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"Die Skinheads sind frech geworden"

Anatolij Dozenko, Moskau5. August 2002

In Russland haben Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass in den letzten Jahren stark zugenommen. Bürgerrechtler meinen, dass die zuständigen Behörden zu nachsichtig sind und keine Mühe an die Aufklärung verschwenden.

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Moskau im RegenBild: AP

Jeden Monat werden in Moskau einige Menschen überfallen, die nicht europäisch aussehen. Manche Opfer werden dabei getötet oder schwer verletzt. Manchmal schlagen ganze Skinheads-Gruppen auf Fremde ein, die Medien sprechen in solchen Fällen von richtigen Pogromen.

Pogrome in Moskau?

In den letzten zwei Jahren gab es mehrere Vorfälle solcher Art auf Märkten, an den Metro-Stationen, in Zuwanderer-Wohnheimen oder einfach auf der Straße. Bei einem der jüngsten Moskauer Pogrome im Stadtteil Zarizyno wurden Kaukasier und Asiaten verprügelt, drei von ihnen starben. Dabei wurden auch einige Dutzend russische Bewohner Moskaus verletzt, die den Tätern zufällig im Wege standen.

In der Hauptstadt erfährt die Öffentlichkeit dank Medien und diplomatischer Einrichtungen schnell über solche Vorfälle. In der Provinz ist das jedoch nicht der Fall. Nach Angaben von Bürgerrechtlern gehört die gezielte Hetze von Ausländern in einigen russischen Regionen zum Alltag. Ein Beispiel dafür ist Tschetschenien, wo die russische Armee täglich so genannte "Säuberungen" durchführt - begleitet von Plünderungen, Gewalt und Mord. Bisher ist keiner der Täter wegen solcher Taten zur Verantwortung gezogen worden.

Negativbeispiel Krasnodar

Ein anderes Beispiel, das Bürgerrechtler ständig anführen, ist die Region Krasnodar. In diesem riesigen Gebiet, das in vielerlei Hinsicht mit europäischen Ländern vergleichbar ist, verfolgen die Behörden Übersiedler kaukasischer und zentralasiatischer Abstammung, um diese zu zwingen, die Region zu verlassen. Der Gebietsgouverneur zählt offen phonetische Besonderheiten nicht-russischer Familiennamen auf, die nach seinen Worten in der Provinz nichts zu suchen haben. Den russischen Bürgerrechtlern ihrerseits bleibt nichts anderes übrig, als sich über die ausbleibende Reaktion von Wladimir Putin und dessen Kabinett zu empören.

Gleichgültige Behörden

Der renommierte russische Bürgerrechtler und Parlamentsabgeordnete Sergej Kowaljow sagt, die russische Regierung, die sich zu einer "gelenkten Demokratie" bekennt, wolle nur jene Bereiche des öffentlichen Lebens kontrollieren, die für den Erhalt des aktuellen Regimes wichtig sind. Das betrifft etwa Wahlgesetze oder Medien, so Kowaljow. Rechtsextremistische Vorfälle interessierten die Behörden hingegen kaum. Der Kreml drücke hierbei ein Auge zu. "Die Skinheads haben das gespürt und sind frech geworden. Auch wenn es seltsam klingen mag: Antijüdische Pogrome waren unter Stalin unvorstellbar, obwohl es einen heftigen staatlichen Antisemitismus gab", so Kowaljow.

Russischen Bürgerrechtlern zufolge sei das Gesetz zur Bekämpfung des Extremismus, das von der Duma kürzlich verabschiedet wurde, nur ein Versuch, die öffentliche Meinung im Westen zu beruhigen, denn auch ohne dieses Gesetz bot das russische Strafgesetzbuch genügend Mittel, um gegen Rechtsextreme vorzugehen. Trotzdem bestrafen Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte die Skinheads nach wie vor meistens nur wegen "Rowdytums". Und das nennen die Bürgerrechtler "Nachsicht gegen die Skinheads".