1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Sinnfrage

Udo Bauer3. November 2006

Die Totenschädel-Affäre ist offenbar überstanden. Aber sie hat eine andere interessante Diskussion ausgelöst. Die nach dem Sinn von Auslandseinsätzen.

https://p.dw.com/p/9Kig

Viel ist passiert in den letzten zwei Wochen. Historisch wichtiges: Die Bundesregierung hat ein neues Weißbuch herausgegeben, wonach für die Bundeswehr Auslandseinsätze jetzt höhere Priorität haben als die Landesverteidigung. Mit 9000 Bundeswehrsoldaten stehen so viele Deutsche im Ausland wie noch nie nach dem zweiten Weltkrieg.

Einigen wenigen ist es offenbar trotzdem so langweilig, dass sie mit menschlichen Gebeinen Schabernack treiben. Der Libanon-Einsatz der Marine ist als Farce enttarnt. Israelische Kampfjets schießen aus Spaß auf ein deutsches Spionageschiff. Verteidigungsminister Jung deutet einen Rückzug aus Bosnien an. Und ehemalige Bundeswehrgeneräle fordern schlüssige politische Strategien für Auslandseinsätze. Zeit, ein wenig Ordnung in das Kampfgetümmel zu bringen.

Realitäts-Check

Schauen wir zunächst auf die Akteure von Auslandseinsätzen. Vier Gruppen gilt es zu unterscheiden. Das sind zunächst die Politiker aus Bundesregierung und Bundestag. Die müssen entscheiden, ob und mit welchem Auftrag sie die Bundeswehr wo im Ausland wollen. Dann die Bundeswehr. Sie muss technisch und personell in der Lage sein, diesen Auftrag auszuführen. Dann die Soldaten im Einsatz. Die müssen gut vorbereitet, gut ausgebildet sein und die Sicherheit des Gastlandes objektiv verbessern. Und last but not least: Die Menschen des Landes, das mit fremden Truppen beglückt wird. Die müssen das gut finden und gleichzeitig versuchen, ihr Schicksal schnell wieder in die eigenen Hände zu nehmen. Alle wollen also einen Sinn in ihrem Tun erkennen. Schaut man sich diverse Auslandsmissionen aus Sicht dieser Interessengruppen an, dann fällt bei einem Realitäts-Check schnell auf: Das Ganze macht im Grunde keinen Sinn!

Beispiel Afghanistan

Politisches Ziel: Die Terrornester ausräuchern, die Taliban marginalisieren, Sicherheit im ganzen Land herstellen, Hilfe beim Aufbau demokratischer Strukturen und beim Wiederaufbau des Landes.

Realität: Die Bundeswehr hat sich im relativ sicheren Norden eingeigelt, sorgt in erster Linie für die eigene Sicherheit und spielt mit Knochen, während im Süden offener Krieg herrscht, den unsere Partner führen. In weiten Teilen des Landes herrscht nicht Präsident Karsai, sondern entweder Warlords oder die Taliban. Wiederaufbau: Nun ja! Die einzigen Landschaften, die dort blühen, sind die Mohnfelder. Und die Afghanen selbst haben sich offenbar damit abgefunden. "Raus aus Afghanistan!" forderte in diesen Tagen Michael Wolffsohn, der renommierte Geschichtsprofessor der Bundeswehr-Universität München. Zur Not gehen wir wieder rein, wenn der Weltfrieden gefährdet ist, sagt er. Hat er so unrecht?

Beispiel Libanon

Politisches Ziel: Mit einem großen Flottenverband die Küste bewachen und verhindern, dass die Hisbollah sich wieder mit Raketen bewaffnet und damit erneut auf Israel schießt.

Realität: Die Schiitenmiliz transportiert ihren Waffennachschub am liebsten über die unwegsame und nahezu unbewachte Landgrenze zu Syrien. Außerdem hat ihr Chef Nasrallah sich kürzlich erst gerühmt, dass seine Soldaten schon jetzt mehr Raketen hätten als vor dem jüngsten Krieg mit Israel. Falls doch Waffen über den Seeweg transportiert werden sollten, darf die Bundesmarine die Schmugglerboote nicht überall hin verfolgen, jedenfalls nicht ohne die libanesische Regierung um Erlaubnis zu fragen. An der ist die Hisbollah beteiligt, und viele Libanesen finden das auch gut so. O.K., sagt Kanzlerin Merkel, im Grunde sind wir da, um Israel zu schützen. Was die Israelis von diesem Schutz halten, haben sie neulich einem deutschen Schiff mit Warnschüssen eindrucksvoll demonstriert. "Teuerstes Seemanöver der Geschichte" hat ein SPD-Politiker den Libanoneinsatz neulich genannt. Getroffen, versunken!

Beispiel Bosnien

Politisches Ziel: Moslemische, serbische und kroatische Bosnier davon abhalten, sich gegenseitig zu massakrieren und zu vertreiben wie während des Krieges. Sicherheit gewährleisten. Wiederaufbau unterstützen.

Realität: Mission erfüllt! Fragt sich nur, was passiert, wenn die Europäer ihre Truppen morgen abziehen würden. Fallen dann nicht die alten Feinde wieder übereinander her? Könnte sein. Aber kann es denn umgekehrt sein, dass Bundeswehrsoldaten bis zum Sankt-Nimmerleinstag bosnische Kinder an der Hand zur Schule bringen, und gleichzeitig die Eltern dieser Kinder nicht ansatzweise Bereitschaft zeigen, sich mit der anderen Volksgruppe zu versöhnen? Verteidigungsminister Jung hat dieser Tage Haue bekommen von seiner Kanzlerin für seine Gedanken über einen Rückzug aus Bosnien.

Geordneter Rückzug

Dabei hat Jung recht. Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie zuerst ausspricht. Und Jungs Generäle haben recht, wenn sie politische Lösungen einfordern. Und nicht nur das: Es ist an der Zeit, alle Auslandseinsätze kritisch zu überprüfen. Selbst wenn man nicht alle selbstgesteckten Ziele erreicht hat und selbst, wenn man auf ganzer Linie gescheitert ist, ist es manchmal besser, einen geordneten Rückzug anzutreten, bevor man sich restlos in immer mehr Verlusten und Skandalen verzettelt. Sogar die viel gescholtenen Amerikaner denken jetzt über das vor einiger Zeit noch Undenkbare nach: einen Rückzug aus dem Auslandseinsatz im Irak.