1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Proteste gehen weiter

19. November 2009

Dem "heißen Sommer" folgt der "heiße Herbst". Bundesweit haben in den vergangenen Tagen 80.000 junge Leute für bessere Studienbedingungen demonstriert. Sie fordern: "Bildung für alle - und zwar umsonst!"

https://p.dw.com/p/Kb3q
Studierende stehen am Dienstag (17.11.2009) vor dem Hauptgebäude der LMU in München (Foto: dpa)
Studierende demonstrieren vor dem Hauptgebäude der Münchener UniBild: picture-alliance/ dpa

Es ist kalt, es regnet, es ist ungemütlich, kurz, es ist November. Trotzdem findet der "heiße Herbst" auf der Straße statt. Die momentane Situation an den Hochschulen lässt in den Augen vieler Studenten keinen Aufschub zu. So trafen sich in der vergangenen Woche mehr als 4000 Studierende, Schüler und Auszubildende allein an der Universität Köln, um gegen Studiengebühren und die Verschulung durch das Bachelor- und Master-System zu demonstrieren. Außerdem fordern sie eine Verbesserung der Lehr- und Lernbedingung.

Zu voll, zu alt, zu schlecht bezahlt

Eine Studentin mit einem Aufkleber Keine Billig-Bildung auf ihrer Mütze (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/ dpa

"Die Hörsäle sind zu voll, die Bücher und Professoren zu alt und die Mitarbeiter zu wenig und zu schlecht bezahlt. Die Physiker bekommen neue Plasmabildschirme und bei den Geisteswissenschaftlern regnet es immer noch rein." So beschreibt Boris von der Organisation Attac und Student an der Uni Köln die Zustände an einer der größten Universitäten Deutschlands. Genauso bekannt wie legendär ist die Geschichte der Sicherungsnetze, die die Uni Köln unter die Decken mancher Vorlesungsräume spannen musste, um zu verhindern, dass die nicht mehr ganz so fest verankerten Lampen direkt auf den Boden fallen. Statt diesen Missstand zu beseitigen, wird nun erst einmal ein Fitnessstudio gebaut. "Die glauben doch nicht ernsthaft, dass ich bei solchen Bedingungen gerne 500€ im Semester an die Uni überweise", meint Julia, die nun schon seit sechs Semestern Studiengebühren bezahlt. Marc Rodermund, einer der Organisatoren des Streiks in Köln bringt es auf den Punkt: "Es ist die Pflicht des Landes, für den Bau von neuen Gebäuden und für eine gute Ausstattung aufzukommen, dafür sollte nicht auf Studiengebühren zurückgegriffen werden." In seinen Augen werden Studiengebühren für Dinge verschwendet, die nicht direkt im Zusammenhang mit Forschung und Lehre stehen. Doch selbst wenn es nicht so wäre, seien die Gebühren sozial selektiv und gehörten abgeschafft, da sie Kinder einkommensschwächerer Familien von einem Studium abhielten, meint er weiter.

Bundesweite Proteste

Es sind aber nicht nur die Kölner Verhältnisse und die Studiengebühren, gegen die die Studenten auf die Strasse gehen. Bundesweit waren in den vergangenen Tagen über 80.000 Studierende unterwegs, um vor allem gegen die schlecht organisierten Bachelor- und Masterstudiengänge zu demonstrieren. Der Zeitrahmen für den Bachelor sei zu starr, der Leistungs- und Konkurrenzdruck zu hoch, lautet die Kritik. Der Stoff, der früher in einem neunsemestrigen Diplomstudiengang behandelt wurde, wird in Deutschland in einen sechssemestrigen Bachelor Studiengang gepresst.

Studieren unter Zeitdruck

Studenten der Humboldt-Universität halten am Donnerstag (12.11.2009) in Berlin das Audimax besetzt. (Foto: dpa)
Studenten der Berliner Humboldt-Universität besetzen das AudimaxBild: picture alliance/dpa

"Es geht an der Uni nur noch darum, Aufgaben abzuarbeiten, ohne dass ich mich näher mit dem Thema beschäftigen kann. Man versucht, einfach nur seine Credit Points zu bekommen. Es bleibt keine Zeit, sich näher mit Themen zu beschäftigen, die einen interessieren", sagt Tobias vom Asta der Uni Köln. Deshalb hat er Flyer an interessierte Passanten verteilt, die sich das Treiben in der Innenstadt vom Straßenrand angeschaut haben. Man merkt ihm an, wie unzufrieden er mit dem derzeitigen System ist. "Wenn ich BAFöG beziehen würde, müsste ich mein Studium in der Regelstudienzeit beenden. Mir fehlt schlicht und einfach die Zeit und das Geld, um mich auch einmal in ein oder zwei Vorlesungen eines anderen Fachbereichs zu setzen. Das hat doch mit Bildung nichts mehr zu tun." So wie Tobias sieht es auch eine andere Streikenden: "Jeder sollte genug Zeit zum Lernen haben und sich nicht dem Stress aussetzen müssen am Ende des Studium mit zehntausend Euro Schulden dazustehen."

Politiker zeigen Verständnis

Ob die Studierenden mit ihren Protesten Erfolg haben, zeigt sich vielleicht schon auf der Kultusministerkonferenz am 10. Dezember 2009 in Bonn. Zumindest in ersten Reaktionen auf die Proteste, zeigten sich Politiker verständnisvoll und gesprächsbereit. An einigen Universitäten in Nordrhein Westfalen wurde die Besetzung von Hörsälen allerdings nicht weiter geduldet. In Köln ließ die Universitätsleitung die besetzte Aula zum Wochenende hin räumen. Auch in Bonn wurden Hörsaalblockaden aufgelöst. Immerhin teilte das Rektorat in Köln mit, man sei zu Diskussionen bereit.

Der Protest geht weiter

Bundesbildungsministerin Annette Schavan kündigte im Zuge der Proteste an, die finanzielle Unterstützung des Staates, das BaföG, bereits zum Oktober 2010 zu erhöhen und der Vorsitzende der Kulturministerkonferenz Henry Tesch sprach sich dafür aus, die Bachelor-Studiengänge neu zu konzipieren. Doch die Zusagen der Politiker haben die Studierenden bisher nicht beschwichtigt. Das Verständnis sei nur geheuchelt und ernsthafte Angebote zum Dialog habe es bisher nicht gegeben. Denn auch das ist eine der Forderungen der Studierenden: Mehr Basisdemokratie wenn es um Bildungsreformen geht. Noch bis in den Dezember soll der Bildungsstreik weiter gehen. Für den 24. November kündigten die Studierenden in Leipzig eine Demonstration gegen die Hochschulrektorenkonferenz an. Auch bei der Kultusministerkonferenz in Bonn im Dezemer sind weitere Aktionen geplant.

Autor: Benjamin Beltz

Redaktion: Gaby Reucher