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Die Türkei ist auf den Euro noch nicht eingestellt

Jörg Pfuhl 16. November 2001

Bis Januar 2002 ist die D-Mark in der Türkei faktische Zweitwährung. Der Euro ist kaum bekannt.

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Muss am Bosporus noch bekannter werden - der Euro.Bild: EZB

Es ist nicht nur Oma, die ihr Geld "yastik altinda", ganz wörtlich: "unterm Kopfkissen" hat, auch viele Jüngere trauen den Banken nicht. Zu oft geht eine pleite, und dann ist das Geld futsch. Also spart man bar, und zwar in Dollar oder D-Mark. Kein Mensch spart Türkische Lira, denn wegen der Inflation wäre das Geld in wenigen Monaten nur noch die Hälfte wert. 58 Prozent Inflation dies Jahr, ist die offizielle, optimistische Prognose. Also spart der Türke, respektive die Türkin in hartem Geld, eben in Dollar oder D-Mark."Wir sind hier auf Istanbuls europäischer Seite. Deutschland ist auch Europa, also hab ich mich für die D-Mark entschieden", sagt Ayten hanim. "Jedesmal, wenn ich ein bisschen Geld übrig habe, kaufe ich mir D-Mark. Was soll ich sonst tun? Zuerst zahle ich alle meine Rechnungen, den Rest tausche ich in Mark um."

So ist es bei Otto Normalbürger wie Ayten hanim. So ist es bei den zigtausend deutsch-türkischen Rentnern, die jeden Monat ihre Rente in D-Mark überwiesen bekommen. Und so ist es sogar bei vielen der oberen Zehntausend: Alper Altinparmak hat eine ziemlich gut gehende Möbelspedition mit Geschäftskontakten auch nach Deutschland:"80 Prozent der Leute hier kennen nur Dollar oder D-Mark. Auch ich
spare in D-Mark."

Keiner weiß es genau, aber die türkische Zentralbank schätzt, dass 9 Milliarden Mark in bar unter türkischen Kopfkissen liegen, und noch mal mehr als das doppelte auf D-Mark-Sparkonten türkischer Banken. Und es ist ja nicht nur das Buch- und Bargeld: Viele Geschäfte zeichnen auch ihre Preise in D-Mark aus. Nicht gerade der Lebensmittelhändler, aber teure Boutiquen, Waschmaschinen, Autos... Das hat den Vorteil, inflationsunabhängig zu sein, nicht alle drei Tage neue Preisschilder auf jedes Hemd und jeden Fernseher kleben zu müssen.

Die Kunden allerdings finden das gar nicht witzig. Zahlen tut natürlich jeder lieber in der schwachen Lira, zumal in der derzeitigen Wirtschaftskrise. Sabiha hanim ist Maklerin. Seit mit der Wirtschaft auch der Wohnungsmarkt zusammengebrochen ist, bittet sie ihre Kunden, von D-Mark wieder auf Lira umzusteigen:"Wir reden mit den Vermietern; sagen ihnen 'Bitte nicht' und versuchen zu erklären, dass es nicht in Ordnung ist. Und diemeisten haben jetzt auch tatsächlich drauf verzichtet."

Noch völlig offen ist, was mit der D-Mark passiert, wenn es sie nicht mehr gibt. Die Zentralbank wirbt schon: "Bringt eure Mark schnell auf die Bank, jetzt ist die Umstellung auf Euro noch kostenlos - ab Januar nicht mehr."

Also Nachfrage bei der IS-Bank: Kann ich bei Ihnen ein Euro-Konto einrichten? Die Chefin der Bankfiliale, Sevinç hanim, zögert, ziemlich lange, lacht dann:"Da haben Sie mir eine schwere Frage gestellt, da müsste ich nachfragen. Aber eigentlich müsste es schon gehen."

Aber wie, weiß sie leider nicht. Und Ayten hanim hat eine ganz schlichte Frage: "Wieso wird die Mark eigentlich abgeschafft? Ich weiß gar nicht, wieso."

Tja, warum? Und vor allem: Was ist das, der Euro? Kein Türke kennt ihn. Möglicherweise werden die neun Milliarden D-Mark unter den Kopfkissen deshalb bald nicht zu vier Milliarden Euro, sondern zu vier Milliarden Dollar. Dazu Altinparmak: "Wenn der Euro kommt, ich kenne ihn auch nicht, den Euro, dann werde ich vielleicht auch Dollar kaufen."