Die Schönheit des Verfalls
Seit 12 Jahren dokumentiert der britische Maler und Fotograf Ian Cale verlassene Architektur in Berlin und in der ehemaligen DDR.
Urbane Archäologie
Seit zwölf Jahren fotografiert der britische Künstler Ian Cale verlassene Architektur in Berlin und der ehemaligen DDR. Die Gebäude sind für ihn Relikte der großen historischen Umwälzungen und Konflikte. Nach dem Fall der Mauer haben viele Bauten ihre Funktion verloren. Cale hat sich mit der Kamera auf Spurensuche begeben, um zu zeigen, welche persönlichen Geschichten dahinter stecken.
Auf Spurensuche
Ian Cale ist ein "Urban Explorer". Die sogenannten Stadterkunder fotografieren urbane Bauruinen: verlassene Militärkasernen, baufällige Wohnungen, stillgelegte Fabriken. Das ist nicht ungefährlich und erfordert ein hohes Maß an Aufmerksamkeit. Seit Jahren ist der in England lebende Cale regelmäßig in Ostdeutschland unterwegs, um die Überreste einer längst vergangenen Zeit zu dokumentieren.
Zeugen der Vergangenheit
Seine urbanen Entdeckungsreisen führen Ian Cale an Orte, wo schon lange kein Leben mehr stattfindet. Hier sucht er nach Spuren des Alltags früherer Bewohner: mal sind das Tapetenreste, mal alte Familienfotos oder Zeitungsausschnitte. Häufig nimmt er diese persönlichen Gegenstände nach dem Fotografieren der Gebäude mit und archiviert sie, um sie vor weiterem Verfall zu bewahren.
Was bleibt übrig?
Als Urban Explorer interessiert Cale nicht nur, was von Orten übrig bleibt, wenn die Bewohner verschwinden. Er will auch etwas Neues schaffen. Deshalb besteht ein Teil seiner Arbeit darin, gefundene Objekte und Fotos zu Gemälden zu collagieren. Cale hat an der Norwich School of Art studiert und stellt seine Kunst seit den 1990er Jahren regelmäßig in seiner Heimat aus.
Vermächtnis des Krieges
Cale nennt sein Projekt "Kessel – Signs of Conflict". Der Titel ist inspiriert von einem Aufenthalt im brandenburgischen Dorf Halbe, einem Schauplatz der letzten deutsch-sowjetischen Kämpfe im Zweiten Weltkrieg. Dort starben zehntausende Zivilisten und Flüchtlinge im "Kessel von Halbe". Übrig ist eine Mauer, die verlassen auf einem Feld steht.
Schätze zwischen Ruinen
Viele der Alltagsobjekte, die Cale in den verwitterten Gebäuden findet, haben eine Geschichte wie diese: In einer Messehalle auf einem alten Leipziger Militärgelände aus dem Kalten Krieg entdeckte er ein idyllische Landschaftsgemälde. Später fand er dahinter eine alte Küche, wo er im Waschbecken einen Briefumschlag mit Fotos eines unbekannten Soldaten der Roten Armee entdeckte.
Erste Begegnungen
Während einer studentischen Exkursion nach Berlin fing Ian Cale an, sich für die verlassenen Orte und leerstehenden Gebäude der deutschen Hauptstadt zu interessieren. Ein ehemaliger Bunker aus der NS-Zeit erinnerte den Künstler damals an eine ägyptische Grabkammer. Heute beherbergt er die Sammlung Boros, eine Privatsammlung zeitgenössischer Kunst.
Neue Kunstwerke
Ian Cale arbeitet mit den vorgefundenen Wandflächen: Er respektiert auch diese jüngeren Farbschichten und Grafittis als historische Realität. Trotzdem verzichetet der britische Künstler darauf, bei den Werken aus verschiedenen Jahrzehnten selbst Hand anzulegen: Als Urban Explorer will er lediglich beobachten, dokumentieren und bewahren.
Archivieren für die Nachwelt
Das Dokumentieren der Vergangenheit hat für Cale nichts mit Nostalgie zu tun. "Wenn es um Geschichte, Kultur und das alltägliche Leben der Menschen geht, bin ich Realist", sagt er. "Meiner Meinung nach besteht meine Arbeit lediglich darin, die Orte und Szenen festzuhalten, bevor sie sich verändern. Aber sie werden sich verändern – sogar, wenn man sie vollkommen in Ruhe lässt."
Vergänglichkeit einer Metropole
Manche der von Cale fotografierten Gebäude werden später abgerissen. Nur seine Werke erzählen dann noch von ihrer Existenz. Er hofft, seine Kunst irgendwann in Berlin ausstellen zu dürfen – einer Stadt, die sich in einem rasanten Veränderungsprozess befindet. "Es gibt dieses Gefühl, in Berlin aus allem das Beste machen zu wollen, weil man nie weiß, ob es nächste Woche noch da ist."