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"Made in Sweden"

Suzanne Cords14. Mai 2013

Schwedische Komponisten seien weltweit so erfolgreich wie das Möbelhaus Ikea, witzelt man in der Branche. Die Skandinavier belegen regelmäßig vordere Plätze und versorgen auch ESC-Sänger anderer Nationen mit Hits.

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Eurovision Song Contest Fans aus Schweden mit Fahne (Foto: Rosa Macias-Reyes)
Bild: DW/R. Macías-Reyes

Nur Irland kann es besser. Sieben Mal gewann das Land den Eurovision Song Contest, aber gleich danach kommt Schweden mit fünf Siegen - gleichauf mit Großbritannien und Frankreich. 1974 räumte Abba mit "Waterloo" Punkte ab, 1984 folgten die Herreys, 1991 Carola und 1999 Charlotte Nilsson. Im letzten Jahr holte dann Loreen in Baku mit dem mystisch anmutenden Popsong "Euphoria" die ESC-Krone für Schweden. Und mit ihr fuhren gleich mehrere schwedische Komponisten, Texter und Produzenten musikalische Lorbeeren ein. Allein vier der zehn bestplatzierten Titel im Finale stammten entweder komplett aus schwedischer Produktion oder entstanden unter schwedischer Mitarbeit: Neben Schweden selbst schmückten sich Aserbaidschan (Platz 4), Italien (9) und Spanien (10) mit  Popsongs "made in Sweden".

Nimmt man den gesamten Wettbewerb ins Visier, wird der schwedische Einfluss noch deutlicher: 16 der 42 teilnehmenden Länder bezogen ihre Lieder 2012 aus dem skandinavischen Land. Schon 2011 zogen Schweden die Strippen; der Siegertitel des aserbaidschanischen Duos Ell & Nikki "Running Scared" stammte aus ihrer Feder - und die Liste kann man beliebig fortsetzen. Mausert sich Schweden jetzt endgültig zum heimlichen Mutterland des Grand Prix?

Mainstream ist angesagt

Der Sprach- und Kulturwissenschaftler Irving Wolther von der Musikhochschule Hannover spricht gar von einer "Schwedisierung" des ESC. Der Mann muss es wissen; schließlich hat er nicht nur den ersten deutschen ESC-Fanclub gegründet, sondern 2006 auch die erste Doktorarbeit über den Song Contest vorgelegt. Früher habe man in der eigenen Landessprache gesungen, jetzt sei längst massentauglicher Mainstream - vorzugsweise auf Englisch - angesagt, so sein Fazit.

Der Sprach- und Kulturwissenschaftler Irving Wolther (Foto: Horst Ossinger dpa/lnw)
Irving Wolther alias" Dr. Eurovision" hält Mainstream-Pop für eine sichere StrategieBild: picture-alliance/dpa

"Das Ziel, den Wettbewerb zu gewinnen, ist so erstrebenswert für viele Länder, dass sie alles dafür tun - manchmal sogar die eigene Kultur verleugnen", sagte der auch als "Dr. Eurovision" bekannte Dozent in einem Interview und ergänzte: "Vielen ist ja gar nicht bewusst, dass ein großer Teil des Mainstream-Pops, den wir aus dem Radio dudeln hören, aus dem schwedischen Musikmarkt kommt. Und hier werden ganz gezielt diese Talente rausgepickt, um europaweit leicht Verdauliches für das eigene Land zu präsentieren." Mit der Strategie sei ja auch Aserbaidschan gut gefahren; drei Jahre in Folge heuerten sie ein schwedisches Team an - und holten den Contest 2012 nach Baku.

Eddas Theorie

Auch eine gewisse Edda wittert eine "Schwedisierung" beim ESC und sagt in ihrem Internet Blog deswegen ausgerechnet Georgien den diesjährigen Sieg voraus:  Schließlich stammen das aserbaidschanische Siegerlied von 2011 ebenso wie das Lied für Georgien von schwedischen Songwritern. "Und 'G:son' (Gustafsson) wiederum ist auch der Komponist des Siegerliedes 'Euphoria' von 2012", berichtet Edda. "Er komponiert nach den Prinzipien eines Lottospielers. Er hat bereits 64 Mal mit ähnlich klingenden Songs versucht, am ESC teilzunehmen. Da sind rein zahlenmäßig noch mehr Gewinne möglich."

