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Die New Economy sah 2001 ganz alt aus

3. Januar 2002

Wenn Anleger und Börsianer am Neuen Markt das Wort des Jahres wählen müssten, stünde ein Begriff mit großem Abstand an der Spitze: Vertrauensverlust.

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Angesichts handfester Skandale, undurchsichtiger Unternehmenspleiten, unbefriedigender Bilanzen und erdrutschartiger Kursverluste stellen viele die Frage, ob der einst gefeierte Marktplatz der "New Economy" überhaupt noch eine Existenzberechtigung habe.

Deutsche Börse in Frankfurt
Starke Kursverluste am Neuen MarktBild: AP

Der NEMAX 50 hatte sich mit einem Stand von 2.869,01 Punkten vom Jahr 2000 verabschiedet - weit entfernt vom Höchststand der Spekulationsblase bei 9.694,07 Punkten. Kein Wunder also, dass sich wohl so mancher Privatanleger zu Silvester wieder steigende Kurse am Neuen Markt für 2001 gewünscht haben mag. Doch zum Jahresende dümpelt der Leitzindex unter 1.200 Punkten.

Intershop löst Panik aus

Schon der Start ins Börsenjahr 2001 begann mit einem Paukenschlag. Während die Börsianer noch das neue Jahrtausend mit Sekt begrüßten, brachte das Jenaer Software-Unternehmen Intershop völlig unerwartet eine Gewinnwarnung heraus. Die Seenot des Flaggschiffs der "New Economy" löste regelrechte Panik aus.

Im Boomjahr 2000 hatte fast jede fünfte gehandelte Aktie am Neuen Markt "Intershop" geheißen. Jetzt stürzte das Wertpapier binnen Stunden um 70 Prozent ab, die Intershop-Anleger verloren etwa vier Milliarden Euro - und der NEMAX 50 gut 227 Punkte. "Da werden Depots schnell zu Deponien", war das Fazit eines Aktienhändlers. Selbst die Anteilsscheine des DAX-Unternehmens SAP stürzte am Tag des Offenbarungseides der Neuen Wirtschaft zeitweilig um 17 Prozent.

Der Medienrechtehändler EM.TV stolperte schließlich über horrende Verluste, überteuerte Unternehmenskäufe und ein gescheitertes Geschäftsmodell. Unternehmenschef Thomas Haffa schaffte es mit seinem Rücktritt noch ein Mal auf die Titelseiten der Wirtschaftspresse, allerdings auch in die Akten der Staatsanwaltschaft. Während ein neues Management die schwierige Rettung des Unternehmens probt, haben bei Brokat, Infomatec, Biodata, und Metabox inzwischen die Insolvenzverwalter das Sagen. Und auch die seit Jahren bei den Kinogängern etablierte Kinowelt muss trotz eines Rekordjahres an den Kinokassen um ihre Existenz kämpfen.

Zu wenig unternehmerische Fähigkeiten

Wie einige Unternehmen des Neuen Marktes ins Wanken geraten konnten oder gar fielen, erklärte Jörg Pluta, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), schon vor Monaten. Sein Urteil war vernichtend. Bei den Köpfen einiger schwarzer Schafe am Neuen Markt seien die "unternehmerischen Fähigkeiten so wenig ausgeprägt, wie die Geldgier übersteigert" sei. Auch ein Grund, weshalb sich das Dot-Com-Sterben 2001 verdoppelt hat. Mindestens 537 Internet-Unternehmen in aller Welt haben sich laut einer Studie im vergangen Jahr aus dem Geschäft zurückgezogen oder Bankrott gemacht.

Höheres Unrechtsbewusstsein bei Rechtssprechung

Die Anleger, die zuerst vom Börsenboom profitiert hatten, blieben auf ihren Kursverlusten sitzen: Viele fühlen sich betrogen, können aber nur auf geringe Hilfe der Justiz hoffen. "Bei Staatsanwaltschaften, Bundesaufsichtsämtern und Gerichten fehlt schlicht das Unrechtsbewusstsein. Wir brauchen insoweit das gleiche Unrechtsbewusstsein wie beim Tatbestand der Geldfälschung", bringt Anwalt Klaus Rotter, der Prozesse gegen Unternehmen am Neuen Markt führt, seine Kritik an der Justiz auf den Punkt.

Mit einem Rechenbeispiel zog die Schutzgemeinschaft der Kleinaktionäre einen Schlussstrich unter das Jahr: Von 1.000 Euro, die ein Anleger vor 18 Monaten in den Neuen Markt investiert habe, seien noch 90 Euro übrig. Wer das Geld statt dessen in Bierkästen investiert hätte, der hätte jede Woche 20 Flaschen Spitzenbier trinken können. Das übrig gebliebene Leergut hätte immer noch einen Restwert von immerhin 200 Euro.