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Die schwierige Zusammenarbeit zwischen Karsai und dem Parlament

Said Musa Samimy17. Januar 2006

Bislang regierte Präsident Karsai Afghanistan quasi im Alleingang. Jetzt muss er viele Entscheidungen der Kontrolle des neu konstituierten Parlaments unterwerfen. Konflikte sind unvermeidlich.

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Das Parlament in KabulBild: AP

Als Vertrauensmann des Westens wurde Hamid Karsai im Oktober 2004 zum ersten demokratisch legitimierten Präsidenten Afghanistans gewählt. Ein Jahr später wurde nach den Parlamentswahlen mit der Bildung der Legislative ein parlamentarisches Kontrollorgan geschaffen, das für die Entwicklung des Landes in vielfältiger Hinsicht von großer Tragweite sein wird.

Afghanistan Junis Qanuni
Der Tadschike Junus QanuniBild: AP

Mit der Wahl von Junus Qanuni, einem Tadschiken, zum Präsidenten des Parlaments Anfang Januar 2006 haben die Parlamentarier ihre erste demokratische Probe bestanden. Im Vielvölkerstaat Afghanistan fühlen sich die Menschen nämlich vor allem ihren Volksstämmen verpflichtet. Die Stammesloyalität wird daher in der Regel höher bewertet als religiöse oder politische Zugehörigkeit.

Natürliche Rivalen: Karsai und Qanuni

Das afghanische Parlament wird von Parlamentariern paschtunischer Abstammung dominiert. Die Wahl eines Tadschiken zum Parlamentspräsidenten - in direkter Konfrontation mit einem paschtunischen Kandidaten, dem berüchtigten "Warlord" und Islamisten Abdul Rasul Sayyaf - stellt daher ein politisches Novum dar. Präsident Karsai, ein politisch gemäßigter Paschtune, wird damit einen maßvollen und nüchternen Tadschiken als Gegenspieler im Parlament haben. Aber obwohl beide Politiker konstruktive und verfassungskonforme Zusammenarbeit beteuern, sind Reibungen, wenn nicht gar Konfrontationen vorprogrammiert, denn beide Politiker sind auch machtbewusst und ehrgeizig und damit natürliche Rivalen.

Karsai unter Druck
Die Zusammenarbeit mit dem Parlament ist für Karsai eine große HerausforderungBild: AP

Bislang hat Präsident Karsai die Geschicke des Landes mehr oder weniger im Alleingang bestimmt, zumindest dort, wo die Macht der Zentralregierung hinreichte. Jetzt muss er seine Entscheidungen, soweit sie der Zustimmung des Parlaments bedürfen, der Kontrolle des Abgeordnetenhauses unterwerfen. Das Prozedere wird dadurch erschwert, dass die Abgeordneten auf keine parlamentarischen Erfahrungen zurückgreifen können.

Noch keine nationale Identität

Das afghanische Parlament ist ein Sammelbecken der partikularen Interessen diverser Volkstämme, unter den Abgeordneten herrschen traditionalistische Denkweisen vor. Sie sind in der Mehrheit hauptsächlich lokal orientiert und werden kaum nationale Perspektiven an den Tag legen. Säkular Denkende und streng religiös Gesinnte werden in direkter Konfrontation miteinander die politische Auseinandersetzung des Parlaments prägen.

Afghanistan Parlament in Kabul
Auch Taliban sitzen im ParlamentBild: AP

Aufgrund des Fehlens politischer Parteien - die Wahl hat nicht auf Grundlage von Parteienzugehörigkeit stattgefunden - wird Karsai also Zugeständnisse an wechselnde Gruppierungen machen müssen, um für seine Entscheidungen parlamentarische Mehrheiten zu bekommen. Zu allererst wird sich die Kabinettsumbildung als schwierig erweisen. Karsai muss nicht nur überzeugende Kandidaten für die Ministerposten präsentieren, sondern auch auf eine genau austarierte Vertretung der Volksstämme achten, andernfalls wäre das Scheitern der Regierung absehbar.

Herausforderungen: Wiederaufbau, Drogenanbau und Terrorismus

Um das Vertrauen des Parlaments zu gewinnen, müssen der Präsident und sein Kabinett über ein Regierungsprogramm hinaus einen Aufbauplan vorlegen, der klare politische, soziale und vor allem ökonomische Entwicklungsperspektiven beinhaltet. Denn bislang sind die Aufbaumaßnahmen Kabuls nicht mehr als eine Liste von Ad-hoc-Maßnahmen. Eine große nationale Aufbaustrategie fehlt dagegen. Zudem nimmt die Kluft zwischen Arm und Reich ständig zu. Auf einer Seite sind da die Neureichen, Profiteure des Bürgerkrieges, die ihren Reichtum gern zur Schau stellen. Auf der anderen Seite befinden sich die Massen, darunter die aus dem Ausland zurückgekehrten Afghanen, die ihr Hab und Gut im Krieg verloren haben.

Mohnfeld in Afghanistan Männer
Der Anbau von Mohn soll unterbunden werdenBild: AP

Die großen Herausforderungen der Regierung Karsai bestehen weiterhin im Drogenanbau und -handel und in den anhaltenden Destabilisierungsaktionen von Terror-Gruppen. Die Regierung mit ihren bescheidenen Finanzmitteln ist gegen die Drogenmafia machtlos. Das Land ist - trotz der 20-prozentigen Reduzierung der Anbaubaufläche für Mohn - mit über 85 Prozent Weltanteil der größte Drogenproduzent. Eine wirksame Strategie zur Drogenbekämpfung, die über die Kräfte des Landes hinausgeht - etwa durch eine massive Subventionierung des Weizenanbaus als Alternative zum Mohnanbau -, würde die tatkräftige Kooperation der internationalen Gemeinschaft erfordern.

Auch Ex-Taliban im Parlament

Die Politik der nationalen Versöhnung, die Karsai ständig beteuert, zielt darauf ab, den bewaffnete Kräften eine Chance zur Rückkehr ins Zivilleben zu ermöglichen und somit die Kluft zwischen den "Hardlinern" und den "Gemäßigten" zu vergrößern. Als sichtbares Ergebnis weist die Regierung darauf hin, dass nun einige Kommandeure von Gulbuddin Hikmatjar, dem Emir der "Islamischen Partei Afghanistans" (der einer der schlimmsten Zerstörer des Landes vor den Taliban war), ihre Waffen niedergelegt hätten. Darüber hinaus haben die mehrmaligen Amnestie-Angebote der Regierung bewirkt, dass selbst einige berüchtigte Kader der Taliban-Milizen ins Zivilleben zurückgefunden haben und sogar als gewählte Abgeordnete im Parlament sitzen.

Allerdings stößt diese Politik der Integration der ehemaligen "Gotteskrieger" manchen Abgeordneten sauer auf, die die "ethnischen und religiösen Säuberungen" von 1996 bis 2001 nicht vergessen haben. Auch darüber wird der Präsident also demnächst Rechenschaft ablegen müssen.