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Die neue Berliner Luft

Jens Thurau17. Juni 2005

Es liegt etwas in der Luft in Berlin. Abschieds - und Wechselstimmung nämlich. Der Bundeskanzler ist grimmig entschlossen, sich vom Volk und nicht von der eigenen Partei oder der Opposition aus dem Amt tragen zu lassen.

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Vor nunmehr fast vier Wochen hat Schröder verkündet, Neuwahlen anzustreben, und seitdem gibt es diese immer deutlicher werdende Luftveränderung in der Hauptstadt.

2000 Journalisten erschienen diese Woche zum Medienabend der Union – fast doppelt so viele wie gedacht. Man stellt sich ein auf die neuen Machthaber, die in den Umfragen so weit voraus liegen, dass nur noch eines den Sieg am 18. September verhindern kann: Die Tatsache, dass drei Monate vor dem Wahltermin alles festzustehen scheint. Wer weiß, wer weiß ... so lautet die letzte sozialdemokratische Hoffnung.

Rot und Grün sind nicht zu beneiden derzeit. Es gilt der alte Spruch: Erst hatten sie kein Glück, dann kam auch noch Pech dazu. Ganz sicher waren sich die Vertreter der Regierung im Visa-Ausschuss, dass es rechtlich wasserdicht ist, wenn sie die Arbeit des Gremium abbrechen möchten mit dem Hinweis auf die möglichen Neuwahlen. Tenor: Keine Zeit mehr für gründliche Aufklärung. Untertenor: Das lästige Thema Visa-Affäre bloß raushalten aus dem Wahlkampf. Das Bundesverfassungsgericht sah das anders und beschloss auf Antrag der Opposition: Weiterarbeiten, bis der Bundestag offiziell aufgelöst ist.

Und das dauert ja tatsächlich noch. Erst muss der Kanzler am 1. Juli die Vertrauensfrage verlieren. Dass er diese Frage stellen will, teilte jetzt Staatsminister Rolf Schwanitz dem Ältestenrat des Parlaments mit. Flugs wurde er von den bösen Medien daraufhin "Auflösungsminister" getauft. Ist die Vertrauensfrage dann glücklich gescheitert, muss der Bundespräsident das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen. Und bis dahin muss der Visa - Ausschuss nun zum Ärger von SPD und Grünen weitermachen.

Und der Kanzler? Der schwebt fast losgelöst von allem von Termin zu Termin, stellt in Göttingen kurz klar, dass er für die Stammzellenforschung größtmögliche Freiheit will, was SPD und Grüne mehrheitlich so nicht sehen, gibt den Staatsmann, der sich darum sorgt, wie sein Bild in den Geschichtsbüchern dereinst aussehen wird. Gerhard Schröder, so melden die gut unterrichteten Kreise, soll zwischendurch regelrechte Depressionsschübe haben ob der desolaten Lage. Seine Kontrahentin lächelt derweil und lächelt und lächelt.