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Die Türkei als Energieexporteur

Senada Sokollu, Istanbul19. Mai 2013

Während viele EU-Länder zunehmend auf erneuerbare Energien setzen, sind in der Türkei drei neue Atomkraftwerke geplant. Damit will sich das Land vom Energieimporteur zum Exporteur entwickeln.

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Türkische Techniker vor einer Gazprom-Pipeline (Foto: picture alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Türkei befindet sich geografisch in unmittelbarer Nähe von mehr als 70 Prozent der weltweiten Öl- und Gasreserven. Jedes Jahr bringen Tausende von Öltankern bis zu 150 Millionen Tonnen Öl durch den Bosporus und die Dardanellen aus dem Schwarzen Meer zum Mittelmeer, in Richtung Westeuropa. Auch den eigenen Energiebedarf deckt die Türkei überwiegend durch Importe.

Doch jetzt will sich das Land zum Energieexporteur entwickeln, wie der türkische Energieminister Taner Yildiz kürzlich erklärte: Bis zum Jahr 2023 sollen 30 Prozent des nationalen Strombedarfs aus lokalen erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden. Außerdem setzt Ankara auf Atomkraft. Der ehrgeizige Plan lautet: drei Kernkraftwerke in der Türkei bis 2023.

Energienachfrage wächst rasant

Der Stromverbrauch im Land hat sich im vergangenen Jahrzehnt von 130 Milliarden Kilowattstunden auf 240 Milliarden Kilowattstunden nahezu verdoppelt. Damit ist die Türkei nach China das Land mit dem zweithöchsten Nachfragewachstum bei Erdgas und Strom.

Türkischer Energieminister Taner Yildiz auf einer Ölplattform mit Politikern aus Zypern (Foto: AP).
Setzt auf Atomstrom: Energieminister Taner Yildiz (2. v.l.)Bild: AP

"Unser Leistungsbedarf wird sich auch im nächsten Jahrzehnt verdoppeln. Jetzt importieren wir noch 72 Prozent unseres Energiebedarfs, aber wir werden nicht einmal mehr ein Drittel unseres heutigen Erdgas-Imports benötigen, sobald unsere Kernkraftwerke einsatzbereit sind", so der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdogan. "Unsere Erdgasrechnung wird damit um 7,2 Milliarden US-Dollar gekürzt. Damit bietet sich sogar die Möglichkeit an, Energie zu exportieren."

Drei Kernkraftwerke in Planung

Erst kürzlich hat die Türkei einen 22-Milliarden-Dollar-Deal mit einem japanisch-französischen Konsortium für den Bau eines zweiten Kernkraftwerks in der Schwarzmeer-Provinz Sinop abgeschlossen. Der Bau des ersten Kernkraftwerks wurde bereits im Jahr 2010 mit der russischen Firma Rosatom vereinbart. Von 2019 an soll es in Mersin errichtet werden.

Im April gab es in Istanbul zwar eine Demonstration gegen die geplanten Meiler - doch beteiligt haben sich nur 50 Menschen. Anders als in vielen westeuropäischen Ländern gibt es kaum Kritik an der Atomenergie aus der Bevölkerung. "Anti-Atomkraft-Demos finden kaum Anklang und würden sowieso nichts bringen", sagt Tanay Sidki Uyar, Leiter der Energieabteilung der Marmara-Universität in Istanbul und Präsident der Europäischen Vereinigung für Erneuerbare Energie e.V. (EUROSOLAR). Er ist selbst Mitglied der türkischen Grünen-Partei - doch anders als beispielsweise in Deutschland ist diese nicht im Parlament vertreten.

Erhöhte Energieeffizienz nötig

In der Türkei steige die Energienachfrage rasant, betont auch Dr. Fatih Birol, Chefökonom der Internationalen Energieagentur (IEA): "Allein in Bezug auf den Strom muss die Türkei geschätzte 45 Gigawatt zusätzliche Leistungskapazität hinzufügen - mehr als jedes andere Land in Europa." Die türkische Regierung forciere die Energieproduktion im eigenen Land durch Atomkraft, Kohle, Erdgas und erneuerbarer Energie, so Birol. Doch man müsse die Energie vor allem "auf eine effizientere Art und Weise nutzen, um die Kosten und Umweltprobleme dauerhaft zu reduzieren", betont der Ökonom.

Auch Tanay Sidki Uyar ist für Energiesparmaßnahmen in der Türkei. "Die Schaffung von zusätzlicher Leistungskapazität bedeutet, dass man sich nicht um Energieeffizienz kümmert. Es wäre ein Verlust von Geld und natürlichen Ressourcen", so der Professor im DW-Gespräch. Der erste Schritt zur Lösung des Problems sei die Reduzierung des gesamten Energieverbrauchs. "Die energieeffizienten Haushalte mit europäischen Standards - zum Beispiel in Deutschland - verbrauchen weniger als 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Die Haushalte in der Türkei verbrauchen dagegen bis zu 300 Kilowattstunden pro Quadratmeter."

Türkischer Energie-Experte Tanay Sidki Uyar (Foto: DW)
Energie-Experte Tanay Sidki UyarBild: DW

Investitionen in erneuerbare Energie noch nicht ausreichend

Erst vergangene Woche wurde in der nordwestlichen Provinz Balikesir das größte Windkraftwerk der Türkei eingeweiht. Die Investition von 153 Millionen Euro wurde durch eine Kooperation zwischen der deutschen Stromfirma Eon und der Sabanci Holding, einem der größten türkischen Unternehmen, ermöglicht. Das Kraftwerk soll jährlich über 500 Millionen Kilowattstunden Strom produzieren und den Strombedarf von schätzungsweise 170.000 türkischen Haushalten decken. Auch in der zentralanatolischen Stadt Konya investieren derzeit rund 57 internationale Firmen auf einer Fläche von 60 Millionen Quadratmetern, um das zweitgrößte Kohlervorkommen der Türkei auszubeuten und Solarenergie zu produzieren.

"Erneuerbare Energieressourcen wie Wind, Sonne und Erdwärme gehören zu der grundlegenden Energiestrategie der Türkei", so der türkische Energieminister Taner Yildiz. Doch die Investitionen in erneuerbare Energie reichten noch nicht aus. Das Wachstum der türkischen Wirtschaft sei schneller als das Wachstum der Investitionen auf diesem Sektor, so Yildiz. "Die Türkei muss ihren Energiesektor diversifizieren. Wir müssen in Zukunft doppelt so viel Strom produzieren wie jetzt. Daher sind die geplanten Kernkraftwerke so wichtig", so Yildiz.

"Doppelmoral im türkischen Energiesektor"

Ein großes Problem sei aber die Lizenzvergabe in der Türkei, meint Tanay Sidki Uyar gegenüber der Deutschen Welle. "Wenn man ein Kohlekraftwerk oder Atomkraftwerk errichten möchte, bekommt man sehr einfach eine Lizenz dafür. Bei Windturbinen wird das schwieriger. Und das in einem der windigsten Länder Europas. Das ist Doppelmoral“, so Uyar im DW-Gespräch.

Seit 2007 habe es in der Türkei keine neuen Termine mehr gegeben, um sich für Windturbinen-Lizenzen zu bewerben. Das liege daran, dass die türkische Regierung "bei der künftigen Energiegewinnung auf Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke setzt", sagt Uyar. Seiner Meinung nach könnte sich die Türkei aber sehr wohl auch ohne Atomkraftwerke zu einem zuverlässigen und unabhängigen Energieexporteur entwickeln: durch die Kombination aus Effizienz und erneuerbaren Energien.