Hitproduzenten aus dem hohen Norden

Für Musikexperten kommen die schwedischen Erfolge nicht allzu überraschend, immerhin ist das kleine skandinavische Land mit knapp 9,5 Millionen Einwohnern nach den USA und Großbritannien weltweit der drittgrößte Produzent englischsprachiger Pop- und Rockmusik - und das nicht erst seit gestern. Die Schweden punkten durch alle Genres hindurch: mit hippen Künstlern wie Lykke Li, die mit "I Follow Rivers" den Sommerhit 2012 lieferte, mit der Rockband Mando Diao oder mit Hitparaden-Pop von Roxette bis hin zu The Cardigans. Und natürlich immer noch mit Abba, deren Trennung vor über 30 Jahren die Fans immer noch nicht verwunden haben.

Die Mitglieder der schwedischen Popgruppe "Abba", (l-r) Benny Andersson, Annafrid Lyngstad, Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus, beim Grand Prix d'Eurovision de la Chanson im südenglischen Brighton (Foto: picture-alliance/dpa)
Abba - der bekannteste schwedische MusikexportBild: picture-alliance/dpa

Gut läuft es auch hinter den Kulissen, denn seit dem Siegeszug von Abba in den 1970er Jahren bestellen internationale Größen von Madonna bis hin zu den Backstreet Boys und Lady GaGaga ihre Songs in Schweden. Die britische Tageszeitung "Guardian" schrieb kürzlich, es gebe kaum eine Woche, in der nicht ein von Schweden geschriebener Song irgendwo in dieser Welt in die Top Ten einsteige.

Früherziehung, Marketing und Anti-Depressionstherapie

Allerdings stellt sich die Frage, wie die Schweden das hinbekommen. Zum einen bieten schon die Schulen eine intensive musikalische Erziehung an. Zum anderen unterhält die schwedische Musikindustrie mit "Export Music Sweden" eine eigene Organisation, die sich um nichts anderes kümmert, als schwedische Musik international zu vermarkten, schwedische Nachwuchskünstler auf den Karrierezug zu setzen und erfolgreich Netzwerke zu organisieren.

Die Casting-Show zum ESC gleicht in Schweden schon fast einem Volksfest.  "Melodifestivalen" nennt sich die Vorentscheidsshow im hohen Norden. In zahlreichen Vorrunden treten Musiker und Sänger aus ganz Schweden gegeneinander an. Eine erfolglose Teilnahme wird, anders als in Deutschland, nicht gleicht als Karrierefalle verbucht. Im Gegenteil: Eine oder auch mehrere Teilnahmen beim Melodifestivalen sind für schwedische Künstler, die etwas erreichen wollen, nahezu Pflicht.

Und so klischeehaft es klingen mag, gehört das Musizieren in den dunklen Wintermonaten in vielen Familien zum Alltag. Das vertreibt erstens die Zeit, zweitens melancholische Anwandlungen und fördert drittens musikalische Talente.

Individualität à la Schweden

Wichtig sei auch die große Leidenschaft für Individualität, betont Linda Carlsson. "In Schweden wollen die meisten Musiker einen eigenen Sound schaffen, weil sie wissen, dass sie nur so im Rest der Welt wahrgenommen werden. Amerikanische und britische Vorbilder zu kopieren, macht da wenig Sinn." In ihrer Heimat ist die 31-Jährige in der Popwelt als Miss Li bekannt. Ihre Songs sind nicht nur in Schweden erfolgreich, sie schafften es auch in US-TV-Serien wie  "Grey's Anatomy" und untermalen internationale Werbekampagnen. Miss Li wollte kürzlich Lena Meyer-Landrut zu einem musikalischen Neustart verhelfen. "Die Schweden müssen ein Gen für Pop haben", urteilte die ESC-Gewinnerin von 2010, die trotz Miss Lis tatkräftiger Unterstützung ziemlich in der Versenkung verschwunden ist.

In diesem Jahr schickt Schweden den 22-jährigen Robin James Olof Stjernberg mit der Popballade "You" ins ESC-Rennen. Als Favoritin haben die Buchmacher allerdings längst die Dänin Emmelie de Forest ausgemacht. Sollte sie gewinnen, bleibt der Sieg trotzdem in bewährter Hand; immerhin hat Emmelie einen schwedischen Vater und ist in Stockholm aufgewachsen. Und auch die Sieger-Trophäe des Glaskünstlers Kjell Engman in Formen eines nostalgischen Mikrofons ist schwedischen Ursprungs. Noch mehr Schweden geht kaum.

Die dänische Sängerin Emmelie de Forest mit Mirkofon (Foto: picture-alliance/dpa)
Dänische Favoritin mit schwedischen Wurzeln: Emmelie de ForestBild: picture-alliance/dpa