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Die Süβe der Ignoranz

Patrick Tippelt13. März 2006

Kräfte aller Art sammeln sich und drohen durch die verkrustete Gesellschaftslandschaft Thailands zu stoβen. Ein Stimmungsbild aus einem Land nahe aller Abgründe.

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Die Nobel-Mall Emporium hat dieser Tage bis Mitternacht auf und lädt zum nächtlichen Einkaufsbummel. Für die Hipster unter den Shoppern hat man DJs geladen, die das Jungvolk mit guter Musik versorgen. Gegen 22 Uhr, zunächst fast unerkannt, dann aber mit hochgezogenen Augenbrauen und wissenden Grinsern kommentiert, legt ein waghalsiger Diskjockey einen Protestruf unter einen raschen Drum ‘n’ Bass-Beat. "Thaksin get out" hallt durch das marmorne Einkaufsparadies. Niemand beschwert sich, keiner der Anwesenden, die ausschlieβlich zur gutverdienenden Oberklasse gehören.

Währenddessen, 200 Kilometer nördlich, versammeln sich tausende von Bauern in Nakhon Ratchasima. Sie sind Teil der "Karawane der Armen", die seit Wochen schon unterwegs ist, zu Fuβ, aus dem Norden und Nordosten Thailands. Endziel: Bangkok. Dort werden sie am 20. März erwartet. Sie wollen die Übergangsregierung unter Thaksin Shinawatra unterstützen, die stets so gut war zu den Unterprivilegierten des Königreichs. Bangkoker erwarten das Schlimmste ab dem 20. März: Straβenschlachten.

Dieselbe Übergangsregierung versucht Stimmen zu kaufen, ganz offiziell. 200 Millionen Euro hat sie diversen sozialen und wirtschaftlichen Projekten vergangene Woche zugeteilt - darunter 1,5 Millionen für die Opfer des Studentenaufstands 1973, dessen Anführer nun gegen Thaksin wettern. Kritiker werten dies als Verstoβ gegen das Wahlrecht und bitten das Komittee, das über den Wahlkampf wacht, einzugreifen.

Thailand im März, montags in Bangkok. Wenige Wochen, nachdem Premierminister Thaksin Sinawatra das Parlament aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen für den 2. April einberufen hat, steht das Königreich am Abgrund: am politischen sowieso, aber auch am gesellschaftlichen. Der Bürgerkrieg im Touri-Paradies scheint Momente nur entfernt. Jeden Montag, wenn die Regierungsgegner am bedeutsamen Demokratiemonument demonstrieren (dort wurden 1973 und 1992 Studentendemos blutig niedergeschlagen), fürchtet man eine Wiederholung der Historie.

Zum ersten Mal mit dabei sind Mönche und Nonnen, sowohl Pro- als auch Anti-Thaksin. Letztere scheinen sich auch noch in die Wirtschaft Thailands einzumischen und rufen das Volk dazu auf, einen Mobilfunkbetreiber, der dem Übergangspremier gehört, zu boykottieren.

Eine Bombe detoniert vor dem Haus des Staatsratsvorsitzenden. Es werden auch westliche Touristen verletzt. Sofort wird gemunkelt, die Regierung stünde dahinter; sie wolle die politische Anspannung eskalieren lassen.

Die Demokraten, bisher die Oppositionspartei, ruft ihre Anhänger zum Boykott der Neuwahlen auf – was aber illegal ist unter thailändischem Wahlrecht. Es herrscht Wahlpflicht. Rasch ändert die Partei ihren Schlachtruf um in: Ja zur Nein-Stimme! Denn die Demokraten boykottieren den 2. April.

Der Generalstaatsanwalt bittet Thaksin & Co. von der Regierungsarbeit fernzubleiben bis zum 2. April. Das staatliche Fernsehen beugt sich dem Protest und strahlt erstsmals eindrucksvolle Bilder von den Montagsdemos aus – bisher wurden diese just ignoriert. Der Geheimdienst warnt vor einem nationalen Ausnahmezustand, der ausgerufen würde, so bald der erste Demo-Stein fliegt.