Großbanken". Gregor Gysi, einer der beiden Parteivorsitzenden, fügt aber schnell hinzu, dass er sich in ferner Zukunft auch eine Reprivatisierung vorstellen könnte - solange der Staat nicht auf den Schulden sitzen bleibe. Und von weitergehenden Forderungen nach Verstaatlichung distanziert sich die Linkspartei ganz. Man wolle keine "VEB Opel" - Volkseigener Betrieb, kurz VEB, so hießen in der DDR die Staatsbetriebe. In den vergangenen Wochen war über eine Verstaatlichung des angeschlagenen Automobilkonzerns spekuliert worden.

Die Linkspartei will stattdessen ein "künftiges Unternehmensprojekt" entwickeln. "Wir brauchen ein Miteigentum der Belegschaft an großen Unternehmen von bis zu 49 Prozent. Dann wird ein ganz anderer Interessenausgleich organisiert", sagt Gysi. Zunächst aber will er diese Idee "genauer analysieren". So ganz kann er den Eindruck nicht vermeiden, dass die die Linke von ihrer historischen Chance überrascht worden ist.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Christina Hebel