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Die panarabischen Ideale

Kersten Knipp20. April 2012

Große Teile der syrischen Bevölkerung haben sich gegen das Assad-Regime erhoben. Doch außenpolitisch gibt es durchaus Gemeinsamkeiten zwischen Regierung und Opposition.

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Drusen auf dem Golan protestieren für Assad und gegen Israel, 17.4. 2012. (Foto: Getty Images)
Bild: Getty Images

Herr Prof. Meyer, derzeit hat Syrien nahezu die gesamte Staatenwelt gegen sich. Tatsächlich zwang die über Monate praktizierte Gewalt die internationale Gemeinschaft zum Handeln. Gleichzeitig sind aber längst nicht alle Staaten, die Syrien nun kritisieren, Musterbeispiele für Demokratie und Menschenrecht. Das gilt auch für einige Staaten in der Nahost-Region. Welche Motive vermuten Sie hinter dem Versuch der Arabischen Liga, einen Regimewechsel in Syrien durchzusetzen?

Ein entscheidender Hintergrund ist der Einfluss der USA, gerade auch auf die Regierungen in der Arabischen Welt. Dies zeigt sich vor allem in einer neuen Allianz zwischen den USA einerseits und Katar und Saudi-Arabien andererseits, die von den übrigen Staaten des Golf-Kooperationsrates und der Türkei unterstützt wird. Sie verfolgen das gemeinsame Ziel, das Regime in Syrien zu stürzen. Das Ergebnis wäre dann mit größter Wahrscheinlichkeit die Etablierung einer durch die Muslimbrüder dominierten und vom Ausland gesteuerten Herrschaft in Damaskus. Diese Zielsetzung, der die meisten Regierungen in der Arabischen Liga auf Druck der genannten Hauptakteure zugestimmt haben, deckt sich aber keineswegs mit den Vorstellungen großer Teile der arabischen Bevölkerung. Die starke Unterstützung der syrischen Regierung für die Palästinenser, der Widerstand gegen Israel und die Ablehnung der US-Dominanz, das sind Argumente, die gerade jetzt in der Spätphase der arabischen Revolutionen immer mehr die Oberhand gewinnen. Deshalb identifiziert sich ein großer Teil der Bevölkerung in der Arabischen Welt mit den Positionen, die von der syrischen Regierung vertreten werden.

In den letzten Jahren trat Syrien im Namen pan-arabischer Ideale oft als Widersacher gegen die Dominanz des Westens auf. Welche Rolle wird Syrien diesbezüglich in Zukunft spielen?

Nach dem Überfall des Irak auf Kuwait 1990 hatte Syrien noch klar die Position der Allianz bezogen und auf Seiten der USA gegen das Regime im Irak gekämpft. Das änderte sich grundlegend im Jahr 2003, als die USA im Irak einmarschierten. Syrien hat von Anfang an gegen diese Intervention der USA Front gemacht. Außerdem sieht die syrische Regierung in Friedensverhandlungen mit Israel keinen Sinn, solange sich die Rahmenbedingungen nicht bessern: Das bedeutet ein grundsätzliches Ja zum Frieden im Nahen Osten, aber nicht zu Bedingungen, die von Israel und den USA diktiert werden. Solange der völkerrechtlich illegale Siedlungsausbau der Israelis in den besetzten Gebieten fortgesetzt wird, solange ist Syrien nicht bereit, Friedensverhandlungen mit Israel zuzustimmen. Ein weiterer Grund des Widerstandes gegen die USA ist die Ablehnung dessen, was als "The New Middle East" bezeichnet wird, wo im Wesentlichen die politischen und wirtschaftlichen Interessen der USA in der Region dominieren und die östliche Arabische Welt mittlerweile voll gestopft ist mit US-Militärbasen. Das kollidiert direkt mit den pan-arabischen Zielsetzungen des Baath-Regimes in Syrien.

Der Flugzeugträger Harry Truman im östlichen Mittelmeer, 10.2. 2003
US-Truppen für Washingtons "Neuen Nahen Osten": Der Flugzeugträger Harry Truman im östlichen MittelmeerBild: AP

Dem Assad-Regime wird vorgeworfen, Verbindungen zu Gruppen zu haben, die aus Sicht des Westens als terroristisch einzustufen sind. Wie sehen Sie diesen Vorwurf?

