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50 Jahre Amnesty

3. Juni 2011

In Briefen um die Freilassung politischer Gefangener zu bitten - aus dieser Idee wurde eine weltweite Bewegung. 50 Jahre nach der Gründung ist Amnesty International die größte Menschenrechtsorganisation der Welt.

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Amnesty-Deomstration (Archivfoto: dpa)
Einsatz für Menschenrechte: Amnesty InternationalBild: picture-alliance/dpa

"Schlagen Sie Ihre Zeitung an irgendeinem beliebigen Tag auf, und Sie werden eine Meldung aus irgendeinem Teil der Welt lesen: Ein Mensch ist eingekerkert, gefoltert, hingerichtet worden, weil seine Ansichten oder religiösen Überzeugungen nicht mit denen der Regierung übereinstimmen." Mit diesen Zeilen und der Aufforderung an die Leser, mit Schreiben an die Regierungen die Freilassung politischer Gefangener zu verlangen, beginnt der Artikel "The Forgotten Prisoners" im britischen "Observer" vom 28. Mai 1961. Mit diesem Artikel, geschrieben von dem Londoner Anwalt Peter Benenson, beginnt die Gründungsgeschichte von "Amnesty International".

Der Gründer von Amnesty International, Peter Benenson (Archivfoto: dpa)
Peter Benenson, Gründer von Amnesty InternationalBild: picture-alliance/dpa

Benensons Aufruf im "Observer" wurde von 30 großen Zeitungen in verschiedenen Ländern nachgedruckt. Innerhalb weniger Wochen meldeten sich mehr als 1000 interessierte Mitstreiter. Auf einem ersten internationalen Treffen, Mitte Juli 1961 in Luxemburg, gründeten Delegierte aus Belgien, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Irland, der Schweiz und den USA, Amnesty International (ai) als "permanente internationale Bewegung zur Verteidigung der Meinungs- und Religionsfreiheit".

Hochphase des Kalten Krieges

Der Startschuss für eine Amnesty-Sektion im damaligen Westdeutschland fiel fast zeitgleich auf dem von zahlreichen Schriftstellern und Journalisten besuchten "Kongress für die Freiheit der Kultur" in Köln. Hauptgründer waren die 2006 verstorbene Journalistin Carola Stern, der Schriftsteller Wolfgang Leonhard und der langjährige Auslandskorrespondent des ARD-Fernsehens, Gerd Ruge. "Es war die Hochphase des Kalten Krieges, die Gegensätze und das Misstrauen zwischen Ost und West verschärften sich immer mehr", erinnert sich Ruge. Gleichzeitig habe es aber "viele Menschen gegeben, die politischen Gefangenen und Menschen in Gefahr helfen wollten, ohne sich für die eine oder andere Seite instrumentalisieren zu lassen".

Da kam die Idee aus London genau richtig: Jede Ortsgruppe von Amnesty sollte drei Gefangene betreuen: einen aus dem Ostblock, einen aus dem Westen und einen aus der "Dritten Welt". So engagierte sich die erste, ebenfalls in Köln gegründete deutsche Ortsgruppe für die Freilassung des russischen Lyrikers Joseph Brodsky, für einen Zeugen Jehovas aus Spanien sowie für den kommunistischen Schriftsteller Alex La Guma aus Südafrika.

Zwischen allen Fronten

Trotz oder gerade wegen des allparteilichen Mandats, das allein der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" von 1948 verpflichtet ist, gerieten Amnesty und seine Aktivisten immer wieder zwischen alle politischen Stühle. Im Westen galten sie anfangs vielen Politikern und Medien als 5. Kolonne des Kommunismus, im Osten als imperialistische Handlanger der CIA. Doch schließlich zählte der Erfolg: Von den insgesamt 4000 Gefangenen, die Amnesty International in den ersten zehn Jahren nach der Gründung weltweit betreute, kamen immerhin 2000 frei. 1977 erhielt die Organisation den Friedensnobelpreis.

Inzwischen ist Amnesty weit mehr als "nur" eine "Gefangenenhilfsorganisation". Mit der seit 1977 beharrlich betriebenen Kampagne gegen die Todesstrafe hat AI wesentlich dazu beigetragen, dass immer mehr Staaten diese Form der "legalen" staatlichen Tötung abgeschafft haben und die Zahl der weltweiten Hinrichtungen zurückgegangen ist. 1985 erweiterte Amnesty International das eigene Mandat um den Schutz für Flüchtlinge und Asylbewerber. Und mit dem 1993 begonnenen Engagement gegen die Straflosigkeit sorgte die Organisation gemeinsam mit vielen anderen Nichtregierungsorganisationen dafür, dass 1998 der Internationale Strafgerichtshof gegründet wurde und damit Verbrechen gegen die Menschheit, Völkermord und Kriegsverbrechen endlich weltweit verfolgt werden können.

Erfolg durch Konsequenz

George W. Bush (Archivfoto: AP)
Von AI eingeschüchtert: George W. BushBild: AP

Jüngster Erfolg dieses Engagements: Im Februar dieses Jahres musste der ehemalige US-Präsident George W. Bush eine seit Monaten geplante Reise nach Genf absagen. Offenbar fürchtete er verhaftet zu werden, zumindest aber ein mediales Ereignis. Denn Amnesty hatte vor dem geplanten Besuch bei den Schweizer Behörden Anzeige gegen Bush erstattet: wegen der von ihm gebilligten Folterverbrechen in Guantanamo und anderen US-Hafteinrichtungen.

Seit 2003 schließlich setzt sich Amnesty International nicht mehr nur für die politischen, sondern auch für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte ein. Eine aktuelle Kampagne beschäftigt sich mit der Ausgrenzung von Menschen wegen Armut sowie mit dem Recht auf eine angemessene Unterkunft.

Verbreitet und vernetzt

Mit über drei Millionen Mitgliedern und regelmäßigen Unterstützern in über 150 Ländern ist Amnesty International heute die größte aller weltweit rund 300 registrierten Menschenrechtsorganisationen. In 61 Ländern - schwergewichtig in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent - gibt es nationale Sektionen.

Ihren Platz zwischen den Stühlen hat die Organisation nicht verlassen, und ihre Arbeit ist heute so dringend notwendig wie bei ihrer Gründung. Das zeigen die zum Teil heftigen Regierungsattacken gegen Amnesty allein in den vergangenen fünf Jahren - unter anderem aus Tel Aviv, Teheran, Riad, Kinshasa, Peking, Hanoi, Moskau und Washington. An der Aktualität vom Umgang der Regierenden mit ihren Bürgern, wie von Peter Benenson im eingangs zitierten Artikel vom 28. Mai 1961 geschrieben, hat sich nur wenig geändert: Zum 50. Geburtstag von AI könnte der Observer den Artikel fast wortgleich noch einmal abdrucken.

Autor: Andreas Zumach
Redaktion: Ulrike Mast-Kirschning