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"Die Rosa Akten"

6. September 2004

- Kommunistischer Sicherheitsdienst fertigte 11 000 Ordner über Homosexuelle in Polen

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Krakau, 6.9.2004, PRZEKROJ, poln.

Die Homosexuellen sind jetzt Geisel des Institutes für Nationales Gedenken (IPN), das 11 000 sogenannte "Rosa Akten" besitzt, die infolge einer Milizaktion namens "Hyazinthe" in den achtziger Jahren entstanden sind.

"Sie haben mich 1985 in der Nähe des Zentralbahnhofs in Warschau festgenommen. Im Auto saßen bereits andere (...) Wir wurden zum Mostowski-Palast gebracht. In der Sittenabteilung wurden wir auf dem Flur versammelt. Es gab keine Sitzplätze, also standen wir an der Wand. Sie haben uns in drei Zimmer gerufen. Als ich wartete, wurde ich völlig ohne Grund von einem vorbeigehenden Milizionär ins Gesicht geschlagen. Wir wurden beleidigt" - Pawel N. erinnert sich an diesen Tag, als ob es gestern gewesen wäre. Ähnliche Erinnerungen plagen auch die anderen 11 000 Homosexuellen, die im Rahmen der Aktion "Hyazinthe" von der Miliz aufgespürt wurden.

In die Schulen, Betriebe und Universitäten kamen damals Milizangehörige und suchten alle auf, die der Homosexualität verdächtigt wurden. Sie wurden dann in Handschellen auf die Wachen gebracht und ihnen wurden Fingerabdrücke abgenommen. Außerdem versuchte man, sie durch Erpressung zur Zusammenarbeit zwingen.

"Vor allem wurden wir nach Namen, Namen und noch einmal nach Namen gefragt. Außerdem wollte man etwas über die sexuellen Techniken und die bevorzugten Stellungen erfahren sowie etwas über den bevorzugten Typ eines Liebhabers. Die intimste Privatsphäre eines Menschen wurde mit Füßen getreten. Allein die Frage erniedrigte und entwürdigte mich", sagt Waldemar Zboralski, ein Opfer der Aktion "Hyazinthe".

Über lange Jahre hindurch waren diese Ordner im Archiv des Innenministeriums gelagert. Jetzt befinden sie sich in den Archiven des Institutes für Nationales Gedenken. Eine Gruppe Namens "Kampagne gegen die Homophobie" verlangt die Vernichtung dieser Ordner. "Wir befürchten, dass diese Informationen der Erpressung dienen können", erklärt Robert Biedron, Mitglied der Gruppe, und fügt hinzu: "Es sollte eine Kommission aus Wissenschaftlern und Historikern ins Leben gerufen werden, die nach der Bearbeitung diese Akten offiziell vernichten soll. Ich sehe keinen Sinn darin, Akten zu archivieren, die nur die Information beinhalten, dass "Herr Kowalski ein Homosexueller ist".

"Die Vernichtung dieser Akten ist nicht möglich", sagt Andrzej Arseniuk vom Institut für Nationales Gedenken und fügt hinzu: "Diese Akten gehören per Gesetz zu denen, die "ewig gelagert" werden müssen. Das Vernichten oder die Beschädigung dieser Dokumente wird mit Gefängnisstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Das IPN ist der Meinung, dass diese Akten einen historischen Wert haben und aus diesem Grunde sollten die Homosexuellen nicht ihre Vernichtung verlangen."

"Die Informationen, die sich in diesen Ordnern befinden, zeigen deutlich, wie die Mechanismen der Machtausübung in der Volksrepublik Polen funktionierten und welche erniedrigenden Methoden dabei angewandt wurden", betonte Professor Leon Kieres, der Vorsitzende des IPN, und versicherte gleichzeitig, dass diese Akten niemals an unbefugte Personen gelangen werden. (....)

"Die sogenannten ‚Rosa Akten‘ wurden uns nicht in Form einer Kartei sondern als Dokumentenmasse von 80 Kilometer Länge überreicht und wir können sie nicht absondern", sagt Andrzej Arseniuk.

Ryszard Biedron ist über das Durcheinander in diesen Akten erschrocken: "Als wir eine Anfrage an das Institut für Nationales Gedenken gerichtet haben, ob sie diese ‚Rosa Akten‘ besitzen und was sie damit machen wollen, wunderten sich die Angestellten, dass sie solche Dokumente überhaupt besitzen. Letztendlich wurde uns mitgeteilt, dass die Akten über die Homosexuellen verstreut sind". (...)

Tomek M. war damals 20 Jahre alt und hatte eine unheimliche Angst, dass er seine Arbeit verlieren könnte, wenn die Miliz seinen Arbeitgeber über seine Homosexualität informieren würde. Heute ist er selbst sein Chef, aber trotzdem hat er Angst: "Obwohl ich nicht mehr fürchten muss, dass ich aus der Arbeit rausgeschmissen werde, gibt es in mir immer noch die Angst", sagt er und fügt hinzu: "Der normale menschliche Anstand verlangt, dass diese Akten vernichtet werden". (...) Pawel N. wie auch die anderen befürchten, dass sich auch heute Personen finden werden, die ihren Unterhalt mit der Erpressung Homosexueller verdienen werden.

Antoni Dudek, ein Historiker vom IPN, warnt jedoch, dass die Vernichtung dieser Akten die Angst unter den Opfern der Aktion "Hyazinthe" auch nicht auslöschen kann, weil viele der Dokumente verschwunden sind: "In den Archiven des Sicherheitsdienstes gibt es enorm große Lücken. Die Mehrheit der Akten landete entweder auf Müllkippen oder im privaten Schrank der ehemaligen Angehörigen des Sicherheitsdienstes", sagt er. (...)

Waldemar Zborski, der seit langem offen über seine eigene Erfahrung mit der Aktion "Hyazinthe" spricht, ist der Meinung, dass es nur eine einzige Methode gibt, die giftige Wirkung des Inhaltes der "Rosa Akten" zu entkräften: "Man muss sich offen zu seiner Homosexualität bekennen und öffentlich verkünden, dass man keine Angst vor Schurken und Erpressern hat". (...) (sta)