Diejenigen, die im Nahost-Konflikt von Israel, den USA und anderen westlichen Staaten als Terroristen bezeichnet werden, sind aus Sicht der Regierung Assad und eines großen Teils der Bevölkerung in der Arabischen Welt Freiheitskämpfer. Genau aus diesem Grunde hat Syrien angesichts seiner pan-arabischen politischen Orientierung seit langem den Kampf um die Befreiung Palästinas von der israelischen Besatzung unterstützt. Dadurch wird auch verständlich, dass sich die Schaltzentrale der Hamas in Damaskus befindet und Chalid Maschal als Chef des Politbüros der Hamas viele Jahre lang eng mit der syrischen Regierung zusammenarbeitet hat. Erst in den letzten Monaten ist es vor allem von Seiten der Muslimbrüder und durch politischen Druck aus Katar und der Türkei zu einer Entfremdung zwischen Hamas und der syrischen Regierung gekommen. Einige führende Mitglieder der Schaltzentrale haben sich bereits aus Syrien abgesetzt. Nach palästinensischen Angaben sollen Verhandlungen darüber laufen, die Zentrale der Hamas nach Kairo zu verlegen.

Prof. Dr. Günter Meyer Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt (ZEFAW), Universität Mainz (Foto: privat)
Arabien-Experte Günter Meyer: Annan-Plan ist einzige Chance für friedlichen WandelBild: privat

Wie beurteilen Sie die Unterstützung der Hisbollah durch die syrische Regierung?

Die Hisbollah wird weitgehend aus den gleichen politischen Motiven unterstützt wie die Hamas. Der pan-arabischen Ideologie der staatstragenden Baath-Partei entsprechend verfolgt die syrische Regierung das Ziel, die palästinensischen Gebiete von der israelischen Besatzung zu befreien. Darüber hinaus dient die syrische Unterstützung der Hisbollah aber auch als ein politisches Druckmittel, um die Rückgabe der von Israel annektierten Golanhöhen zu erreichen. Die Stärkung des militärischen Potentials des Israel-Gegners Hisbollah liegt deshalb im Interesse des syrische Regimes. Wenn die Berichte stimmen, wonach die Waffenarsenale der Hisbollah vor allem mit iranischen Raketen aufgefüllt worden sind, dann können diese Waffen nur über Syrien in den Südlibanon geliefert worden sein.

Plakat des syrischen Präsidenten Baschar Al Assad und des Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah in der schiitischen Pilgerstätte Sayyida Zainab bei Damaskus, 27.07.2010. (Foto: Matthias Tödt)
Brüder im Glauben und an den Waffen: Hassan Nasrallah und Baschar al AssadBild: picture alliance/ZB

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Syrien möglichst rasch zu befrieden?

Die einzige Möglichkeit besteht darin, den mit dem Annan-Plan vorgegebenen Weg fortzusetzen. Eine Eskalation der Gewalt kann nur durch eine innersyrische Verhandlungslösung verhindert werden, an der alle beteiligten syrischen Gruppierungen mit ihren teils sehr unterschiedlichen Interessen mitwirken. Auf der einen Seite steht die innersyrische Opposition, vertreten durch das Nationale Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, das sich im Wesentlichen aus den Anhängern von 13 überwiegend links orientierten Parteien zusammensetzt. Ihr gegenüber stehen die überwiegend aus Deserteuren bestehende Freie Syrische Armee und auch die Mitglieder des Nationalrats. Der vor allem von außen gesteuerte und von den Muslimbrüdern dominierte Syrische Nationalrat setzt auf Unterstützung aus Katar, Saudi-Arabien und der Türkei. Damit will er einen gewaltsamen Sturz des Regimes erreichen. Wenn es mit Hilfe der UN-Beobachter gelingt, die Kampfhandlungen deutlich zu reduzieren und Verhandlungen zwischen den wichtigsten Gruppierungen aufzunehmen, dann wäre das wirklich eine Chance, um einen friedlichen politischen Wandel innerhalb des Landes erreichen zu können. Gelingt das nicht – und da sehe ich vor allem die Gewaltbereitschaft der Oppositionellen als Hauptgrund für ein Scheitern –, dann wird nach Meinung arabischer Medien das Risiko von konfessionellen Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten über Syrien hinaus im gesamte Nahe Osten erheblich steigen.

Prof. Günter Meyer ist Geograph an der Universität Mainz und Leiter des "Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt".