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Die Neugründung des Staates

Mirjam Gehrke23. April 2009

Von Rafael Correa hatten sich viele Beobachter erhofft, es werden Ruhe und Stabilität in die politischen Verhältnisse des Ecuadors kommen. Doch Correa hat das Land von Grund auf umgekrempelt.

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Bild: APTN/DW

Ecuador wurde Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts von der dritten großen Demokratisierungswelle Lateinamerikas erfasst. Doch auch nach fast 3 Jahrzehnten kann die Demokratie noch nicht als gefestigt gelten. Die beiden großen politischen Lager, Konservative und Liberale, haben es jahrzehntelang versäumt, die breite Bevölkerungsmehrheit in die politischen Prozesse einzubeziehen. Zudem definieren sich die Parteien nicht in erster Linie über programmatische Aussagen, sondern über ihre mehr oder minder charismatischen Führungspersönlichkeiten.

Ecuador Präsident Rafael Correa
Rafael Correa hat sich den Umbau des Staates auf die Fahnen geschriebenBild: AP

Auf dieser Grundlage konnte Rafael Correa Ende 2006 einen ganz auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf führen, in dem er sich als Einzelkämpfer darstellte. Er ging dabei ein hohes Risiko ein: seine "Alianza País“ – "Bündnis für das Land“ hatte keine eigenen Kandidaten für den Kongress aufgestellt. Auf große Zustimmung in der Bevölkerung stieß Correas Ankündigung, den Nationalkongress auflösen und eine verfassunggebende Versammlung einzuberufen.


Bedenkliche Entwicklung


Für den Politikwissenschaftler Karl-Dieter Hoffmann vom Zentralinstitut für Lateinamerika-Studien der Universität in Eichstätt hatte sich Correa damit auf dünnes Eis begeben. Die Neutralisierung mehrerer staatlicher Institutionen sei hält er für bedenklich. "Das Verfassungsgericht wurde vom Parlament entlassen. Schon zuvor war über die Hälfte der Abgeordneten im Parlament ausgewechselt worden. Die Nachrücker haben sich größtenteils auf die Seite der Regierung geschlagen." Correa habe die Gewaltenteilung in Ecuador zu Beginn seiner Präsidentschaft de facto außer Kraft gesetzt, so Hoffmann. Dass Correa sein Projekt des Staatsumbaus so schnell umsetzen konnte wundert ihn nicht: "Es gab keine Opposition mehr, die sich effektiv artikulieren konnte."

Ecuador - Hochland: Typische Hütte der Indios
Land der Gegensätze: Zwischen dem Leben in den Anden ...Bild: picture-alliance/dpa

Correa hat für seine Amtzeit die Parole ausgegeben, Ecuador nach venezolanischem Vorbild in Richtung des "Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ umzugestalten. Schon im Dezember 2006, noch vor seiner Amtsübernahme, hatte der Wirtschaftswissenschaftler und frühere Finanzminister Correa für Unruhe an den internationalen Finanzmärkten gesorgt. Damals hatte er angekündigt, die Auslandsschulden Ecuadors neu verhandeln zu wollen. Rund 75% der Verbindlichkeiten sollten gestrichen werden – so wie es die argentinische Regierung in einem nicht mit den Gläubigern abgestimmten Schritt bereits einige Jahre zuvor vorexerziert hatte.


Richtige Sozialpolitik

Hilton Colón Quito Ecuador
... und in der Hauptstadt Quito liegen scheinbar Jahrunderte.

Die Einsparungen beim Schuldendienst sollten zur Steigerung der Sozialausgaben im Bildungs- und Gesundheitssektor verwenden werden. Im Correas erstem Amtsjahr stiegen die Sozialausgaben um 20% gegenüber dem Niveau von 2006. Unter anderem wurde eine staatliche Unterstützung für Bedürftige in Höhe von zunächst 30 Dollar eingeführt. Ein Schritt in die richtige Richtung, so Karl-Dieter Hoffmann. "Ecuador hat hier einen enormen Nachholbedarf. Andererseits muss man auch sagen, mehr Geld allein reicht nicht aus. Gleichzeitig muss auch die Effizienz der Institutionen und Organisationen, die hier beteiligt sind, verbessert werden. Sonst versickert das Geld und kommt nicht dort an, wo es ankommen soll."


Vor dem Hintergrund der konkreten sozialpolitischen Maßnahmen der Regierung Correa, die zu mindest auf einen kurzfristigen Erfolg angelegt sind, mahnt der Eichstätter Politikwissenschaftler Karl-Dieter Hoffmann jedoch davor, die sich abzeichnende Demontage des Rechtsstaates in Ecuador nicht ernst zu nehmen. "Man muss sich de Frage stellen, ob er etwas ganz anderes anstrebt, in Richtung mehr Macht für die Exekutive, und eventuell. auch eine Kopie der Prozesse, die wir in Venezuela und Bolivien in den letzten Jahren erlebt haben."


Konfrontationskurs


Nachdem Ecuador seine Schulden beim IWF im April vorzeitig und vollständig bezahlt hatte, ging das Land auf Konfrontationskurs zur Weltbank – dessen Vertreter wurde als persona non grata des Landes verwiesen. Die Weltbank hatte 2005 eine bereits zugesagte Kredittranche zurückgehalten: damals hatte Correa in seiner Funktion als Finanzminister bereits höhere Sozialausgaben zu Lasten der Schuldentilgung angekündigt.

Wahlen in Ecuador Wahlurnen Soldaten
Alle Wahlen und Referenden hat Präsident Correa seit Amtsantritt 2006 klar gewonnenBild: AP

Die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt ermöglichten es den linken Regierungen Lateinamerikas, zu mindest bis zum Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, eine kostenintensive Sozialpolitik voranzutreiben. Doch Almosen allein sind kein Allheilmittel im Kampf gegen die endemische Armut. Und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung kann Ecuador nicht allein aus eigener Kraft erreichen, warnt Karl-Dieter Hoffmann. Zwar verfüge Ecuador über bedeutende Öl- und Erdgasreserven. "Richtig ist aber, Ecuador ist nicht Venezuela. Die Kinder, die heute geboren werden, werden zu einem Zeitpunkt in den Arbeitsmarkt ein, wenn die Erdölquellen möglicherweise weitgehend versiegt sein werden. Und wenn man die vorhandenen Reserven optimal fördern will, braucht man hohe Investitionen." Ecuador ist sehr stark abhängig von dem steigenden Anteil, den die ausländischen Firmen dort fördern.


Integration in Lateinamerika


Da das Land auch weiterhin auf Finanzhilfen angewiesen sein wird, ist Ecuador der von Argentinien und Venezuela initiierten Entwicklungsbank "Banco del Sur" beigetreten. Die Bank, die sich als Alternative zur Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank versteht, soll unter anderem Geld für Infrastrukturmaßnehmen bereitstellen, die nationalen Unternehmen der Mitgliedsländer unterstützen und den Mittelstand stärken – ein Gegenentwurf zur inzwischen gescheiterten Gesamtamerikanischen Freihandelszone FTAA. Dieses Projekt Washingtons war 2005 auf dem Amerika-Gipfel in Mar del Plata am Widerstand der Mehrheit der lateinamerikanischen Regierungen gescheitert.