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Die unterschätzte Gefahr

Jeanette Seiffert15. August 2014

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fürchtet, dass die Ebola-Epidemie in Westafrika schlimmer ist als bisher angenommen. Doch das wahre Ausmaß ist schwer zu beziffern - auch wegen der besonderen Bedingungen vor Ort.

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Ebola-Warnung in Ebola. Foto: IVORY COAST
Bild: Reuters

Es ist der schlimmste Ebola-Ausbruch seit Entdeckung des Virus vor fast 40 Jahren - soviel ist jetzt schon klar. Es ist aber auch das erste Mal, dass die Krankheit in Westafrika ausgebrochen ist. Wie weit sie sich mittlerweile dort verbreitet hat, ist selbst für die Experten der Weltgesundheitsorganisation WHO nur sehr schwer exakt festzustellen: Denn gerade in den ländlichen Gegenden und unübersichtlichen Waldgebieten entzieht sich die Epidemie dem Radar der Weltöffentlichkeit. Ärzte, die in der jüngsten Zeit in der betroffenen Region unterwegs waren, berichten von Dorfbewohnern, die sich weigern, erkrankte Angehörige in die Isolierstationen zu bringen. Und von Angehörigen, die Ebola-Tote verstecken, damit diese nach traditionellen Riten beerdigt werden können und nicht etwa eingeäschert werden, um eine Ansteckung zu verhindern.

Mobilität erschwert Prognosen

Im März war erstmals aus Guinea von Ebola berichtet worden, erste Erkrankungen gab es in der Region aber wohl schon im Dezember. Dann hat sich das Virus schnell nach Liberia, Sierra Leone und Nigeria ausgebreitet. Über 1000 Menschen sollen bisher laut WHO schon daran gestorben sein, 2000 sind infiziert. Und die Zahlen steigen weiter. Laut BBC soll es nun auch einen ersten Fall im ostafrikanischen Tansania gegeben - dieser ist aber nicht bestätigt worden.

Stephan Becker, Professor am Virologischen Institut der Universität Marburg, ist nicht überrascht, dass das wahre Ausmaß erst nach und nach bekannt wird: "Es ist völlig normal, dass man erst im Verlauf einer solchen Epidemie mehr Informationen darüber bekommt, wie ansteckend das Virus ist, wie tödlich es ist und wie viele Menschen möglicherweise noch angesteckt wurden." Die Infizierten genau zu beziffern sei äußerst aufwändig - auch, weil die Westafrikaner sehr mobil sind. Die Grenze im Dreiländereck Sierra Leone, Guinea und Liberia ist durchlässig und so herrscht ein reger Austausch zwischen Verwandten, Freunden und Geschäftspartnern. "Und wenn Menschen, die sich angesteckt haben, dann in das andere Land wechseln, sind sie für das Gesundheitssystem im ihrem Herkunftsland nicht mehr sichtbar", so Becker im DW-Interview.

Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie Philipps-Universität Marburg. Foto: Foto: Frank May dpa/lhe
Virologe Becker: Ebola-Statistiken brauchen ZeitBild: picture-alliance/dpa

Rituale beschleunigen Ausbreitung

Das Marburger Institut für Virologie erforscht den Ebola-Erreger bereits seit Jahren. Soweit bisher bekannt ist, wird die Krankheit nur über den direkten Kontakt beispielsweise durch Blut oder Speichel übertragen. Im Labor sei zwar auch eine Übertragung über die Luft möglich - unter realen Bedingungen sei das aber extrem unwahrscheinlich, so Virologe Becker. "Sonst sähe die Ausbreitung ganz anders aus, und wir hätten deutlich mehr Krankheitsfälle." Normalerweise bekomme man, so Becker, Erreger wie Ebola, die nur über Körperflüssigkeiten weitergegeben werden, durch einfache Quarantänemaßnahmen in den Griff. Doch das ist diesmal nicht der Fall - was nach Einschätzung von Experten auch an den speziellen Bedingungen in den westafrikanischen Staaten liegt.

Abtransport von Ebola-Toten in Liberia. Foto: EPA/AHMED JALLANZO
Abtransport von Ebola-Toten in Liberia: "Helfer werden kaum als Menschen erkannt"Bild: picture-alliance/dpa

Thomas Strecker ist einer von mehreren Kollegen am Marburger Institut, die regelmäßig in die Region fahren. Er war zuletzt im Mai im Buschland von Guinea unterwegs, um Blutanalysen durchzuführen und die Ärzteteams vor Ort mit einem kleinen Labor zu unterstützen. Momentan, so Strecker, gebe es mehrere Faktoren, die eine weitere Ausbreitung begünstigen: "Ein großes Problem sind die traditionellen Bestattungsrituale in den ländlichen Gebieten. Das heißt, oft werden die Verstorbenen umarmt und berührt", sagte er im Deutschlandfunk. Momentan sei das einer der Hauptübertragungswege in den Waldregionen - neben der Tatsache, "dass viele Infizierte zu Hause im Haushalt der Familienangehörigen gepflegt werden".

Misstrauen behindert Hilfe

Aber es fehlt in den Krankenhäusern und -stationen auch oftmals an ganz simpler medizinischer Grundausstattung, um weitere Infektionen zu verhindern: Längst nicht überall stehen ausreichend Handschuhe, Desinfektionsmittel, Overalls und Schutzbrillen zur Verfügung. Damit ist auch für Ärzte und Pflegepersonal das Risiko einer Ansteckung hoch: Etwa 100 Helfer sind bereits selbst erkrankt.

Ein weiteres Problem ist das Misstrauen, das die Bevölkerung Ärzten und Pflegern aus dem Ausland in der Bevölkerung entgegenbringt. Oftmals werden die Helfer in den seltsamen kosmonautenähnlichen Schutzanzügen von einfachen Dorfbewohnern kaum als Menschen erkannt. Klar ist nur: Diejenigen, die sie mitnehmen, kehren in der Regel nicht lebend zurück, denn die Todesrate unter den Infizierten liegt enorm hoch. "Viele Menschen in den ländlichen Gebieten Guineas glauben zum Beispiel, dass die westlichen Helfer die Krankheit Ebola überhaupt erst eingeschleppt haben", so Thomas Strecker. Die andere Seite sei, ergänzt sein Kollege Stephan Becker, "dass die Panik mittlerweile so groß ist, dass Ebolakranke oder mögliche Infizierte zunehmend stigmatisiert werden und keiner mehr etwas mit ihnen zu tun haben will."

International Airport in Abuja. Foto: REUTERS/Afolabi Sotunde
Flughafen in Abuja: Mobilität der Westafrikaner wird zum ProblemBild: Reuters

Ärzte, Virologen und Pfleger kämpfen also an vielen Fronten gleichzeitig. Virologe Becker glaubt, dass es noch mehrere Monate dauern könnte, bis es gelingt, die Krankheitsfälle ausreichend zu isolieren und damit die Ausbreitung zu stoppen. Seiner Ansicht nach kann das aber nur gelingen, indem die Bevölkerung vor Ort besser über die Krankheit aufgeklärt wird: "Wenn man wie bisher nur die entsprechenden Regionen mit Militärs abriegelt, dann wird nur die Versorgungslage der Bevölkerung immer schlechter - was dann wiederum zur Folge hat, dass die Menschen umso mehr versuchen, da rauszukommen."