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Afrikaner in Paris

11. Januar 2010

In keiner anderen Stadt Europas leben so viele Afrikaner wie in Paris. Lossény Meité aus der Elfenbeinküste ist einer von ihnen. Sein Leben dort gefällt ihm gut. Trotzdem sehnt er sich nach seiner Heimat.

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Lossény Meité in der Pariser Metro (Foto: Sarah Hofmann)
Lossény Meité in der Pariser MetroBild: DW

Wenn Lossény Meité von seiner Heimat spricht, dann sagt er immer nur "das Land", "le pays". Dass er damit die Elfenbeinküste meint, ist für ihn klar. Frankreich ist nicht "das Land", es ist sein Aufenthaltsort, ein schönes Land. Er mag es hier. Doch es ist nicht sein Land. Wenn Lossény Meité über die Elfenbeinküste spricht, dann fängt er nicht an zu schwärmen. Zu nah ist noch die Erinnerung an den Bürgerkrieg, die Erschießungen und daran, wie er sein Textilhandelsgeschäft verlor und so schnell wie möglich vor den Rebellen fliehen musste. Doch darüber spricht er nicht gerne. Hier ist jetzt sein Leben, in Frankreich, darüber will er reden. "Auf der Arbeit sind alle sehr nett", sagt er. Lossény arbeitet bei einer Sicherheitsfirma. Viele Freunde habe er hier, sagt er. Aus Mali, Ghana und aus Nigeria. Franzosen? "Na ja", er lächelt, "nicht so viele." Aber das mache nichts, er fühle sich akzeptiert in Paris. Die ganze Kolonialgeschichte sei doch so lange her. Kein Grund mehr für Minderwertigkeitskomplexe oder Wut.

"Wir sind hier nicht zu unserem Vergnügen"

Lossény Meité mit seinen Neffen (Foto: DW/Sarah Hofmann)
Lossény mit seinen NeffenBild: DW

Es ist sieben Uhr abends und Lossény sitzt, noch etwas müde vom Nachtdienst, auf dem Sofa aus hellbraunem Kunstleder, das in einem kahlen Wohnzimmer steht. Die Rue Petit im 19. Arrondissement ist eine hübsche Straße. Die meisten Häuser hier sind Altbauten. Allein die Nummer 71 ist ein anonymer Plattenbau. Seit vier Jahren lebt der Westafrikaner hier. Seine Schwester Aminata Meité wohnt nur zwei Türen weiter auf demselben Flur. Lossény rührt in seinem Nescafé und steckt sich eine neue Zigarette an. Eine letzte bevor er zu Aminata geht.

Eigentlich ist Aminata nicht seine Schwester, sondern seine Cousine, erzählt er. "Aber hier in Frankreich rückt die Familie eben ein bisschen näher zusammen." Lossénys Frau und sein Sohn leben noch in Abidjan, der größten Stadt der Elfenbeinküste am Golf von Guinea und einstigen Hauptstadt des Landes. Sein Sohn ist acht Jahre alt, er geht in Abidjan zur Schule. "Natürlich schick ich jeden Monat Geld", sagt er, "wie alle Afrikaner. Wir sind hier nicht nur zu unserem eigenen Vergnügen, sondern um unseren Familien zu Hause zu helfen."

Paris ist multikulturell. Einwanderer aus aller Welt leben hier, viele kommen vom afrikanischen Kontinent. Jeder fünfte der 12 Millionen Einwohner im Großraum Paris hat afrikanische Wurzeln.

Lossény kam mit einem Touristenvisum nach Paris, unter einer falschen Identität. Er stellte einen Asylantrag. Lossény hatte Glück.

Reis mit Erdnusssauce

Lossény Meité (Foto: Sarah Hofmann)
Paris ist für Lossény Aufenthaltsort, nicht HeimatBild: DW

Aminata hat gerade für die Kinder gekocht. Der siebenjährige Yacoub und seine kleinen Brüder Yaya und Vadji tragen Teller mit Reis und Erdnusssauce aus der Küche ins Wohn- und Esszimmer. Quer auf dem Boden verteilt liegen Spielzeug, Stifte und Schulhefte. An den Wänden hängen ein paar gerahmte Fotos der Familie. Die Bilder hängen schief. Die Kinder essen alleine, der Vater kommt erst später nach Hause und Aminata wartet auf ihn. Das Leben in Afrika fehlt ihr. Besonders die "Solidarität", wie sie sagt. "In der Elfenbeinküste helfen die Eltern und Nachbarn. Hier muss man alles alleine machen, immer arbeiten, das Leben ist nichts als Arbeit", sagt sie.

