1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

"Die polnischen Ohren des Erich Honecker"

1. September 2003

Stasivergangenheit bedeutender Vertreter des heutigen Polens

https://p.dw.com/p/41qx

Posen, 24.8.2003, WPROST, poln.

Vizeaußenminister Zbigniew Sobotka und Stanislaw Ciosek, Berater des Präsidenten Kwasniewski, sowie Wieslaw Klimczak, Leiter des einflussreichen Verbandes "Ordynacka", haben mit dem Staatssicherheitsdienst der DDR zusammengearbeitet. Dies geht aus Stasi–Akten hervor.

Es gibt so viele Stasi-Akten über polnische Mitarbeiter, dass sie auf mehrere Lastwagen geladen werden könnten. Die Funktionäre der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) sowie die Vertreter des kommunistischen Innenministeriums Polens haben ihre Kollegen aus der ehemaligen DDR bei der Durchdringung und Bekämpfung der polnischen Opposition unterstützt und dabei Staatsgeheimnisse preisgegeben. (...) Es gab aber viel mehr solche Informanten. Die Stasi verfügte in Polen über mehrere tausend Mitarbeiter. Diejenigen von ihnen, die wir jetzt ausfindig machen konnten, verteidigen sich und behaupten, dass sie dies unbewusst getan haben. (...)

Zu den engsten Mitarbeitern des MfS gehörte u. a. der ehemalige Erste Sekretär des Woiwodschaftskomitees der PVAP in Wroclaw (Breslau) Ludwik Drozdz. Aus einem Bericht der HVA Abteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR geht hervor, dass Ludwik Drozdz damals auf "brüderliche Unterstützung der kommunistischen Staaten bei der Bekämpfung der Opposition in Polen" hoffte. Er betonte, dass "die Ordnung von der Miliz nur dann wieder hergestellt werden kann, wenn diese Aktion klug vorbereitet sowie zentral und sehr energisch gesteuert wird. Dazu müssten jedoch die polnische Miliz durch die Genossen von entsprechenden Milizeinheiten aus den Bruderstaaten in polnischen Uniformen gestärkt sowie eventuell schweres Gerät eingesetzt werden."

"Vielleicht sind diese Informationen irgendwie an die Stasi gelangt", verteidigt sich Ludwik Drozdz heute in einem Gespräch mit "Wprost" und fügt hinzu: "Ich habe mit den Ostdeutschen zusammengearbeitet und aus eigenem Willen mit ihnen gesprochen, weil damals enge Kontakte zwischen der PVAP und der SED bestanden. Die SED und der polnische Staatssicherheitsdienst waren jedoch noch stärker miteinander verbunden. Meiner Meinung nach haben uns die deutschen Kollegen sehr geholfen in der Zeit, in der die Partei von allen Seiten angegriffen wurde. Ich habe gar nichts unterschrieben, aber ich hatte auch keine Angst, in den Gesprächen mit den deutschen Genossen das zu sagen, was ich dachte". (...)

Gemeinsame Unternehmungen und sogenannte Arbeitstreffen zwischen den Funktionären des polnischen Staatssicherheitsministeriums und des MfS gab es noch bis 1989. (...) "Natürlich haben wir mit den Deutschen zusammengearbeitet. Die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste bezog sich auf alle Staaten innerhalb des Warschauer Paktes", sagt General Henryk Dankowski, damals Vizeaußenminister Polens, und fügt hinzu: "Die Deutschen waren in dieser Zeit besonders an Informationen über die Lage in Polen interessiert. Sie wussten, dass sich die Unruhen in Polen auf die Situation bei ihnen auswirken werden. Gemäß den damals unterzeichneten Abkommen konnte jedoch kein fremder Nachrichtendienst, auch nicht einer aus den befreundeten Staaten auf eigene Faust in einem befreundeten Land eigene Agenten werben. Es konnte sich lediglich um Einzelfälle handeln, bei denen gegen diese geltenden Regeln verstoßen wurde. Aber meistens sind die Deutschen bei normalen Gesprächen an Informationen gelangt".

Das stimmt jedoch nicht. Das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR stützte sich nicht nur auf Informanten, die für das polnische Innenministerium gearbeitet haben, sondern suchte selbst nach Mitarbeitern in vielen Gesellschaftsschichten wie z. B. unter Studenten oder bei der Leitung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei.

(...) Die letzten Meldungen der polnischen Informanten wurden beim MfS bereits nach der Unterzeichnung der Vereinbarungen des (polnischen – MD) Runden Tisches empfangen. Jerzy Janicki, damals Mitglied des Zentralkomitees der PVAP und Direktor der Fabrik Ursus, klagte in einer Meldung an die Stasi über die Politik der Partei: "Trotz aller Warnungen nach 1981 macht die Partei dieselben Fehler wie früher. Alles beschränkt sich auf eine Person, die die Macht hat, und dann muss die ganze Partei bezahlen." Ferner schätzte Jerzy Jancki, dass die Regierung von Tadeusz Mazowiecki aufgrund der komplizierten wirtschaftlichen Lage in Polen schlechte Chancen hat. (...)

In den Akten des MfS kann man vieles über die Begleitumstände der Gespräche am Runden Tisch erfahren. Dort findet man auch Informationen über den Befehl von General Kiszczak, alle kompromittierenden Dokumente der Partei und des Sicherheitsdienstes zu vernichten. Dort kann man Informationen über die Stimmung unter den Arbeitern, Studenten und Wissenschaftlern finden. Die Stasi verfügte über genaue Informationen über die Streiks, sogar über die Zahl der Streikenden und der Charakteristik der Anführer. Ferner wurde sie über die Stimmung in den Betrieben sowie über die Pläne der engsten Umgebung von Lech Walesa informiert. Auch der Inhalt der Sonntagspredigt polnischer Priester sowie satirische Texte aus dieser Zeit waren der Stasi genau bekannt. (...)

In den Archiven der HVA II befindet sich ein Aktenordner, der mehrere hundert Pseudonyme und Namen von polnischen inoffiziellen Mitarbeitern und Kontaktpersonen beinhaltet, die bewusst Informationen an die Stasi weitergaben. Auch die Wirtschaftsabteilung und die Ausländerabteilung des MfS verfügten über polnische Informanten.

Die gesamten Dokumente über polnische Mitarbeiter mit der Aufschrift "Streng geheim" sind heute für die deutschen Mitarbeiter des Archivs absolut frei zugänglich. Nur der polnische Justizapparat zeigt überhaupt kein Interesse daran. Vor einigen Jahren wurden sogar einige der brisanten Stasi-Akten nach Warschau übergeben. Dann geschah aber nichts mehr.

Die kompromittierenden Akten der ehemaligen inoffiziellen Mitarbeiter können jedoch für Erpressungen missbraucht werden. Die polnische Pandorabüchse in den Archiven des Ministeriums für Staatssicherheit wartet immer noch auf denjenigen, der sie öffnet. (...) (Sta)