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Politik

Die Türkei im Fahndungsrausch

Carsten Grün
18. Oktober 2017

Was haben Kemal K., Dogan Akhanli und Can Dündar gemeinsam? Sie stehen als Staatsfeinde auf der Fahndungsliste der türkischen Behörden. Über Interpol und Rechtshilfeersuchen versucht Ankara, Gegner festnehmen zu lassen.

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Türkei Istanbul Cumhuriyet  Prozess
Bild: Reuters/O. Orsal

Regelmäßig lässt die türkische Regierung im Ausland über Interpol missliebige Personen strafrechtlich verfolgen. So wurde der deutsche Autor Dogan Akhanli im Spanienurlaub festgenommen. Nun ist bekannt, dass die Türkei bereits im Juli in der Ukraine einen Mann mit deutsch-türkischem Doppelpass in Gewahrsam hat nehmen lassen. Einen Monat vor der Festnahme von Akhanli.

Sein Rechtsanwalt Dmytro Morhun in Kiew sagte der Deutschen Welle, dass Kemal K. am 23. Juli 2017 in Kiew auf dem Flughafen Zhulyany auf Grundlage einer Red Notice von Interpol von ukrainischen Beamten festgenommen worden sei. Kemal K. wollte damals mit seiner Ehefrau privat in die Ukraine einreisen. Das ukrainische Gericht habe Kemal K. nach drei Tagen nicht länger in Haft gehalten, weil die Gründe für eine provisorische Inhaftierung unzureichend gewesen seien.

Verspäteter Auslieferungsantrag

Die Türkei habe erst am 18. September einen offiziellen Auslieferungsantrag an die Ukraine gestellt. Im Verlauf von 60 Tagen sollen die ukrainischen Behörden die Begründung prüfen und über die Auslieferung in die Türkei entscheiden. Kemal K. sei auf freiem Fuß, dürfe die Ukraine aber nicht verlassen. Seine ukrainische Ehefrau sei derzeit in Köln, sagte Morhun.

Die deutsche Botschaft kümmert sich konsularisch um den Fall und hat engen Kontakt mit den Rechtsanwälten von Kemal K. Man wirke bei den ukrainischen Behörden sehr darauf hin, dass es eine schnelle Entscheidung gebe, um ihm die Ausreise zu ermöglichen, heißt es von deutscher Seite.

Kemal K. war während seiner Zeit in der Türkei nach Medienberichten in der kommunistischen Partei TKP/ML aktiv. 2007 floh er vor den türkischen Behörden nach Deutschland und erhielt dort politisches Asyl. 2016 wurde er eingebürgert.

Die türkische Justiz wirft dem 52-Jährigen vor, in zwei Morde in der Türkei verstrickt zu sein und hat eine Kopfprämie von etwa 350.000 Euro ausgesetzt. Mehrfach wollte die Türkei, dass K. ausgeliefert wird. Deutsche Gerichte lehnten dies aber mit der Begründung der politischen Motivierung seitens der Türkei ab. Im nächsten Monat will die Ukraine entscheiden, ob K. ausgeliefert wird.

"Red Notice"

Die Türkei bedient sich dabei des sogenannten "Red Notice"-Erlasses. Dabei handelt es sich nicht - wie oftmals angenommen - um einen Haftbefehl, sondern lediglich um ein Ersuchen an die internationalen Polizeibehörde Interpol, die gesuchte Person aufzuspüren und vorläufig festzunehmen. Grundlage dafür ist ein national ausgestellter Haftbefehl, was in der Türkei keine Besonderheit ist, da dort schnell staatliche Verfolgungen in Gang gesetzt werden.

Interpol kann allerdings nicht gezwungen werden, den nationalen Haftbefehl umzusetzen. Dass gerade ein Staat wie die Türkei, die regelmäßig Menschenrechte verletzt und demokratische Statuten nicht einhält, sich dieser Form der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit bedient, erscheint widersinnig.

Fall Akhanli

Mitte August war der deutsche Schriftsteller Dogan Akhanli in Spanien festgenommen worden. Auch er war durch die Türkei über Interpol zur Fahndung ausgeschrieben worden. Nach zwei Monaten steht fest, dass Akhanli nicht ausgeliefert wird und nach Deutschland zurückkehren kann.

Prominentester Fall im "Fahndungsrausch" der Türkei ist der nach Deutschland geflohene frühere "Cumhuriyet"-Chefredakteur Can Dündar. Auch hier will die türkische Justiz Interpol instrumentalisieren, Dündar festnehmen zu lassen.

Allerdings beruft sich Interpol darauf, neutral zu sein. Artikel 3 der Interpol-Verfassung untersagt jegliche politische Instrumentalisierung. Sobald die Behörde feststellt, dass internationale Haftbefehle lediglich dem Zweck dienen, gegen Gegner des Staates vorzugehen, wird dem Staat, der einen politisch Gesuchten beherbergt, der sogenannte "Artikel 3-Hinweis" zugestellt. Danach kann das Land selbstständig entscheiden, ob es zu einer Festnahme kommt.

