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Die Todesstrafe als Auslaufmodell?

10. Oktober 2010

Es war eine Sensation, als vor einem Jahr das "American Law Institute" die Todesstrafe für gescheitert erklärte. Die Auswirkungen machen sich langsam bemerkbar - und die Todesstrafen-Gegner sind optimistisch.

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Injektionsraum (Foto: AP)
Injektionsraum: Hier wird Todeskandidaten das tödliche Gift gespritztBild: AP

Die Todesstrafe ist unfair, rassistisch, teuer und wird untergraben von politischen Machtkämpfen. Sie ist juristisch nicht mehr zu rechtfertigen. Für Menschenrechts-Organisationen ist das selbstverständlich. Als das American Law Institute (ALI) vor einem Jahr zu diesem Schluss kam, war das eine Sensation. Denn das ALI ist ein Zusammenschluss von 4000 Richtern, Anwälten und Juristen und die Institution, wenn es darum geht, Gesetze zu interpretieren. Es gibt die Richtlinie für alle 50 US-Bundesstaaten vor. 1962 hatte das ALI erklärt, eine gerechte Ausübung der Todesstrafe sei möglich. Der Oberste Gerichtshof in den USA berief sich auf die Auslegungen, als er 1974 die Todesstrafe in den USA wieder einführte.

Sensation nur für Experten

Supreme Court in Washington (Foto: AP)
Supreme Court in Washington: Wird der Oberste Gerichtshof die Todesstrafe kippen?Bild: AP

Hat die Kehrtwende des ALI bereits Wirkung erzeugt? Noch immer werden in den USA Menschen hingerichtet. 39 waren es bisher in diesem Jahr. Die meisten starben durch die Giftspritze, nur einer durch den elektrischen Stuhl, ein weiterer durch ein Erschießungskommando. Dennoch: In 15 Staaten wurde die Todesstrafe inzwischen ganz abgeschafft, in New Mexiko erst im letzten Jahr. In den restlichen 35 Bundesstaaten ist sie zwar noch Gesetz und über 3000 Menschen sitzen in den Todeszellen, vollstreckt wird sie aber immer seltener. Lediglich in 11 Bundesstaaten gab es in diesem Jahr Hinrichtungen, die meisten in Texas und Ohio. Insgesamt sterben immer weniger Menschen auf Anordnung des Staates.

In der Öffentlichkeit wurde die Kehrtwende des ALI kaum zur Kenntnis genommen. Fast zwei Drittel der Amerikaner befürworten bei Umfragen regelmäßig die Todesstrafe. "Was das American Law Institut ist, weiß kaum jemand, geschweige denn, dass das Institut seine Meinung geändert hat", sagte Richard Dieter, Direktor des "Death Penalty Information Centers" (DPIC) in Washington DW-WORLD.DE. Das DPIC setzt sich seit langem gegen die Todesstrafe ein und gilt als Institution.

Unschuldige verurteilt

Dieter meint, dass die amerikanische Öffentlichkeit der Todesstrafe trotzdem zunehmend skeptisch gegenüber steht. Er verweist auf die Ergebnisse differenzierterer Umfragen, bei denen sich die Befürworter von Todesstrafe und lebenslanger Haft in etwa die Waage halten und bei jeweils gut 40 Prozent liegen. Vor allem die Sorge, Unschuldige zu verurteilen, nehme zu.

Tatsächlich werden immer mehr Fälle bekannt, in denen sich im Nachhinein die Unschuld eines Verurteilten herausstellt. Vor allem durch die Fortschritte in der Forensik können alte Fälle wieder aufgerollt werden. Seit 1973 sind über 130 Menschen als unschuldig aus der Todeszelle wieder entlassen worden, führt das DPCI in seinem Jahresbericht 2009 auf. So wurde der inzwischen 50-jährige Earl Washington in Virginia wegen Vergewaltigung und Mordes 1984 zum Tode verurteilt. Erst kurz vor seiner Hinrichtung stellte sich durch einen DNA-Test heraus, dass ein anderer die Tat begangen hatte. Washington, der einen IQ von 67 hat, saß 17 Jahre im Gefängnis und wurde erst 2007 von jeglicher Schuld freigesprochen.

