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"Die Ukraine braucht eine klare Orientierung"

4. Oktober 2007

Rainder Steenblock, europapolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, erläutert im Gespräch mit DW-RADIO/Ukrainisch seine Überzeugung, warum die EU und die Ukraine einander brauchen.

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Rainer Steenblock rät zu neuen Symbolen

DW-RADIO/Ukrainisch: Welche Bedeutung hat diese Wahl für die europäische Perspektive der Ukraine?

Rainder Steenblock: Diese Wahl hat für die europäische Perspektive der Ukraine eine große Bedeutung, weil die neue Regierung – egal, wer sie stellt - diesen Schritt der Annäherung an Europa mit konkreten Inhalten wird füllen müssen. Die Übernahme von Teilen des Acquis communautaire, die Zusammenarbeit in der Energiepolitik mit Europa, die Ausrichtung der internen Spielregeln der Ukraine nach EU-Standards – all dieses wird Aufgabe der neuen Regierung sein. Es ist sicherlich richtig, dass es in Europa viele Skeptiker gibt, was die Europäisierung der Ukraine angeht, und deshalb glaube ich, dass es eine Stabilisierung geben muss. Die Vorkommnisse der letzten Monate haben das Vertrauen in die Ukraine nicht gestärkt. Das muss eine neue Regierung jetzt erarbeiten und deshalb liegt viel Verantwortung bei ihr.

In Deutschland unterteilen die Medien die ukrainischen Parteien in "pro-westliche" und "pro-russische". Hat die EU tatsächlich ihre Favoriten in der Ukraine?

Natürlich gibt es in der Europäischen Union, insbesondere in Deutschland, aber auch in Brüssel, immer noch viele Sympathien für die orangenen Kräfte. Aber mittlerweile glaube ich auch, dass die Partei der Regionen in den letzten Monaten in vielen Gesprächen sehr klar gemacht hat, dass auch sie für eine europäische Orientierung steht. Deshalb ist eine Polarisierung, wie es früher der Fall war, in den europäischen Hauptstädten nicht zu erwarten, was die Beurteilung des Wahlergebnisses angeht.

Welche Schritte erwartet Berlin und Brüssel von der künftigen ukrainischen Regierung?

Es wäre sicherlich ein gutes Signal, wenn der neu gewählte Regierungschef vielleicht nicht als erstes nach Moskau reisen würde, sondern als erstes nach Brüssel, oder sich mit dem Ratspräsidenten aus Portugal treffen würde. Das wäre ein gutes Symbol, um die Orientierung anzuzeigen. Das andere ist natürlich die Stabilisierung der wirtschaftlichen Beziehungen zu den europäischen Ländern. Das heißt für die Ukraine, auch Rechtssicherheit schaffen für das private Investment von europäischen Firmen.

Nach der "Orangenen Revolution" haben sich sehr viele Politiker in Deutschland für die Entwicklung der Ukraine interessiert. Wie sieht es heute aus?

Die Präsidentschaft von Juschtschenko und dann Janukowytsch als Regierungschef haben natürlich mit ihren internen Machtkämpfen viel Vertrauenskapital verspielt. Deshalb ist das Interesse zurückgegangen. Aber in Deutschland wissen viele, dass die Ukraine ein ganz wichtiger geostrategischer Bündnispartner Europas ist. Die Ukraine hat ein großes Potential von wirtschaftlicher Entwicklung, ist als Transitland für Energie ganz wichtig für Europa. Wir brauchen die Ukraine als Partner.

Die Grünen sind die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die eine klare EU-Beitrittsperspektive für osteuropäische Staaten wie die Ukraine fordert. Gäbe es im Bundestag ihrer Meinung nach eine Mehrheit dafür?

Wenn ich ganz ehrlich bin, glaube ich, dass es in der jetzigen Situation vielleicht keine Mehrheit gibt, aber es gibt viele Leute, die wünschen sich die Ukraine in der EU. Sie sind im Augenblick etwas skeptisch. Man muss auch nicht euphorisch sein. Die Ukraine braucht Zeit. Auch die Bürger in der Ukraine können nicht damit rechnen, dass in wenigen Jahren ein solcher Beitritt vollzogen wird. Ein Beitritt ist für ein Land eine große Herausforderung und auch mit Mühsal verbunden, auch mit Rückschlägen. Man muss das realistisch sehen. Aber ich glaube, dass Europa auch aus geostrategischen Gründen die Ukraine an seiner Seite braucht, und da habe ich Freunde in allen Parteien, die das auch glauben. Es ist ein großes Land und dieses Land sollte nicht zu einem autoritären russischen Machblock gehören. Die Ukraine sollte auch nicht zwischen beiden großen Gruppen, also Russland und Europa, immer hin- und herpendeln, sondern sie braucht eine klare Orientierung.

Das Gespräch führte Eugen Theise
DW-RADIO/Ukrainisch, 1.10.2007, Fokus Ost-Südost