Dogan Akhanli
Im Visier der Türkei: Dogan AkhanliBild: picture-alliance/AP Photo/P. White

"Missbrauch durch die Türkei"

In einem Interview mit der Deutschen Welle vom August dieses Jahres wies der Europarat-Beauftragte und CSU-Bundestagsabgeordnete Bernd Fabritius auf die Willkür der Türkei hin. Es sei bekannt, dass immer mehr Staaten dieses Instrument der Interpol dazu missbrauchten, missliebige Personen, Oppositionspolitiker, Regimekritiker und Menschenrechtsverteidiger zu drangsalieren und am Reisen zu hindern. Die Türkei sei sicher einer der Staaten, besonders seit dem Putsch, der nun seine eigene Vorstellung von Rechtswidrigkeit und von Strafbarkeit ansetze und dafür auch das Interpol-System missbrauche, so Fabritius.

Viele Auslieferungsverfahren 

Interpol veröffentlicht regelmäßig "Red Notice"-Fahndungen im Internet. Politisch motivierte Gesuche findet man dort nicht. Derzeit stehen 49 türkische Staatsbürger auf der Liste, allerdings nicht auf Ersuchen der Türkei. Meist handelt es sich um Gewalt- oder Wirtschaftsdelikte, die den Gesuchten vorgeworfen werden. Die Türkei sucht selber offiziell auf den Internetseiten keine vermeintlichen Delinquenten.

Beim Bundesamt für Justiz sind 53 Fälle registriert, in denen die Türkei die Auslieferung wegen eines Verfahrens fordert. Bislang seien aber nur sechs Personen ausgeliefert worden. Es gehe zumeist um Drogen- oder Gewaltdelikte, heißt es aus dem Amt.

Schwerpunkt der türkischen Fahndungen sind Anhänger der Gülen-Bewegung neben generell in Opposition zur AKP stehenden Personen. Der in den USA lebende Prediger Gülen ist Staatsfeind Nummer 1 von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Der Staatsfeind des Autokarten: Fethullah Gülen (links) und Recep Tayyip Erdogan
Der Staatsfeind des Autokraten: Fethullah Gülen (links) und Recep Tayyip ErdoganBild: picture-alliance/Zaman/AA/B. Ozkan

Hier gilt: Information ist alles. Gerne werden dafür auch im Ausland lebende Türken eingebunden. Handlanger Erdogans ist hierbei der Leiter der Auslandsabteilung der staatlichen Religionsbehörde „Diyanet", Halife Keskin. Er fordert in Deutschland lebende Türken und die Moscheen zur aktiven Mitarbeit, also Spionage auf, wenn es darum geht, Informationen über Gülen Anhänger zusammen zu tragen. Nach Informationen des Bundesinnenministeriums haben die türkischen Konsulate in Düsseldorf, Köln und München 46 Personen ermittelt, die Anhänger Gülens sind.

Im Visier: der gewöhnliche Bürger

Aber es trifft nicht immer nur Autoren oder politische Gegner der Erdogan-Regierung, sondern auch oft gewöhnliche Bürger. Der türkische Staat versucht so, Stärke zu beweisen.

Wie beim Fall des Ali C. aus Elmshorn. Der 37-Jährige hatte ebenfalls im Internet gegen die Politik Erdogans demonstriert und bekam 2016 prompt Post von deutschen Behörden. "Gegen Sie wird ein Ermittlungsverfahren aus folgendem Grund geführt: Rechtshilfeersuchen aus der Türkei wegen Propagandabetreibung der Terrororganisation / Artikel 7/2-2 Satz des Antiterrorgesetzes." Die Lokalzeitung "Elmshorner Nachrichten" berichtet über den Fall. Im Januar 2017 kommt das nächste Schreiben. Diesmal vom Amtsgericht Elmshorn. Eine persönliche Strafanzeige von Staatspräsident Erdogan. Verhandlungsort: die Türkei. Das deutsche Amtsgericht hob den Anhörungstermin schließlich auf. Die Unsicherheit bei den Betroffenen bleibt.

Schweiz und Griechenland betroffen

Auch in der Schweiz versucht die türkische Regierung Druck auf unliebsame Personen auszuüben. So berichtet die "Neue Zürcher Zeitung" (NZZ) im Juli 2017 von zehn avisierten Auslieferungsverfahren. Lediglich eine der Personen befinde sich in Auslieferungshaft. Bei den anderen sei eine Auslieferung "aus verschiedenen Gründen" unwahrscheinlich. Dazu gehöre etwa das so genannte Non-Refoulement-Prinzip, wonach niemand in einen Staat verbracht werden dürfe, in dem ihm eine unmenschliche Behandlung drohe. Die Fälle seien derzeit beim Bundesamt und beim Bundesstrafgericht anhängig. Wie viele in Zusammenhang mit dem Putschversuch stünden, sei unklar, schreibt die NZZ.

Auch Griechenland muss sich mit Rechtshilfeersuchen Erdogans herumschlagen. Acht Ersuche liefen 2016. Hier geht es um geflohene Soldaten, die Ankara vor Gericht stellen will.