Teuer und ungerecht

Die hohen Kosten sind ein weiterer Grund, der gegen die Todesstrafe spricht. In Zeiten knapper Kassen sei es nicht wirtschaftlich, Millionen Dollar für die Aufrechterhaltung des Systems der Todesstrafe auszugeben, so das DPIC. 2005 rechnete die Los Angeles Times vor, dass das System der Todeszellen die Steuerzahler in Kalifornien 114 Millionen Dollar im Jahr mehr kostet, als wenn die Verurteilten lebenslang im Gefängnis sitzen müssen. Und da seien die zusätzlichen Kosten für die langwierigen Verfahren nicht mit eingerechnet. Denn der Personalaufwand im Todestrakt ist erheblich höher. Die Verurteilten sitzen in Einzelzellen, müssen rund um die Uhr bewacht und bei jedem Gang begleitet werden.

Teresa Lewis (Foto: AP)
Starb am 23. September 2010: Teresa LewisBild: AP

Auch das ALI führte in seinem Bericht die enormen Kosten der Todesstrafe an, wies aber darauf hin, dass gleichzeitig die Verteidigung der Angeklagten in vielen Fällen unzureichend sei. Oft entkommt derjenige der Todeszelle, der den besseren Anwalt hat oder als erster den Deal mit der Staatsanwaltschaft schließt. Manchmal ist die Entscheidung eines Richters oder von Geschworenen gar nicht nachvollziehbar. Jüngstes Beispiel: Die Hinrichtung der 41-jährigen Teresa Lewis in Virginia im September 2010. Die Frau, die Psychologen als geistig zurückgeblieben beschrieben hatten, war für den Mord an ihrem Mann und ihrem Stiefsohn verurteilt worden. Sie hatte die Tat selbst nicht begangen, der Richter erklärte sie aber zur Drahtzieherin der Tat, die aus niederen Motiven gehandelt habe. Die eigentlichen Schützen kamen mit lebenslanger Haft davon.

Für manche zu spät

Die Rechtsprechung hat die Kehrtwende des American Law Institutes noch nicht beeinflusst, aber das werde noch kommen, sagt Richard Dieter. Außerdem erklärt er: "Mehrere Bundesstaaten werden 2011 überlegen, ob sie die Todesstrafe abschaffen, und die Entscheidung des ALI wird in die Argumentation mit einfließen." Für viele Todeskandidaten könnte dies allerdings zu spät ein. Auch Mumia Abu-Jamal muss noch immer um sein Leben fürchten. Der Amerikaner wurde 1982 wegen des Mordes an einem Polizisten verurteilt, seitdem macht sein Fall weltweit Schlagzeilen und beschäftigt die Gerichte. Es wurden Verfahrensfehler festgestellt, die nächste Anhörung soll am 9. November stattfinden.

Die Wirkung der ALI-Entscheidung wird erst mit der Zeit größer werden, sagt auch Ronald Tabak, Vorsitzender des Komitees der amerikanischen Anwaltskammer, das sich mit der Todesstrafe beschäftigt. "Es untergräbt auf jeden Fall jeglichen juristischen Rechtfertigungsversuch der Todesstrafe, " sagt der Todesstrafengegner. Es gebe einen langsamen, aber eindeutigen Trend in Richtung Abschaffung der Todesstrafe. Dabei ist es gar nicht nötig, dass alle Bundesstaaten die entsprechenden Gesetze verabschieden. "Wir werden an einen Punkt kommen, wo die Todesstrafe die Ausnahme ist, wo es sich einfach nicht mehr gehört," hofft auch Richard Dieter. Dann könnte der Supreme Court argumentieren: "Nur noch wenige Staaten vollstrecken die Todesstrafe, das ALI unterstützt es aus nachvollziehbaren Gründen nicht mehr, deswegen verstößt es gegen die Verfassung und deswegen schaffen wir sie ab." Aber das, so Dieter, passiert nicht in ein oder zwei Jahren, eher in zehn.

Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Christian Walz