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Die vergessenen Helfer

Steffen Leidel29. Oktober 2004

Bei der Bekämpfung von Katastrophen stehen meist ausländische Helfer im Fokus der Weltöffentlichkeit. Der "World Disasters Report" erinnert daran, dass den lokalen Hilfskräften oftmals eine bedeutendere Rolle zukommt.

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Das Rote Kreuz setzt auf lokale HelferBild: AP

Die meisten Statistiken des viel beachteten "World Disasters Report 2004" (Weltkatastrophenberichtes) der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-Föderation (IFRC) lesen sich wie die Akte eines chronisch kranken Patienten, der trotz Hilfe nicht wirklich gesund wird: Der Welt geht es nicht besser, oder genauer: Ihren Bewohnern widerfährt nach wie vor viel Leid. Zu viel.

2003 starben 68.000 Menschen an den Folgen von Naturkatastrophen. 250 Millionen waren von Dürren, Stürmen, Hitzewellen oder Erdbeben betroffen, heißt es in dem Bericht, der am 28. Oktober 2004 in Genf vorgestellt wurde. Besonders dramatisch sind die Folgen in den ärmsten Ländern. Die durchschnittliche Zahl der Todesopfer pro Naturkatastrophe liegt in Industrieländern bei 51, in Entwicklungsländern ist sie zehn Mal so hoch.

Mehr Katastrophen, weniger Tote

Rudolf Seiters
Ex-Innenminister und DRK-Präsident, Rudolf SeitersBild: /ju/DRK-Archiv

Nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Rudolf Seiters, enthält der Bericht jedoch auch eine positive Nachricht: "Es gab im vergangenen Jahrzehnt zwar drei Mal mehr Naturkatastrophen als in den 1970er Jahren, mehr Menschen als früher sind von ihnen betroffen, aber es sterben weniger", sagt Seiters im Gespräch mit DW-WORLD. Er führt das darauf zurück, dass in den vergangenen Jahren Hilfsorganisationen wie das DRK verstärkt die Katastrophenvorsorge der einheimischen Bevölkerung und deren Selbsthilfekräfte gefördert haben. "Das ist der Schlüssel zur erfolgreichen Schadensbegrenzung bei Katastrophen", so der DRK-Präsident.

Auch der Weltkatastrophenbericht hebt die Bedeutung lokaler Helfer hervor. Dazu nennen die Autoren das Erdbeben im Dezember 2003 in der iranischen Stadt Bam als Beispiel. Mehr als 26.000 Menschen starben, die Stadt wurde komplett zerstört. Zahlreiche Hilfsorganisationen reisten mit ausländischen Helfern an. 34 internationale Rettungseinheiten fanden 22 Überlebende; die örtlichen Teams des Roten Halbmondes hingegen konnten 160 Menschen retten, und die Bevölkerung fand hunderte weitere Überlebende. Wie wichtig einheimische Helfer sein können, zeigt auch das Beispiel eines freiwilligen Helfers vom iranischen Halbmond. Nach dem ersten Erdstoß griff er zum Telefon, um die Leute dazu zu bewegen, ihre Häuser zu verlassen, berichtet Seiters.

"Blaulichtmentalität" und Hilfsspektakel

Nicht immer ist also die Entsendung ausländischer Helfer die beste Option. Ein sechstägiger Einsatz eines deutschen Rettungsteams im Ausland koste mindestens 50.000 US-Dollar. Mit diesem Geld könne das DRK ein zweijähriges Schulungsprogramm für drei iranische Suchhunde und ihre Hundeführer finanzieren, schreibt Seiters in einem Beitrag für die "Süddeutsche Zeitung".

Matthias Schüth, Sprecher von Caritas-International, kritisiert die "Blaulicht-Mentalität" einiger Hilfsorganisationen. "Viele handeln immer noch interventionistisch", sagt Schüth zu DW-WORLD. Begleitet von großem "medialen Tamtam" schickten sie ihre Helfer in die Katastrophengebiete. "Und das obwohl lokale Helfer durch ihre Ortskenntnisse oft effektiver sind", so Schüth. Vor dem Irakkrieg hätten zahlreiche Organisationen "fernsehgerecht" Lastwagen mit Hilfsgütern von Deutschland aus in den Irak geschickt. "Die Sachen hätten man aber viel billiger in der Türkei oder in Jordanien einkaufen können", so Schüth.

Die katholische Hilfsorganisation Caritas-International setze stattdessen auf die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen vor Ort. "Unsere Partner sind autark bei ihren Entscheidung. Wir unterstützen sie finanziell. Allerdings müssen sie Rechenschaft über die verwendeten Mittel ablegen", so Schüth. Diese Arbeitsweise sei bei vielen Hilfswerken nicht populär. "Die meisten fürchten, vor Ort langfristige Verpflichtungen einzugehen", sagt Schüth. Außerdem sei es für Organisationen, die keine Helfer entsenden, schwieriger, Medienaufmerksamkeit zu erregen. Doch Öffentlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung zum Sammeln von Spenden. So filme das Fernsehen gerne startende Hilfsflüge ab und bevorzuge deutschsprachige Helfer als Interviewpartner. "Damit können wir nicht aufwarten", so der Caritas-Sprecher.