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Die spinnen, die Belgier

Bernd Riegert29. August 2007

In Belgien stehen sich Wallonen und Flamen fast feindlich gegenüber. Sollte das Land geteilt werden, müsste die City von Brüssel unter UN-Verwaltung gestellt werden - schließlich leben dort vorrangig Zuwanderer.

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Bernd Riegert
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Gleich hinter den EU-Gebäuden in der belgischen Hauptstadt Brüssel fängt der Balkan an, könnte man meinen. Genau wie im ehemaligen Jugoslawien stehen sich die Volksgruppen und Sprachgemeinschaften misstrauisch, ja feindlich gegenüber. Von einer Spaltung des belgischen Königreiches, das zu den Gründungsmitgliedern der EU gehört, ist wieder einmal die Rede. Eine Satiresendung des flämischen Fernsehens über eine Auflösung, die im Dezember 2006 von vielen Belgiern und ausländischen Botschaftern für bare Münze genommen wurde, könnte bald Realität werden. Ehrlich gesagt, ich verstehe die Belgier nicht.

König als Krisenmanager

Sie haben Fritten, Bier, das Meer, Berge, große Kulturschätze, Europas Hauptstadt, was will man mehr? Entgegen landläufiger Meinung sprechen die meisten Belgier, rund 60 Prozent, Flämisch als Muttersprache, einen Dialekt des Niederländischen. Die französischsprachigen Belgier nennen sich selbst Wallonen, wohnen im Süden des Königreichs. Mitten in Flandern, also im flämischsprachigen Nordteil des Staates liegt die Hauptstadt Brüssel, offiziell zweisprachig, aber 80 Prozent der Einwohner sprechen französisch als erste Sprache. Ja, und dann gibt es auch noch eine deutsche Minderheit, die verwaltungstechnisch zur Wallonie gehört. Alle drei Regionen haben eigene Regierungen, eigene Medien, eigene Universitäten, eigene Polizei. Oben drüber thronte die Föderalregierung, die im Juni zurücktrat.

Die Wahlen zum föderalen Parlament Anfang Juni brachten kein eindeutiges Ergebnis. Die Koalitionsverhandlungen brach der vermeintliche Wahlsieger Yves Leterme ab. König Albert II musste als Krisenmanager einspringen und ernannte einen Vermittler, der jetzt einen Politiker finden soll, der wiederum eine Regierungsmehrheit zusammenzimmert. Die Einzelheiten über das ultrakomplexe belgische Parteiensystem erspare ich uns, denn es gibt jede Partei zweimal, eine flämische, eine wallonische. Nur den rechtsradikalen Vlaams Belang gibt es einmal. Die flämischen Separatisten sind zweistärkste Kraft in Flandern geworden.

Die Faxen dicke

Viele Flamen haben die Faxen dicke und treten für eine Teilung des Landes in den reicheren Norden und den armen Süden ein. Sie wollen nicht länger mit ihrem Solidaritätsbeitrag die Wallonen mitfinanzieren - späte Rache für die Unterdrückung der flämischen Bauern durch die wallonische Oberschicht im vorletzten Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre es fast schon einmal soweit gewesen: Ein Bürgerkrieg drohte, nachdem die Wallonen den damaligen König Leopold III in einer Volksabstimmung abgelehnt hatten. Heute spricht zwar noch niemand über Waffengewalt, aber eine friedliche Teilung wie in der Tschechoslowakei 1993 können sich viele Belgier vorstellen.

Die einzigen Faktoren, die Belgien noch zusammenhalten, sind das Königshaus, die Hauptstadt Brüssel mit den EU-Einrichtungen und der einzige internationale Flughafen Brüssel-Zaventem, der in Flandern liegt. Wie soll man das teilen? Der König könnte abdanken oder in die Wallonie flüchten. Er spricht sowieso lieber französisch. Außerdem ist das Königshaus eine deutsche Leihgabe. Der erste König der Belgier war 1830 eher zufällig Leopold von Sachsen Coburg-Gotha.

Die Innenstadt von Brüssel wird zum großen Teil von Zuwanderern aus Afrika, dem Nahen Osten und EU-Beamten bewohnt. Sie könnte unter UN-Verwaltung gestellt werden. Und der Rest Brüssels? Eine Mauer? Und was wird mit dem NATO-Hauptquartier, das im zweisprachigen Hauptstadtbezirk liegt? Das militärische Hauptquartier mit Atombunker ist allerdings im wallonischen Mons angesiedelt. Wenigstens hätte es eine Friedenstruppe, die B-For, die einen Teilungsplan überwachen könnte, nicht weit. Noch wird über eine Regierungsbildung verhandelt. Ich hoffe, die Belgier raufen sich noch zusammen. Wie gesagt, so ganz verstehe ich sie nicht.