1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Die wandlungsfähige FDP

Heinrich Bergstresser6. Juni 2002

Der Streit um angebliche antisemitische Tendenzen in der FDP sorgt derzeit in Deutschland für Schlagzeilen. Die Partei gehört seit vielen Jahren zum politischen Establishment der Bundesrepublik. Ein Porträt.

https://p.dw.com/p/2O9B
Vom Aufbruch zur peinlichen Diskussion: Die Freien DemokratenBild: AP

Abseits der aktuellen Debatte gehört die FDP schon seit der Gründung der Bundesrepublik zu den festen und prägenden politischen Faktoren des Landes. Bei der Gründung der FDP 1948 trafen zwei politische Strömungen aufeinander, die in den ersten Jahren das innere Spannungsverhältnis der Partei prägten: die "liberalen Republikaner", Politiker aus der Weimarer Zeit wie Theodor Heuss und Thomas Dehler aus dem Südwesten, die von der politischen Tradition der bürgerlichen Revolution von 1848 erfüllt waren, und die bürgerliche Rechte um August Martin Euler, die eine "nationale Sammlungsbewegung" repräsentierte und ihre Bastionen in Nordrhein Westfalen, in Niedersachsen und in Hessen besaß. Die national gesinnten Kräfte in der Partei hatten in der Anfangsphase ein deutliches Übergewicht.

Von der nationalen zur liberalen Ausrichtung

Der erste große Richtungsentscheid in der FDP folgte 1952/53. Das Konzept der nationalen Sammlungsbewegung entpuppte sich als Seifenblase. Der Bruch der Koalition 1956 mit der von Bundeskanzler Konrad Adenauer geführten CDU konsolidierte die FDP als eine Partei der Mitte, und sie drang tief ins bürgerliche Lager vor. Auslöser war der Koalitionswechsel zur SPD in Nordrhein-Westfalen.

Behutsame Reformen bestimmten das Bild der Partei bis Mitte der 1960er Jahre und waren eng verknüpft mit der Person Erich Mende. Als Parteivorsitzender und katholischer Schlesier hielt er an der Fortgeltung der deutschen Grenzen von 1937 fest. Er verlor aber an Einfluss, als sich der nächste Richtungswechsel abzeichnete, der von Persönlichkeiten wie Walter Scheel, Hans Dietrich Genscher, Ralf Dahrendorf und Hildegard Hamm-Brücher getragen wurde. Ihr Konzept des Sozialstaates und ihre Vorstellungen einer tragfähigen Ost- und Entspannungspolitik trafen auf die Wellenlänge der SPD-Führung unter Willy Brandt. 1969 ging die FDP auch auf Bundesebene eine Koalition mit den Sozialdemokraten ein.

Zwischen Sozialliberalismus und Wirtschaftsliberalismus

Doch nach der ersten Ölkrise 1973 und dem Rücktritt von Bundeskanzler Brandt 1974 wandte sich die FDP wieder einem unternehmerfreundlichen Kurs zu, der die Staatstätigkeit zurückdrängen wollten. Zugleich nahm die Diskussion über den Ausstieg aus der Koalition mit der SPD zu. Doch erst 1982 gelingt das Vorhaben. Erstmals stürzt ein Bundeskanzler über das "Konstruktive Misstrauensvotum": Eine CDU/CSU/FDP-Koalition unter Helmut Kohl übernimmt die Regierungsverantwortung. Doch für die FDP war dieser Wechsel eine Zitterpartie, wie der damalige FDP-Vorsitzende Hans Dietrich Genscher einräumte. Und die linksliberalen Kräfte verloren an Einfluss, die Partei büßte bundespolitisch an Gewicht ein.

Genscher als ein Held der Einheit

Demgegenüber markieren der Fall der Berliner Mauer und die Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 nochmals einen kurzlebigen Höhepunkt. Genschers Verhandlungsgeschick bei den Vier-plus-Zwei Verhandlungen, sein Zeitplan für den Rückzug der sowjetischen Soldaten und die von ihm forcierte Anerkennung Kroatiens konnte sich die Partei auf ihre Fahnen schreiben.

Neuausrichtung nach der Wende-Euphorie

Doch der bald folgende Rückzug Genschers, aber auch Graf Lambsdorffs, aus der Politik hinterließ ein Vakuum, das die FDP als Juniorpartner der CDU/CSU bis zum Ende der Ära Kohl 1998 nicht füllen konnte. Zwar prägten neue, junge Gesichter wie Guido Westerwelle, Walter Döring und Jürgen Möllemann mit ihrer dezidiert neo-liberalen Wirtschaftspolitik zunehmend das Bild der Partei. Doch erst der Wahlsieg von Rot-Grün 1998 ermöglichte es der FDP in der Opposition, den Generationswechsel auch inhaltlich zu unterfüttern. Und die Partei erwartet von der Wahl Westerwelles zum Parteivorsitzenden die Umsetzung des neo-liberalen Konzeptes. An Selbstbewusstsein schien es Westerwelle vor der Affäre Möllemann und der damit verbundenen Antisemitismus-Debatte nicht zu fehlen. Denn nach gut einem Jahr im Amt ließ er sich im Mai 2002 auf Drängen Möllemanns von der Partei entgegen früheren Überzeugungen zum Kanzlerkandidaten küren. "Vor einem Jahr wäre es Übermut gewesen, es zu tun. Heute wäre es Kleinmut, es nicht zu tun", so die Überzeugung Westerwelles.