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Die Seele Europas

18. April 2015

Papst Franziskus sieht im Christentum die Seele Europas. Pater Eberhard von Gemmingen SJ fragt sich im Beitrag der katholischen Kirche, was es bedeutet, wenn Europa diese Seele verliert.

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Kaiserdom zu Speyer Briefmarke Deutsche Post
Bild: Deutsche Bundespost

Papst Franziskus hat am 25. November vor dem Europäischen Parlament in Straßburg gesagt: „Ein Europa, das nicht mehr fähig ist, sich der transzendenten Dimension des Lebens zu öffnen, ist ein Europa, das in Gefahr gerät, allmählich seine Seele zu verlieren und auch jenen humanistischen Geist, den es doch liebt und verteidigt.“ Verlangt der Papst damit, dass die Nichtchristen Bürger zweiter Klasse werden, die Juden, die Muslime, die Hindus, aber auch die Menschen, die von sich sagen, sie könnten nicht an Gott glauben? Soll Europa ein christlicher Kontinent im alten Sinne werden?

Ich bin davon überzeugt: das will der Papst nicht sagen! Dafür gibt es verschiedene Begründungen: Keine Religion darf Druck und Zwang auf andere ausüben. Wenn sie das tut, widerspricht sie ihrem eigenen Wesen. Religion muss eine freie Wahl sein. Das hat die Moderne durch die Aufklärung sehr gut erkannt. Die katholische und die evangelische Kirche haben hier viele Fehler gemacht. Aber auch wenn wir dies festhalten, so muss das Christentum dennoch keine Privatsache werden, eine Sache, die nur hinter verschlossenen Kirchenmauern stattfindet. Religiöser Glaube ist nie Privatsache. Das sehen wir schon an den Tempeln, Klöstern und Moscheen von Buddhismus, Hinduismus und Islam. Wenn mehrere Menschen gemeinsam einen religiösen Glauben vertreten, wird er sichtbar, schafft er Kultur, schafft er auch eine Gesellschaftsordnung.

Unantastbare Würde des Menschen

Papst Franziskus erinnert daran, dass der Glaube an Jesus Christus in Europa die Überzeugung von der unantastbaren Würde des Menschen hervorgebracht hat, an die Rechte des Mannes und der Frau, des Armen und des Reichen, des Kindes und des Greises. Der Glaube an Jesus Christus hat auch die Überzeugung hervorgebracht, dass Solidarität gepflegt werden muss, dass die Menschen ihre Güter teilen müssen. Diese Überzeugungen mussten sich erst im Lauf von Jahrhunderten durchsetzen. In den Anfängen Europas galten noch die Regeln des Urwaldes, dann glaubte man, die kirchliche Autorität mache alles richtig, bis in der Aufklärung erkannt wurde: auch die Kirche macht vieles falsch. Menschenrechte und speziell Frauenrechte mussten gegen kirchlichen Widerstand erkämpft werden. Aber durch langes geistiges Ringen kam der humanistische Geist, von dem Papst Franziskus sprach und Europa fand seine Seele aus seinen christlichen Wurzeln. Freilich wurden auch in jüngster Zeit immer wieder Fehler gemacht. Erst spät erkannte die katholische Kirche, dass Gewissensfreiheit gilt, dass zu Gott jeder kommt, der sich nach seinem Gewissen richtet.

Hilfreiches Europa in Freiheit

Aber der Papst weist auf Irrtümer hin: Manche meinen, Europa verliere seine Laizität, wenn man wünscht, dass Europa seine christliche Seele nicht verliert. Manche meinen, Europa müsse weltanschaulich völlig neutral sein. Der Papst weist diese Ansicht zurück. Er unterstreicht sogar, dass Europa diese christliche Seele brauche, wenn es ein hilfreiches Europa werden will. Wörtlich sagte Papst Franziskus: „Ich halte nicht nur das Erbe, welches das Christentum der soziokulturellen Gestaltung des Kontinents hinterlassen hat, für grundlegend. Ebenso wünsche ich den Beitrag, den das Christentum heute und in der Zukunft zum Wachstum des Kontinents zu leisten gedenkt. Dieser Beitrag stellt nicht eine Gefahr für die Laizität der Staaten und für die Unabhängigkeit der Einrichtungen der Union dar, sondern eine Bereicherung.“

Mit meinen Worten: Sozialer und politischer Dienst derer, die an Christus glauben, ist keine Gefahr für die Laizität Europas.

Noch ein sehr zugespitzter Satz von Papst Franziskus: „Es ist gerade die Gottvergessenheit und nicht seine Verherrlichung, die Gewalt erzeugt.“ Und weiter: „Ein Europa, das sich die eigenen religiösen Wurzeln zu Nutze macht, wird leichter immun sein gegen die vielen Extremismen, die sich in der heutigen Welt verbreiten – auch aufgrund des großen ideellen Vakuums, das wir im sogenannten Westen erleben.“ Der Papst vom Ende der Welt gibt Denkanstöße.

Zitate: Papstrede vor dem Europäischen Parlament, Papst Franziskus, 25.11.2014, Radio Vatikan

Zum Autor: Pater Eberhard von Gemmingen SJ ist 1936 in Bad Rappenau geboren. Nachdem er 1957 in den Jesuitenorden eingetreten ist, studierte er 1959 Philosophie in Pullach bei München und Theologie in Innsbruck und Tübingen. 1968 erfolgte seine Priesterweihe. Pater Eberhard von Gemmingen SJ war Mitglied der ökumenischen Laienbewegung action 365, bischöflicher Beauftragter beim ZDF und Leiter der deutschsprachigen Redaktion von Radio Vatikan. Seit 2010 ist er Fundraiser der deutschen Jesuiten.

Pater Eberhard von Gemmingen Radio Vatikan
Pater Eberhard von Gemmingen SJBild: picture-alliance/dpa

Redaktionelle Verantwortung: Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkbeauftragte, und Alfred Herrmann