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Die Ukraine am Scheideweg: Russland oder EU?

6. April 2006

In welche Richtung wird sich die Ukraine in Zukunft orientieren? Am Rande eines deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforums diskutierten Experten mögliche Entwicklungsszenarien.

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Nach Osten oder Westen? Die Ukraine muss sich entscheiden

Die neue ukrainische Regierung wird zwischen zwei Wegen ihrer wirtschaftlichen Entwicklung wählen müssen – entweder eine Zusammenarbeit mit Russland oder die europäische Integration. Darauf machen die meisten deutschen Experten oder Regierungsvertreter aufmerksam, unter anderem Alexander Rahr, Programmdirektor des Körber-Zentrum für Russland/GUS.

Rahr sagte im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Sicherlich wird in den nächsten Monaten kurz- und mittelfristig die Ukraine weiterhin zwischen der EU und Russland und der GUS, zwischen einem Assoziierungsstatus mit der EU und vielleicht einem Liebäugeln mit dem Einheitlichen Wirtschaftsraum mit Russland, Weißrussland und Kasachstan sich hin- und herbewegen, weiterhin einen Zick-Zack-Kurs fahren. Möglicherweise wird die Ukraine Probleme haben, zwischen zwei Zollunionen zu wählen, zwischen einem Anschluss an eine freie Wirtschaftszone mit dem Westen und gleichzeitig einer freien Wirtschaftszone mit Russland, die der ukrainischen Wirtschaft natürlich große Vorteile bringt. Aber die Ukraine wird sich entscheiden müssen."

Viele ukrainische Experten teilen eine solche ultimative Herangehensweise nicht. Die Vizepräsidentin des Ukrainischen Industriellen- und Unternehmerverbandes, Tetjana Stepankowa, meint, die Ukraine könne gleichzeitig effektiv sowohl mit dem Osten, als auch mit dem Westen zusammenarbeiten. Gerade deswegen wünscht sich der Verband in der Ukraine eine Regierungskoalition aus dem Bündnis Unsere Ukraine und der Partei der Regionen.

Maßnahmen gegen mögliche Energiekrise

Der nächsten ukrainischen Regierung, egal wer sie bilden werde, stünden ernsthafte Probleme ins Haus, meinen viele Experten. Unter anderen befürchten sie eine Energiekrise. Sie machen auch darauf aufmerksam, dass die ukrainische Wirtschaft bislang keinen Schock wegen der gestiegenen Energiepreise erlebt habe. Um die Wirtschaft des Landes zu schützen, müsse die ukrainische Führung vorbeugende Maßnahmen ergreifen.

Michael Harms vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft sagte der Deutschen Welle in diesem Zusammenhang: "Worüber wir jetzt reden, ist das, was jetzt in Südosteuropa, also auf dem Balkan teilweise schon geschaffen wurde, also die Schaffung eines einheitlichen Energiemarktes im Sinne von Verknüpfung der Stromnetze, gemeinsamer Pipelinebau, Hilfe und gegenseitiger Ausgleich bei Energieengpässen. Für die Ukraine wäre es sehr wichtig, sich an diesen Prozess anzudocken. Erste Initiativen entstehen schon, um eben diese große Abhängigkeit von Russland hier in gewisser Weise auszugleichen."

Tetjana Stepankowa vom Ukrainischen Industriellen- und Unternehmerverband versichert, daran werde bereits gearbeitet: "Ich denke, dass die europäische regionale Zusammenarbeit derzeit gelingen kann, weil die Parameter der Ukraine bezüglich der EU noch nicht festgelegt sind. Eine solche regionale Kooperation wird helfen, Energiespar-Projekte umzusetzen, oder alternative Energiequellen zu nutzen. Das sind auch Projekte an kleinen Flüssen, beispielsweise kleine Wärmekraftwerke, oder auch Energieprojekte im Süden der Ukraine. Wir erweitern die Zusammenarbeit in der Tat."

Kooperation in konkreten Bereichen

Neben einer möglichen Energiekrise erwartet die nächste ukrainische Regierung möglicherweise auch eine angenehme Überraschung. Deutsche Experten schließen nicht aus, dass im kommenden Jahr, wenn der Ukraine-EU-Aktionsplan verlängert wird, Brüssel Kiew eine deutlich intensivere Kooperation anbieten wird. So gut wie niemand bezweifelt, dass eine vertiefte Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und der EU vor allem wirtschaftlicher Art sein wird – beispielsweise die Bildung einer Freihandelszone oder eines gemeinsamen Energiemarktes.

Gerade die wirtschaftliche Kooperation ist heute für die Ukraine realistisch, meint Michael Harms: "Wirtschaftlich sicher. Hier können wir über alles reden, was Freihandel, was Kooperation, was Technologiezusammenarbeit und Energiepolitik betrifft. Das ist alles möglich. Ich glaube, das ist genau der Weg, den die Ukraine gehen muss, zu versuchen, in konkreten Bereichen so viel wie möglich zu erreichen, um nicht hinter dem großen Ziel der EU-Mitgliedschaft, das in weiter Ferne liegt, alles andere zu vergessen."

Jetzt hängt die Entwicklung der ukrainischen Wirtschaft von der Bildung einer neuen Regierung ab, davon, wie effektiv sie arbeiten und wie lange sie bestehen wird. Das ist für ausländische Geschäftsleute, die in die ukrainische Wirtschaft investieren wollen, das Hauptkriterium.

Natalja Fiebrig, Berlin
DW-RADIO/Ukrainisch, 5.4.2006, Fokus Ost-Südost