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Die Suche nach Identität

Suleman Taufiq17. April 2003

Wenige arabische Intellektuelle wagen heute, die arabische Kultur mit ihren religiösen Wurzeln in Frage zu stellen. Kritische Äußerungen werden schnell als Import aus dem Westen oder Verrat zurückgewiesen.

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Dilemma zwischen religiösen und weltlichen VorstellungenBild: AP

Der syrische Schriftsteller und Dichter Adonis gehört zu den bedeutendsten Stimmen unter den arabischen Intellektuellen. Seit Jahrzehnten lebt er in Paris und seit Jahrzehnten beobachtet er sowohl die europäische als auch die arabische Kulturszene kritisch. Für Adonis steckt das Dilemma der arabischen Kultur in der Suche nach Identität zwischen religiösen und weltlichen Vorstellungen.

"Der Islam dominiert die Geistesgeschichte bis in unsere Tage", führt er an. "So mangelt es an Freiheit und Unabhängigkeit sowohl auf intellektueller, als auch auf philosophisch-politischer Ebene. Deshalb sehen sich arabische Intellektuelle häufig gezwungen, in ihren Werken möglichst einen Kompromiss oder einen Ausgleich zwischen den religiösen Dogmen und der Vernunft zu schaffen."

Abbau von Feindbildern

Es geht ihm - und anderen arabischen Intellektuellen - nicht nur darum, die Religion wieder zu beleben, neue Impulse und Gedanken zu integrieren. Es geht vor allem darum, die eingefahrenen Feindbilder gegenüber andere Religionen und Kulturen abzubauen.

Der irakische Schriftsteller Ali Schallah, der seit Jahren in der Schweiz lebt und zwischen den beiden Kulturen zu vermitteln versucht, verspürt einen Zustand der Hoffnungslosigkeit und Resignation in der arabisch-islamischen Welt. "Es herrscht ein Gefühl, dass der andere sie ablehnt. Und das Gefühl verstärkt sich so weit, dass jedes Ereignis und sogar Naturkatastrophen als feindlicher Akt des anderen verstanden werden". Deshalb müsse man heute die Menschen in der arabisch-islamischen Welt davon überzeugen, dass das, was geschieht, nicht gegen sie persönlich gerichtet sei.

Bruch und Chance

Noch Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die westliche Zivilisation in der arabischen Welt als Vorbild und auch als Orientierung angesehen. Damals war das Bedürfnis, Neues zu entwickeln, überholte, traditionelle Denkstrukturen in Frage zu stellen und Veränderungen wie in Europa anzustoßen, groß. Ein Bruch mit der Vergangenheit bedeutete zwar ein Risiko, wurde aber auch als Chance für den gesamten Nahen Osten begriffen.

Heute zeichnet sich das Gegenteil ab - der Westen wird generell abgelehnt, wird als Bedrohung für die eigene Kultur empfunden. Wichtige Gründe für die Entfremdung vom Westen waren der europäische Kolonialismus und die daraus entstandenen politischen und militärischen Konflikte des 20. Jahrhunderts, die in der islamischen Welt alte Ängste wieder wach riefen. "Die Araber sahen in der europäischen Kultur - das ist verständlich für eine unterlegene Kultur - einen Rivalen, der nicht Seite an Seite mit ihrer eigenen Kultur zusammenleben, sondern sie beseitigen wollte", so Ali Schallah.

Werte für die ganze Welt

Der in London lebende palästinensische Schriftsteller Samir El-Youssef glaubt, dass ein anti-westlicher Diskurs herrscht "weil es eine gewisse kulturelle Orientierungslosigkeit gibt. Diese Feindseligkeit ist in den letzten Jahren mit dem aggressiven Auftreten der islamischen Kräfte stärker geworden. Leider!"

Der Westen werde zunehmend dämonisiert. Diese Vorstellung sei inzwischen auch bei den nationalistischen Kräften zu finden. "Sie behaupten, dass der Orient und der Okzident sich ständig im Krieg miteinander befinden, bis die islamischen Werte schließlich siegen werden. Wenn wir aber in der arabischen Welt weiterkommen wollen, müssen wir von dieser absoluten Meinung abrücken. Wir müssen uns die Errungenschaften der westlichen Welt genau anschauen, vor allem im Bereich der Kultur. Ich sehe einen Reichtum, aus dem wir viel lernen können. Denn die Werte der Aufklärung sollten nicht nur für Europa gelten, sondern für die ganze Welt".