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Die müden Knochen des alten Kontinents

Alexander Kudascheff, Brüssel12. Mai 2004

Die Politiker schaffen es nicht, der Europawahl Schwung einzuimpfen. Die drohende Europamüdigkeit registrieren die meisten mit einem Achselzucken.

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Brüssel wird leerer. Dabei haben die Ferien noch gar nicht begonnen. Aber: Die Europaabgeordneten aus inzwischen 25 Ländern haben Europas Hauptstadt verlassen. Sie sind nach Hause zurückgekehrt - denn der Wahlkampf hat begonnen. So manche sprechen sogar von der "heißen Phase". Denn am 13. Juni wird gewählt. Doch heiß ist der Wahlkampf nicht, und heiß ist auch das Interesse der Bürger an den Wahlen nicht.

In allen 25 Ländern steht die Wahl zum europäischen Parlament unter innenpolitischen Aspekten. In Deutschland wird es ohne Frage eine Denkzettelwahl für das Chaos der rot-grünen Regierung in Berlin. In Italien eine Abrechnung mit Berlusconi oder nicht. In Frankreich - wenige Wochen nach den Regionalwahlen - wahrscheinlich wieder eine Ohrfeige für die Konservativen. Und in England wahrscheinlich ein Misstrauensvotum gegen Blair, gegen die schrecklichen Foltervorwürfe, gegen die zu enge Anlehnung an Washington - und ganz nebenbei auch noch eine schallende Ohrfeige für Europa. Bei der letzten Wahl vor fünf Jahren sind gerade einmal ein Viertel aller Briten zur Wahl gegangen, damals schon ein Minusrekord. Und diesmal werden es wohl noch weniger sein. Und selbst die sonst durchaus europafreundlichen Deutschen werden sich zurückhaltend an der Wahl beteiligen. Man schätzt auf gerade einmal 50 Prozent, die überhaupt wählen werden. Das ist für Deutschland ebenfalls ein Minusrekord.

Schmerzmindernd

Das mindert zwar den Schmerz der Regierung in Berlin, falls sie abgestraft werden sollte - aber insgesamt ist es doch enttäuschend. Und zeigt vor allem eins: Die Regierungen betreiben Europapolitik gerne hinter dem Rücken der Völker. Sie betreiben Europapolitik gerne in der geschlossenen Gesellschaft eines nur wenigen zugänglichen Clubs. Und damit entfremden sie Europa von den Bürgern. Sie machen nicht deutlich, warum Europa wichtig ist, welchen Fortschritt es für die Bürger bringt, warum es sich lohnt, wählen zu gehen. Und weil sie sich nicht wirklich kämpferisch engagieren, können sie die müde Wahlbeteiligung letztendlich auch nur achselzuckend quittieren. Das aber reicht nicht, um neuen Schwung in die müden Knochen des alten Kontinents zu bringen. Und - ganz en passant - wahrscheinlich wird im neuen Europa auch nicht mehr zur Urne gegangen als im alten Europa.

Da haben sich die zehn Neuen schnell an die 15 Alten angepasst. Und so wird wohl am Abend des 13. Juni und am katergeschwängerten Morgen danach in allen Hauptstädten sich gefragt werden, warum interessiert sich niemand für Europa? Die Antwort ist einfach: Wenn nur alle fünf Jahre die Chance besteht, ein bisschen was mitzubestimmen und ansonsten die Regel gilt, über Europa wird grundsätzlich nur Positives gesagt, muss sich niemand wundern, wenn die Bürger zur Wahl gehen. Also heißt die Schlussfolgerung schlicht: Über europäische Dinge muss in Volksabstimmungen mit entschieden werden. Mit der Verfassung, die vielleicht bis Ende Juni fertig ausgehandelt sein könnte, muss der Anfang gemacht werden. Nicht nur in England, nein auch in Deutschland, Luxemburg, Finnland, einfach überall. Nur so kann man der Euroskepsis und der Euromüdigkeit begegnen.