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"Die Ukraine braucht politische Vernunft und Stabilität"

13. Dezember 2007

Julija Tymoschenko ist am 11. Dezember bei der Wahl zur neuen Ministerpräsidentin im Parlament knapp gescheitert. Rainer Lindner von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik bewertet die Entwicklung in Kiew.

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Rainer Lindner sieht Ukraine vor wichtigen EntscheidungenBild: SWP

DW-Ukrainisch: Tymoschenko ist am Dienstag zwei Mal im Parlament durchgefallen. Von den insgesamt 450 Abgeordneten votierten am Dienstag (11.12.) 225 für Tymoschenko, womit ihr eine Stimme fehlte. Es gibt Vorwürfe, dass die Wahl manipuliert wurde, zumindest die Abstimmung und jetzt beschäftigt sich der ukrainische Geheimdienst mit dieser Geschichte. Die Opposition spricht von einer symbolischen Abstimmung und deutet daraufhin, dass diese Regierung, wenn sie überhaupt zustande kommen sollte, sehr instabil sein wird. Wie bewerten Sie die Ereignisse in Kiew?

Rainer Lindner: Zunächst zeigt sich von Beginn an dieser neuen Legislatur, dass die Mehrheiten denkbar knapp sind und dass auf diese Weise freilich ein Moment der Instabilität von vornherein gegeben ist. Dass jetzt zwei Stimmen zwei Mal gefehlt haben, kann Zufall sein, kann ein technisches Versagen sein. Es kann freilich auch, vor allen Dingen im zweiten Fall, als dann dem Parlamentspräsidenten Arsenij Jazenjuk die Abstimmungskarte entwendet wurde, natürlich auch ein gelenkter Vorgang sein, zumal Jazenjuk angekündigt hat, er werde bei einer Nichtwahl Tymoschenkos sein Amt räumen. Also hier sind sehr viele Spekulationen im Moment denkbar. Politisch sind es natürlich denkbar ungünstige Startbedingungen für Tymoschenko. Das hätte man ihr ersparen können, zumal sie alle Kraft brauchen wird, um sich in einem solchen Parlament und gegenüber anderen politischen Kräften durchzusetzen.

Sie sprechen von Instabilität. Macht es überhaupt Sinn, eine so instabile Koalition weiter aufrecht zu halten? Wäre es nicht sinnvoller, jetzt doch eine größere Koalition zu bilden?

Das ist eigentlich zu spät, weil sich nun offensichtlich die Koalitionäre dazu entschlossen haben. Man hat natürlich auch erwägt, eine breite Koalition zu bilden, von deren Stabilität ich andererseits ebenfalls nicht überzeugt wäre. Auch das haben wir schon erlebt, auch da gibt es immer wieder Fragen, an denen sich die Gemüter entzünden und an denen auch Koalitionen dieser Art schon gescheitert sind. Insofern es gibt offensichtlich keine ideale Lösung. Von Berlin aus hoffen wir natürlich, auch die Europäische Union hofft das, dass nun endlich einmal politische Vernunft einzieht und man allseits an dieser Stabilität Interesse hat. Es kann eigentlich niemand mehr guten Gewissens an Instabilität Interesse haben und insofern ist zu hoffen, dass bald eine Regierung anfängt zu arbeiten. Das ist das eigentlich Wichtige.

Gehen sie davon aus, dass Tymoschenko doch noch Regierungschefin wird?

Äußerungen aus den Reihen der Partei der Regionen zeigen, dass man sich nicht etwa politisch gegen eine solche Wahl stellen wird. Man wird also offensichtlich versuchen, jetzt diesen Prozess nicht weiter zu stören. Oder anders gesagt, man wird versuchen, diesen Prozess nicht zu blockieren. Und insofern ist davon auszugehen, dass dieser dritte Vorschlag und das dritte Einbringen dieses Vorschlages ins Parlament dann auch erfolgreich sein wird. Wenn das nicht so sein sollte, haben wir erneut eine massive politische Krise, wir haben dann eine Situation, in der Neuwahlen offensichtlich unausweichlich sind.

Wie viel Zeit geben Sie dieser Koalition?

Die Ukraine steht vor wichtigen Entscheidungen. Ich nenne nur eine außenpolitisch wichtige Entscheidung, nämlich die Frage der WTO-Mitgliedschaft. Man schaut von den internationalen Organisation her sehr genau auf die Ukraine. Und nicht zuletzt auch von Seiten der Europäischen Union, die ein hohes Interesse an einer Stabilität der Ukraine hat. Und ich denke auch, dass die Menschen in der Ukraine sehr genau nach Kiew schauen, dort vor allen Dingen, wo die Krise mit Händen zu greifen ist, in den Bergwerken, in den Kohlegruben, in den Krisenregionen des Landes. Auch dort hat man ein hohes Interesse an Stabilität. Insofern wäre es jetzt ein ganz falsches Signal sowohl nach Brüssel, nach Moskau und an andere Stellen, wenn die Regierung nicht zustande kommt und wenn man erneut auf Wahlen zutreibt.

Das Gespräch führte Roman Goncharenko, DW-Ukrainisch