Es ist acht Uhr, Aminatas Mann, Hamadou Meité, kommt nach Hause. Lossény lässt die Familie alleine. Er macht sich auf den Weg ins Café "Chez Momo". Nur zwei Metrostationen ist das entfernt. Von der Haltestelle "Ourq" nimmt er die Linie 5 bis "Stalingrad". Die "Bar au Roi du Café" ist direkt gegenüber der Station.

Treffpunkt "Marcourcis"

Lossény Meité mit Freunden im Café (Foto: Sarah Hofmann)
Lossény Meité mit zwei Freunden in seinem Stammcafé in ParisBild: DW

"Hier kann man hingehen und trifft immer Freunde", meint Lossény. Wie Karamoko Moussa Zimako und Youzé, der seinen Nachnamen lieber nicht nennen will. Sie begrüßen Lossény herzlich. Man gibt sich die Hand, umarmt sich, fragt wie es geht und was die Familie macht. Es ist kalt, aber vor dem Café hat sich ein kleines Grüppchen gebildet, zum rauchen. Drinnen ist das ja jetzt verboten. Fast alle hier kommen aus der Elfenbeinküste. Kennengelernt haben sich die meisten erst in Paris. Aber sie fühlen sich wie alte Freunde. Denn sie teilen Erinnerungen.

Im Café fühlen sich die Männer wohl, es ist ein bisschen wie zu Hause. Sie trinken zusammen Kaffee, rauchen und diskutieren über Politik. Natürlich die der Elfenbeinküste. "Hier hat jeder einen Vorschlag, wie ein dauerhafter Frieden zu erreichen ist, wer der nächste Präsident werden sollte und vor allem darüber, was die Politiker alles wieder falsch machen", erklärt Lossény. Weil hier jeder über Politik redet, nennen Lossény und seine Freunde das Café "Marcourcis". In Marcourcis fanden 2007 die ersten Gespräche zur Beilegung des Bürgerkriegs in der Elfenbeinküste statt.

Fünfzig Jahre Unabhängigkeit?

Lossény Meité füllt Lottoscheine aus (Foto: Sarah Hofmann)
Hoffen auf einen LottogewinnBild: DW

Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im August 1960 galt die Elfenbeinküste lange Zeit als das Musterland Westafrikas. Fünfzig Jahre Unabhängigkeit? Ja, stolz sei man schon, meinen sie hier, dass man das alles selbst in die Hand genommen und sich aus der Kolonisation befreit habe. Aber unabhängig? Das Geld sei ja immer noch an den alten Franc gekoppelt. Und auch alle großen Unternehmen seien französisch. Der Strom, das Wasser, Telekommunikation. Aber Frankreich sei nun einmal ein Industrieland, die Elfenbeinküste ein Entwicklungsland.

Lossény hat die Kolonisation selbst nicht mehr miterlebt. Er wurde 1970 geboren. Da feierte das westafrikanische Land bereits seine zehnjährige Unabhängigkeit. Heute sieht er andere Probleme in seiner Heimat, als die der Kolonisierung. Heute lebt er in Frankreich. Es ist für ihn nicht mehr die ehemalige Kolonialmacht, sondern das Land, das ihn aufgenommen hat, als er in seinem eigenen nicht mehr leben konnte.

Es ist spät geworden. Lossény verabschiedet sich. Er ist müde von der letzten Nachtschicht, den Tag über konnte er nicht schlafen. Auf dem Weg zur Metro geht Lossény noch kurz in den Kiosk. Zigaretten kaufen. Und Lottoscheine ausfüllen, wie jeden Freitag. "Wenn ich gewinne", er schreibt die letzte Zahl auf den Schein, "dann kaufe ich davon ein Haus in der Elfenbeinküste. Für meine Familie und mich. Dann gehe ich zurück und bleibe."

Autorin: Sarah Judith Hofmann

Redaktion: Katrin Ogunsade