1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die Wüste: Schmerzlicher Weg zum nackten Ich

21. Februar 2015

Warum zieht es Christen seit alters her in die Wüste? Christian Feldmann entdeckt in diesem Beitrag der katholischen Kirche die Wüste als schmerzhaften aber wertvollen Ort für das eigene Leben.

https://p.dw.com/p/1EevI
Bildergalerie Dasht-e Lut
Bild: picture alliance/Mary Evans Picture Library

In der ägyptischen Wüste war es an der Wende zum vierten Jahrhundert alles andere als einsam. Zu Tausenden zogen Männer und Frauen aus den nahe gelegenen Städten hinaus in die weiten sandigen Ebenen. Christen sind es gewesen, der antiken Zivilisation mit ihrem dekadenten Lebensgenuss, ihrem Zynismus überdrüssig.

Diese „Wüstenväter“ und „Wüstenmütter“ führten ein hartes Asketenleben, in kleinen Gemeinschaften oder ganz allein in einer Felsenhöhle hausend. Sie machten Erfahrungen, von denen sich immer noch eine Menge lernen lässt: Die Stille suchen. Sparsam mit Worten umgehen. Gott in den eigenen Abgründen finden. Sich selbst aushalten lernen, schwach, gebrochen, verwundbar, voller Narben und Verzweiflung.

Ich durfte in den letzten Jahren zweimal ins Heilige Land reisen, in dem sich momentan unmenschliche Machtpolitik und Hass der Unterdrückten, Gewalt und Leid und Tod zu einem scheinbar ausweglosen Durcheinander bündeln. Und doch gibt es gerade hier die Spuren einer ursprünglichen, atemberaubenden Begegnung von Gott und Mensch. Mitten in der Wüste Juda haben wir Gottesdienst gefeiert, in einer vollkommenen Stille, bis zum fernen Horizont nur Sanddünen unter einem endlos weiten Himmel. Beduinenkinder und ein Kamel sahen uns verwundert zu.
Da wurde mir schlagartig klar, was die Wüste mit einem Menschen machen kann.

Der Kampf mit den Dämonen

Die Mönche der Frühzeit, aber auch radikale Aussteiger von heute, sie gehen in die Wüste, um sich verwandeln zu lassen, um neue Maßstäbe zu gewinnen. Sie lassen alle Sicherheiten fahren, sie verzichten auf die gewohnten Lebenskonstrukte, um sich der Konfrontation mit dem eigenen nackten Ich auszusetzen.

Das kann ein grausamer Prozess sein. Mittelalterliche Maler illustrieren ihn mit grässlichen Dämonen, die auf den Menschen eindringen: Symbole für all die Traumata und Ängste, die ihn übergroß bedrängen, wenn er mit sich allein ist. Wie hält man das aus, sozusagen nackt vor Gott zu stehen, auf all die Masken und kleinen Lügen zu verzichten, die im normalen Leben Halt geben? Der Lohn solcher Schmerzen ist eine souveräne Gelassenheit, die vor nichts in der Welt mehr Angst hat.

Einer der alten Wüstenväter, mit Namen Elias, berichtetevon einem Greis. Der alte Mann wird von einem scheußlichen Dämon gequält wird, bis er verzweifelt zu Christus schreit. „Auf der Stelle floh der Dämon“, berichtet die Legende. „Der Greis begann zu weinen. Der Herr aber erklärte ihm: Du bist nachlässig gewesen. Als du nämlich nach mir suchtest, da ließ ich mich finden.“

Welche Überraschung: Mitten in den Abgründen einer aufgewühlten Seele wartet ein befreiender Gott. Und nicht minder verblüffend: Einsamkeit bedeutet hier nicht Weltflucht. Im Gegenteil: Einsamkeit lehrt die Fähigkeit zur liebevollen Solidarität, zum barmherzigen Umgang miteinander.

Vom Wüstenvater Poimen erzählt eine Legende, seine Schüler seien zu ihm gekommen und hätten gefragt: „Wir haben bemerkt, dass es doch tatsächlich Mitbrüder gibt, die beim gemeinsamen Gottesdienst einnicken und zu schnarchen beginnen! Sollen wir sie mit einem kräftigen Rippenstoß wecken?“ Poimen erwiderte: „Wenn ich meinen Bruder einnicken sehe, dann lege ich seinen Kopf auf meine Knie und lasse ihn ruhen.“

Die Wüste, ein Schatz für den eigenen Alltag

Wo gibt es heute noch richtige Wüsten? Wer will wirklich in die Einöde auswandern? Ob es andersherum auch geht? Ob es möglich ist, die Wüste zu uns zu holen?

Es dürfte sich lohnen, darüber nachzudenken. Erfahrene geistliche Berater haben den Begriff „Wüstentag“ erfunden. Das ist ein Tag, wo ich nichts tue, nichts leisten oder abliefern muss, nicht belegt bin mit irgendwelchen Aktivitäten. Ein Tag, an dem ich still dasitzen oder wandern kann, schauen, nachdenken – einfach leben. Oder mein Zimmer kann sich in so eine wunderbare Wüste verwandeln: Ich gehe nicht raus, schalte weder den Fernseher ein noch die Radio-Nachrichten, bin einfach mal bei mir. Höre auf mein eigenes Inneres. Werde mir meiner Ziele und Motive und Sehnsüchte bewusst. Das raubt Illusionen, aber es befreit auch.

Die Wüste verwandelt. Jesus hat vierzig Tage in der Wüste ausgeharrt. Erst dann ging er mit seiner Frohen Botschaft unter die Menschen (Mk 1,12-15).

Zum Autor: Christian Feldmann, Theologe, Buch- und Rundfunkautor, wurde 1950 in Regensburg geboren, wo er Theologie (u. a. bei Joseph Ratzinger) und Soziologie studierte. Zunächst arbeitete er als freier Journalist und Korrespondent, u. a. für die Süddeutsche Zeitung. Er produzierte zahlreiche Features für Rundfunkanstalten in Deutschland und der Schweiz und arbeitete am „Credo“-Projekt des Bayerischen Fernsehens mit. In letzter Zeit befasst er sich mit religionswissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Themen in der Sparte „radioWissen“ beim Bayerischen Rundfunk. Zudem hat er bisher 51 Bücher publiziert. Dabei portraitiert er besonders gern klassische Heilige und fromme Querköpfe aus Christentum und Judentum. Feldmann lebt und arbeitet in Regensburg.

Deutschland Christian Feldmann
Christian FeldmannBild: privat

Redaktionelle Verantwortung: Alfred Herrmann, Dr. Silvia Becker, Katholische Hörfunkarbeit