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Die wahre Jugend

Patrick Tippelt13. November 2006

Auch in Thailand toben MTV und Edeljeans. Doch fernab allen Kultur-Tsunamis schält sich eine Jugendkultur heraus, die es in sich hat. Die Jungen Wilden - ganz sanft.

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Ja, das geht rasch mit der Entwicklung Richtung Fortschritt, Richtung Materialismus, Richtung Geldmachen. Vor ein paar Jahren noch, da war der Chatuchak-Markt Ziel Abertausender Schnäppchenjäger. Billig war die Maxime des größten Marktes Thailands. Zwar waren die Souvenirs größtenteils Ramsch, kitischiger Ramsch, aber jeder, der nach Thailand kam, brauchte halt die silbernen Essstäbchen, Räucherkerzenteller und die dreieckigen Kissen, die zuhause ganz fürchterlich scheinen.

Das alles gab es auf dem Chatuchak-Markt. Das alles gibt es dort auch noch heute. Doch seit einer Handvoll Jahren ist "JJ" nicht mehr ausschließlich in Touristenhänden. Immer mehr Bangkoker zieht es ins Gassengewirr, wo man sich leicht, häufig und gern verirrt. Und kann man einmal den Blick abwenden von den Holzelefanten und allem Gebatikten, dann erkennt man rasch den Grund.

Skurrile Meisterwerke

Denn der Freiluftbasar wird eingenommen von den Jungen Wilden. Von Kunsthandwerkern, die stolz hinter ihren selbstentworfenen smarten Einrichtungsgegenständen stehen. Von Designstudenten, die Kleidung schneidern, die bei allen westlichen Modewochen Aufsehen erregen würde. Von Heim-DJs, die im Kinderzimmer skurrile Meisterwerke zusammenmixen. Von Schriftstellerinnen ganz am Anfang ihrer Karriere, die ihre klugen Kurzgeschichten vom Freund binden lassen, in pink gefärbte Bananenstaudenblätter. Und von ganz schlichten Künstlern, die ihre Werke an zukünftige Fans verkaufen wollen.

Bisher unsichtbar

Die Touristen und die Schnäppchenjäger sind noch da. Die merken das noch nicht. Doch die "dek naew", die junge Trendtruppe, die bleibt - wenn sich der Markt nachmittags leert - in ihren winzigen Boutiquen und bauen sie um in Bars, die nie in Stadtmagazinen, geschweige denn in Reiseführern, erscheinen werden. Abends leben die Straßen rund um Chatuchak wieder auf. Hierher zieht es junge Schwule, sie haben das Viertel gekapert, und auch die ersten Meilen für gleichgesinnte Frauen - bisher eine vollkommen unsichtbare Gruppe - entstehen hier.

In diesem noch namenlosen Viertel Bangkoks finden sich westliche Gesichter nur selten. Hier entsteht eine kleine autonome Kulturoase, die sich nicht lechzend an westliche Megatrends hängt. Nicht unähnlich Berlins kurz nach der Wende, tobt hier die wahre Jugendkultur Thailands. Kein amerikanischer Hip-Hop, kein holländisches Bier, kein französischer Edelwodka. Lokales trumpft - und das ganz ohne patriotischen Nachgeschmack.

Zwei Punkjungs setzen sich neben drei Geschichtsstudentinnen, die sich mit ihrer Dozentin eine kleine Flasche Thai-Whiskeys teilen. Thailands noch immer starre Gesellschaftshierarchie schmilzt im abgedunkelten Neonlicht. Hier zählen keine Schicht oder das Familienvermögen. Hier übt das blutjunge Thailand für die große, weite, strahlende Zukunft.